Wie reagierten die Deutschen auf den Beginn des Zweiten Weltkriegs?
Im Unterschied zum August 1914 gab es in Deutschland Anfang September 1939 keinerlei Anzeichen von Kriegsbegeisterung. Allgemein hatte man angenommen, dass Hitler das Problem Danzigs und des Korridors aller aggressiven Rhetorik zum Trotz auf diplomatischem Wege lösen würde, und war nun unangenehm überrascht, sich plötzlich im Kriegszustand zu befinden. «Nichts von patriotischer Begeisterung auf den Straßen. Stummes Brüten», beobachtete der deutsch-jüdische Historiker Willy Cohn am
1. September in Breslau.
In seiner Rede vor dem Reichstag in der Krolloper am Vormittag des 1. September behauptete Hitler, die Polen hätten in der Nacht zahlreiche Grenzzwischenfälle provoziert und zum ersten Mal auf deutschem Territorium auch «reguläre Soldaten» eingesetzt: «Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt an wird Bombe mit Bombe vergolten.» In Wirklichkeit hatten SS-Kommandos diese Zwischenfälle organisiert, um einen Vorwand für den deutschen Angriff zu liefern. Unter anderem hatten sie einen polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz fingiert. Dabei ließen sie eine Anzahl von KZ-Insassen zurück, die man zuvor getötet und in polnische Uniformen gesteckt hatte. Doch nur die fanatischen Parteigänger des Regimes schenkten der offiziellen Version Glauben, dass Deutschland sich einer polnischen Aggression erwehren müsse.
Die Stimmung sank auf einen Nullpunkt, als am 3. September die Kriegserklärung Englands und Frankreichs an das Deutsche Reich bekannt gegeben wurde. «Die Leute können es noch gar nicht fassen, daß Hitler sie in einen Weltkrieg geführt hat», hielt William Shirer, der amerikanische Korrespondent in Berlin, in seinem Tagebuch fest. Und Helmuth James von Moltke, der spätere Kopf des Kreisauer Widerstandskreises, schrieb am 3. September in einem Brief aus Berlin an seine Frau Freya: «Die Atmosphäre hier ist schrecklich. Ein
Gemisch aus Ausweglosigkeit und Trauer.» Als sich jedoch Ende September 1939 der schnelle Sieg über Polen abzeichnete, schlug die Stimmung um. Nun war sich William Shirer sicher: «Solange die Deutschen erfolgreich bleiben und nicht zuviel Verluste erleiden, wird dies kein unpopulärer Krieg sein.»