Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

Für die beobachteten Lerngruppen wurde zunächst gezeigt, dass die Lehrpersonen während der Leseübungen häufig Feedback erteilen. Betrachtet man die gesamten Reaktionen auf Schüleräußerungen und -verhalten, so werden durchschnittlich 4.75 Feedbacks pro Minute erteilt. Inhaltlich auf die Leseübung beziehen sich durchschnittlich 3.49 Rückmeldungen pro Minute. Jede einzelne Rückmeldung dauert dabei im Schnitt nur 3.3 Sekunden. Damit liegt die Häufigkeit von Feedback in der vorliegenden Studie höher als in bereits vorliegenden Studien von Paetzold und Lißmann (1982) oder Richert (2005). Dies könnte zum einen an der relativ breiten Definition von Feedback liegen, zum anderen aber auch daran, dass auch Feedback in Schülerarbeitsphasen mit berücksichtigt wurde.

Fokussiert man das der Rückmeldung vorausgehende Schülerverhalten, fällt auf, dass sich nur wenige Rückmeldungen auf Fehler beziehen und häufiger Reaktionen auf richtige Antworten oder richtiges Vorlesen zu beobachten sind. Diese Ergebnisse zeigen, dass auch in den hier beobachteten Unterrichtsstunden – ähnlich wie in den in Abschnitt 6.2.1.3.2 berichteten Studien – nur wenige Fehlersituationen vorkommen. Eine präzise Analyse des Umgangs mit Fehlern im Unterricht wird also dadurch erschwert, dass hier deutlich geringere Fallzahlen vorliegen als für Situationen, in denen Fragen beispielsweise richtig beantwortet oder Aufgaben wie erwünscht bearbeitet werden. Rückmeldungen erfolgen zum Großteil unmittelbar im Anschluss an die vorausgehende Schüleräußerung oder das Schülerverhalten. Interessant für weiterführende Analysen wäre hier die Analyse der Wirksamkeit des Timings von Rückmeldungen in Abhängigkeit von der Unterrichtsphase, dem vorausgehenden Schülerverhalten oder Merkmalen einzelner Schülerinnen und Schüler, da hier Wechselwirkungen vermutet werden können (vgl. 6.2.6.3.1).

Für Wiederholungen des Schülerbeitrags und Korrekturen zeigt sich, dass diese im Großteil der Rückmeldungen nicht enthalten sind. Falls doch, so erfolgen sie am häufigsten in Form wörtlicher oder sinngemäßer Wiederholung, sehr selten korrigierend oder ergänzend. Dies ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass in den beobachteten Unterrichtsstunden insgesamt nur wenige Rückmeldungen auf Fehler zu beobachten waren. In den einzelnen Lerngruppen unterscheidet sich die Häufigkeit von Knowledge of Result, Knowledge of Correct Result und dem Fehlen einer Information über die Richtigkeit der Lösung stark voneinander. Während einige Lehrpersonen bei keiner einzigen Schülerantwort eine klare Information über deren Richtigkeit geben, ist der Anteil in anderen Lerngruppen deutlich höher. Um wirklich einschätzen zu können, welche Form von Feedback für welche Situation angemessen ist, müssten hier vertiefende Analysen erfolgen. So könnte diese Kategorie in Kombination mit weiteren Kodierungen betrachtet werden. Wichtig ist natürlich zum einen das vorausgehende Schülerverhalten, zum anderen aber auch die Einbettung in die Unterrichtssituation – beispielsweise indem die Feedbacksituation generell betrachtet wird. Im Rahmen der Arbeit wurden zunächst alle Rückmeldungen einzeln identifiziert. Wenn eine Lehrperson sich für die Erarbeitung einer Lösung mit einem Kind aber länger Zeit nimmt, so kommt es vor, dass hier mehrere Rückmeldungen nacheinander erfolgen. Dabei ist gut möglich, dass die ersten Rückmeldungen noch keine Informationen über die Richtigkeit der Lösung enthalten, sondern das Kind beispielsweise durch weiterführende Impulse schrittweise zur Lösung führen und erst ganz am Ende der gesamten Feedbacksequenz die Information zur Richtigkeit der Lösung erfolgt. Für die Analyse solcher Feedbacksequenzen wurden durch die systematische Identifikation und Kategorisierung der Einzelfeedbacks im Rahmen der vorliegenden Arbeit die Grundlagen bereitgestellt, auf deren Basis hierzu weiterführende Analysen erfolgen könnten (vgl. 12.2).

Das hier beobachtete Feedback bezieht sich insgesamt nur sehr selten auf allgemeine Merkmale des Kindes oder das Arbeitsund/oder Sozialverhalten bei der Aufgabenbearbeitung, sondern mit weitem Abstand auf die Lösung und den Prozess der Aufgabenbearbeitung, oft auch in Kombination. Dass in der vorliegenden Studie die Häufigkeit personenbezogenen Feedbacks so gering ausfällt, ist nach Hattie und Timperley (2007) positiv zu bewerten. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass im Gegensatz zu Hatties und Timperleys Verständnis personenbezogenes Feedback hier nur dann kodiert wurde, wenn die Lehrperson explizit persönliche Merkmale benennt, nicht wenn das Feedback einfach nur ein unspezifisches Lob enthält (z. B. „toll“, „prima“). Von den drei Fragen, die Feedback nach Hattie und Timperley (2007) beantworten sollte, wird in den hier beobachteten Lerngruppen noch am meisten auf das FeedForward eingegangen, bei dem das Feedback dem Schüler oder der Schülerin Hinweise zum weiteren Vorgehen gibt. Explizite Informationen zum bisherigen Fortschritt oder zum Ziel der Aufgabenbearbeitung sind deutlich seltener in den Rückmeldungen enthalten. Feedback dient in den hier beobachteten Unterrichtsstunden also vorwiegend als Hilfestellung, weniger als Informationsquelle. Damit in Zusammenhang stehend kann auch das Ergebnis betrachtet werden, dass Elaboration – wenn überhaupt – meist in Form von tutoriellem Feedback vorkommt, seltener in Form von Erläuterungen. Der große Teil an Feedback enthält aber keine elaborativen Aspekte, was nicht überrascht, wenn man sich allein die geringe Dauer der einzelnen Rückmeldungen in Erinnerung ruft.

Anhand der niedrig inferenten Kodierungen wurde weiterhin gezeigt, dass über alle Lerngruppen hinweg kaum die Bedeutsamkeit von Schüleräußerungen betont wird. Eventuell ist dies ein Aspekt von Feedback, der eher im Unterricht mit älteren Schülerinnen und Schülern bedeutsam ist. Bei Richert (2005) enthielten beispielsweise immerhin 6 % aller Rückmeldungen ein Later Interesting Result.

Weiterführende Lösungsversuche werden zwar häufiger dann ermöglicht, wenn vorher ein Fehler stattfand, allerdings wird durchschnittlich beispielsweise bei etwa 60 % der falschen Antworten und bei 36 % der bedeutungsverschiedenen Vorlesefehler kein weiterer Lösungsversuch ermöglicht, sodass hier nicht von einem produktiven Nutzen und einem kognitiv anregenden Umgang mit der Fehlersituation ausgegangen werden kann.

Die hoch inferent eingeschätzten Dimensionen bestätigen diesen Eindruck der niedrig inferenten Kodierungen, da die Mittelwerte auch hier eher im unteren bis mittleren Bereich liegen. Mit ausgewählten niedrig inferenten Kategorien, die inhaltliche Ähnlichkeit mit den hoch inferenten Items aufweisen (der Dauer der Rückmeldungen, der Elaboration von Schülerbeiträgen und der Ermöglichung weiterer Lösungsversuche) wurden daher noch einmal Zusammenhänge zu den hoch inferent eingeschätzten Items berechnet. Die dabei gefundenen signifikanten Zusammenhänge lassen sich grundsätzlich gut erklären: Dass die mittlere Dauer der Rückmeldungen positiv mit der Spezifität der Reaktionen auf Schülerbeiträge zusammenhängt, deutet an, dass für spezifische Feedbacks etwas mehr Zeit nötig ist. Während Erläuterungen zu Schülerantworten positiv mit der Exploration der Denkweisen und dem Insistieren auf Erklärung und Begründung zusammenhängen, erreichen Lehrpersonen, die relativ häufig tutorielles Feedback einsetzen, geringere Werte für die Items Spezifität der Reaktionen auf Schülerbeiträge und Insistieren auf Erklärung und Begründung. Eventuell sprechen tutorielle Feedbacks für einen eher lehrerzentrierten Unterricht, in dem die Lehrpersonen bei Schülerantworten relativ schnell mit spezifischen Hilfen reagieren und die Schülerinnen und Schüler eher selten selbst noch einmal nachdenken lassen. Um hierzu allerdings genauere Aussagen treffen zu können, müssten diese Feedbacksituationen, in denen tutorielle Hilfen gegeben werden, noch einmal genauer analysiert werden. Die Items Lehrkraft als Mediator und Insistieren auf Erklärung und Begründung werden erwartungsgemäß positiver eingeschätzt, wenn die Lehrperson die Schülerinnen und Schüler häufig zu einem weiteren Lösungsversuch auffordert. Das Insistieren auf Erklärung und Begründung hängt zudem signifikant positiv mit expliziten Impulsen der Lehrperson zusammen. Dass hier tatsächlich die explizite Aufforderung durch die Lehrperson entscheidend ist, zeigt der negative Zusammenhang der beiden Items Exploration der Denkweisen der Schüler und Insistieren auf Erklärung und Begründung mit der relativen Häufigkeit unaufgeforderter erneuter Lösungsversuche durch die Schülerinnen und Schüler. Fordert die Lehrperson also die Lernenden nicht explizit zu weiteren Lösungsversuchen auf, werden auch die hoch inferenten Items nicht besser beurteilt.

Die hier berichteten Ergebnisse zur Feedbackpraxis der Lehrpersonen vermitteln bereits einen ersten Eindruck darüber, wie im Leseunterricht des ersten Schuljahres Rückmeldungen gegeben werden. Zusammenfassend ist auffallend, dass zwar sehr viele, allerdings eher einfache Rückmeldungen erteilt werden, was die Ergebnisse bisheriger Studien bestätigt (vgl. 6.2.6). An vielen Stellen wären allerdings noch differenziertere Analysen nötig, welche die Einzelkategorien in Kombination miteinander betrachten und so ein umfassenderes Bild vermitteln. Dazu ist insbesondere das Kategoriensystem „Dem Feedback vorausgehendes Schülerverhalten“ bedeutsam, da auf diese Weise Rückmeldungen je nach vorherigem Verhalten beschrieben werden können, was eine „fairere“ und vergleichbarere Einordnung der Feedbacks ermöglicht. Problematisch ist allerdings, dass viele Kategorien hier nur sehr gering besetzt sind, sodass insbesondere Analysen zum Umgang der Lehrpersonen mit Fehlern nur mit geringen Fallzahlen möglich sind. Hier wäre zu überlegen, für darauf aufbauende Videoanalysen den Lehrpersonen noch genauere Vorgaben zu machen, sodass problemhaltigere und komplexere Aufgaben gestellt werden, die dann zu mehr fehlerhaften Schülerantworten oder -lösungen führen und dadurch eventuell auch elaborierteres Feedback erfordern.

 
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