Was war das Evil Empire?
Im März 1983, in einer Rede vor fundamentalistischen Christen in Florida, hatte Präsident Ronald Reagan die Sowjetunion als Reich des Bösen, als «evil empire», bezeichnet. Reagans apokalyptische Rhetorik verband Appelle an den amerikanischen Patriotismus mit Drohungen an die Adresse Moskaus. «Evil empire» klang unversöhnlich und hob die USA provokativ auf ein Podest der moralischen Überlegenheit. Die «Falken» (hawks), die - im Gegensatz zu den pazifistisch angehauchten «Tauben» (doves) - einen harten Aufrüstungskurs gegen die Sowjetunion verfolgten, um die ideologische Einflusssphäre der Sowjetunion zurückzudrängen (roll back-Politik), begrüßten
Reagans Konfronta tionspolitik. Seine Kritiker fürchteten dagegen die Eskalation eines Konflikts, der militärische Konsequenzen oder gar einen nuklearen Krieg nach sich ziehen konnte.
Als Reagan in seiner zweiten Amtszeit, nach einem Treffen mit dem neuen Staatschef der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, gefragt wurde, ob er in der Sowjetunion noch immer ein «Reich des Bösen» sehe, verneinte er die Frage. Vor dem Hintergrund einer sowjetischen Reformpolitik, die Offenheit (glasnost) und gesellschaftliche Umgestaltung (perestroika) ins Zentrum setzte, konzipierte Reagan dann auch jene Rede am Brandenburger Tor vom 12. Juni 1987, mit der er eine «Botschaft der Hoffnung und des Triumphes» übermitteln wollte: Wenn Gorbatschow wirklich Frieden, Wohlstand und Liberalisierung anstrebe, dann könne er ein unmissverständliches Zeichen setzen: «Come here to this gate!» rief Reagan mit Blick auf die Berliner Mauer. «Mr. Gorbachev, open this gate! Mr. Gorbachev, tear down this wall!»
Einige Historiker haben hervorgehoben, dass Reagans aggressiver, gegen das «evil empire» gerichteter Politikkurs ein effektives Instrument des Kalten Krieges gewesen sei und fundamental zum Zusammenbruch des sowjetischen Reichs beigetragen habe, auch wenn sich dieser erst 1991 in der Ära von Präsident George Bush vollzog. In der Tat hatten die USA im Kalten Krieg maßgeblich dazu beigetragen, den sowjetischen Machtbereich ideologisch und materiell zu unterminieren. Auf der anderen Seite darf nicht übersehen werden, dass sich die Wirtschaft der Sowjetunion zum Zeitpunkt von Reagans Amtsantritt längst auf einer Abwärtsspirale bewegte. Die ineffiziente Industrieproduktion und der mit etwa 25 Prozent unerhört hohe Anteil von Militärausgaben am Bruttosozialprodukt trugen ebenso zum Kollaps des sowjetischen Imperiums bei wie innenpolitische Spannungen, soziale Probleme und Korruption sowie die wirtschaftliche Konkurrenz von Ländern wie China, Japan, Korea, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den USA. Neben internen und externen Faktoren dürfte auch die Entspannungspolitik, wie sie von John F. Kennedy oder Egon Bahr forciert worden war und von der Friedensbewegung in den USA und Europa fortgesetzt wurde, zum Niedergang des sowjetischen Imperiums beigetragen haben.
Reagans Nachfolger George Bush, der eine aktive Rolle bei der deutschen Wiedervereinigung spielte, tat interessanterweise fast nichts, um den Zerfallsprozess der Sowjetunion um 1990 voranzutreiben. Hinter dieser Zurückhaltung verbarg sich die seit 1989 auf höchster Regierungsebene gereifte Gewissheit, dass die Zeit ohnehin für den Westen arbeitete, und dass der nun angebrochene Schlussakt des Kalten Krieges und der Zusammenbruch des sowjetischen Reiches fast ohne eigenes Zutun mit dem vollständigen Sieg der Vereinigten Staaten und des Westens enden werde.