Grundannahmen der modernen Institutionenökonomik

Die moderne Institutionenökonomik bedient sich innerhalb ihrer Gebiete verschiedener Grundannahmen, denen in der Fachliteratur unterschiedliche Bedeutung zugewiesen wird. An vorderster Stelle stehen hierbei übergreifend der methodologische Individualismus sowie das Rationalitätspostulat.

Der methodologische Individualismus besagt, dass hinter jeder staatlichen oder privaten Organisation eigenständige Personen stehen, wonach diese immer entsprechend ihrer einzelnen individuellen Präferenzen handeln. Demzufolge ist eine solche Organisation nie als eigenständiges Wesen, sondern vielmehr als kollektiver Handlungsund Entscheidungsträger zu sehen (Richter 1994, S. 4). Eine Untersuchung zum Zustandekommen von derartigen Entscheidungen muss daher stets bei der Einzelperson und deren Verhaltensmustern beginnen (Richter/Furubotn 1996, S. 3). Solche Entscheidungen dürfen hierbei jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese, selbst in einem Prozess einer gemeinschaftlichen Willensbildung, von den individuellen Präferenzen des Einzelnen abweichen können, da sich der Einzelne in einer Gruppe auch in Widerspruch zu seiner persönlichen Präferenz verhalten kann (Karpe/Krol 1997, S. 80). Des Weiteren kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Summe der individuell rational getroffenen Entscheidungen der Individuen automatisch zu einem rationalem gemeinschaftlichen Ergebnis führt (Pappenheim 2000, S. 6f.). [1]

Im Hinblick auf das Rationalitätspostulat handeln Entscheidungsträger individuell rational – sie verfolgen ein gestecktes Ziel mit dem geringsten Aufwand (Minimalprinzip) oder versuchen, bei gegebenem Aufwand, den höchst möglichen Nutzen zu erzielen (Maximalprinzip) (Pappenheim 2000, S. 8). Während man im Rahmen der allgemeinen Gleichgewichtstheorie hierbei von einer unbegrenzten Rationalität [2] ausgeht, weichen zunehmend die Vertreter des Neueren Institutionalismus davon ab, indem den Individuen begrenzt rationales Verhalten unterstellt wird (Richter/Furubotn 1996, S. 3f.). Begrenzt rationales Verhalten (Simon 1955, S. 113) verkörpert in diesem Zusammenhang einen realistischen Fokus auf die Welt. Die Annahme, dass Individuen in jeder Situation ökonomisch perfekt handeln, steht im Widerspruch zu den realen Bedingungen der Gesellschaft. Hierfür sprechen zum einen tatsächliche Informationsdefizite bzw. Informationsverarbeitungskapazitäten bei den Individuen, zum anderen stehen derartigen Anstrengungen Kosten gegenüber, die dann irrational auch im Widerspruch zum ökonomischen Prinzip stehen könnten, wenn diese mit einem daraus resultierenden Nutzen abgewogen werden würden (Richter/Furubotn 1996, S. 4). Auch wenn die Annahme begrenzter Rationalität auf dem ersten Blick das Rationalitätspostulat relativiert oder sogar in Frage stellen würde, bleibt dessen ursprünglicher Charakter dennoch erhalten. Schließlich wird man ihm auch dann gerecht, wenn Individuen die Entscheidungen treffen, die ihnen in einer bestimmten Situation am besten zusagen, gleichwohl ihnen bewusst ist, dass es Umstände gibt, die sie aufgrund mangelnder Informationen zu einer anderen Entscheidung geleitet hätten (Kirsch 2007, S. 6). Ökonomen, die sich der begrenzten Rationalität in ihren Modellen annehmen, beschreiben im Einklang mit der Psychologie besser die Realität. Das menschliche Denkvermögen, welches ebenfalls begrenzt ist, erfährt hierdurch auch die entsprechende Behandlung als knappe Ressource (Conlisk 1996, S. 692).

Aus der Annahme der begrenzten Rationalität, die dementsprechend als Postulat für die vorliegende Schrift einbezogen und verfolgt wird, ergeben sich weitere Axiome, welche neben den vorangestellten dann als Grundannahmen der modernen Institutionenökonomik weiterhin benannt werden müssen:

Zum einen ist es das Konzept der Transaktionskosten (Richter 1994, S. 4), [3] das dem Postulat der begrenzten Rationalität vorausgeht, oder mit anderen Worten, die Existenz von Transaktionskosten ist unter anderem eine logische Konsequenz der begrenzten Rationalität der Individuen. Die damit verbundene Absage an die „Null-Transaktionskostenwelt“ ermöglicht erst die Berücksichtigung dieser und damit deren Einbeziehung in das (institutionen-) ökonomische Kalkül (Richter/Bindseil 1995, S. 132f.), während in der Neoklassik Transaktionen stets ohne Transaktionskosten betrachtet wurden (Karpe 1997, S. 10). [4]

Zum anderen unterstellt sowohl begrenzte als auch unbegrenzte Rationalität stets eigennütziges Verhalten der Individuen. Sie sind darauf bedacht, im Sinne des homo oeconomicus, ihren Nutzen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu maximieren. [5] Hierbei wird ebenfalls unterstellt, dass altruistisches Verhalten egoistisch motiviert sein kann (Kirsch 2004, S. 5f.; siehe auch Abschnitt 3.2.1 dieser Arbeit) und deshalb nicht gänzlich auszuschließen sei – in das Nutzenkalkül der Individuen fließen neben Egoismus weitere Faktoren, wie das Wohlergehen anderer, Prestige oder Macht, ein (Feldmann 1995, S. 44f.). Darüber hinaus schließt Eigennutz auch opportunistisches Verhalten (z.B. Unaufrichtigkeit, List und Tücke) ein, dessen sich Individuen dann bedienen, wenn es ihrem Kalkül Nutzen stiftet, bzw. zu erwartende Sanktionen/Nachteile aus diesem Verhalten geringer ausfallen werden als zu erwartende Vorteile durch jenes opportunistische Verhalten (Williamson 1975, S. 26ff., zitiert nach Richter/Furubotn 1996, S. 5 sowie Feldmann 1995, S. 45). „Opportunismus ist also eine stärkere Version des eigennützigen Strebens nach Vorteilen.“ (Pappenheim 2000, S. 191) Unter der Modellannahme der begrenzten Rationalität führt Opportunismus folglich wiederum zu einer weiteren Erhöhung von Transaktionskosten. Eine Modellwelt mit unbegrenzter Rationalität hingegen, würde Opportunismus in diesem Zusammenhang grundsätzlich ausschließen, da dann sämtliche Beziehungen der Individuen untereinander transparent wären (Schlösser 2008a, S. 137).

  • [1] PAPPENHEIM führt als Beispiel zum „Auseinanderfallen von individueller und kollektiver Rationalität“ das Gefangenendilemma an, bei dem die Strategien zweier getrennt befragter Täter aufgrund einer Kronzeugenregel zu Geständnissen mit harter Bestrafung führen (z.B. jeweils 8 Jahre Haft), obwohl beide bei gemeinschaftlichem Leugnen nur geringfügig bestraft werden könnten (z.B. jeweils 1 Jahr Haft). Die Tatsache, dass das Gestehen des Einen bei gleichzeitigem Leugnen des Anderem dem Geständigen Straffreiheit und dem Leugnenden längere Haft (z.B. 10 Jahre) verschaffen würde, sorgt dafür, dass beide Täter sich nicht glaubhaft aufeinander verlassen können und beide im Gestehen die in dieser Situation individuell rationale Lösung finden (Pappenheim 2002, S. 6f. und S. 13f.).
  • [2] „Jeder Marktteilnehmer kann vollständig in die Zukunft blicken, Informationsdefizite sind ebenso wenig vorhanden wie begrenzte individuelle Informationsverarbeitungskapazitäten.“ (Pappenheim 2000, S. 8)
  • [3] Die ausführliche Erläuterung dieses Konzepts sowie die Definition von Transaktionskosten erfolgen im Abschnitt zur Neuen Institutionenökonomik in dieser Arbeit (siehe Abschnitt 4.3.2.1).
  • [4] „Kurzum: Die Neoklassik ignorierte die reibungslose Transaktionen behindernden Transaktionskosten.“ (Karpe 1997, S. 10)
  • [5] Mit anderen Worten: zweckrationale Nutzenmaximierung (Cezanne/Mayer 1998, S. 1345
 
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