Einordnung und Abgrenzung der modernen Institutionenökonomik in der Theoriewelt des Rational Choice

Unter Betrachtung der Grundannahmen zur modernen Institutionenökonomik wird der Leser zwangsläufig Parallelen zu anderen Theorien erkennen, die nicht auf dem ersten Blick den Gebieten der Institutionenökonomik zugeschrieben werden. Aufgrund zahlreicher Theorien und deren vielschichtiger Überschneidungen wird der Versuch einer der Themenstellung adäquaten und sachdienlichen Systematik vorgenommen.

Der Ausgangspunkt dieser Theoriemodelle ist im Rational-Choice-Ansatz, der Theorie der Wahlhandlungen, zu finden. Dabei stehen Individuen stets vor einzelnen Entscheidungssituationen zu deren Lösungen es mehrere Alternativen (Wahlhandlungen) gibt. [1] Neben Entscheidungen auf ökonomischer Ebene (Konsum-, Spar-, Investitionsentscheidungen usw.) erstreckt sich die Theorie der Wahlhandlungen auf sämtliche gesellschaftlichen Bereiche. Dies sind im naheliegenden Bereich der Politik zum Beispiel Entscheidungen für eine bestimmte Partei oder in der Privatsphäre des Alltags, beispielsweise Entscheidungen für die Gründung einer Familie, die Berufswahl oder dem Nachgehen von Hobbys (Kirsch 2004, S. 3).

Rational Choice ist somit eine Theorie, die einerseits allgemeine Aussagen über individuelle Handlungen trifft und andererseits Erklärungen dafür liefern will („Kombination von Handlungstheorie und Analysekonzept“) (Kunz 2004,

S. 13). Hierbei werden individuelle Entscheidungen und kollektive Phänomene nicht losgelöst voneinander betrachtet, sondern in einem wechselseitigen Gesamtzusammenhang gesehen (Kunz 2004, S. 12).

„Ein zentrales Ziel von Rational Choice ist die Erklärung sozialer, ökonomischer oder politischer Sachverhalte. In dieser Hinsicht handelt es sich um eine explikative Theorie zur Ursache-Wirkungs-Analyse realer Gegebenheiten mit sozialtechnologischem Anspruch, der auf die Möglichkeiten einer sozialpolitischen Steuerung menschlichen Handelns und sozialer Phänomene zielt.“ (Kunz 2004, S. 15)

Dem Ansatz des Rational Choice bedienten sich seit der „Ausdifferenzierung der Sozialwissenschaften“ in den letzten beiden Jahrhunderten anfänglich und vornehmlich die Wirtschaftswissenschaften, die dessen ökonomische Anwendung bald auf weitere außerökonomische Teilbereiche ausweiteten und für sich den Anspruch erhoben, so sämtliche gesellschaftlichen Phänomene bis in den Alltag hinein ökonomisch erklären zu können („ökonomischer Imperialismus“) (Kunz 2004, S. 13). Dieser Weg wurde im Rahmen der ökonomischen Verhaltenstheorie fortbeschritten. Das heißt, die ökonomischen Anwendungen des RationalChoice-Ansatzes sowohl innerhalb der Wirtschaftswissenschaften als auch dessen Ausweitung auf außerökonomische Bereiche der Sozialwissenschaften prägten hierbei den Begriff zur ökonomischen Verhaltenstheorie, während die Bezeichnung Rational Choice in Politikwissenschaft und Soziologie vordergründig erhalten blieb (Hedtke 2002, S. 30). [2]

„Die ökonomische Verhaltenstheorie trifft Aussagen über menschliche Verhaltensweisen unter der Berücksichtigung des Einflusses von Moral und Institutionen. Präziser formuliert stellt diese Theorie darauf ab, Handlungsverkettungen und Verhaltensmuster unter alternativen Normen und Institutionen zu erklären und vorherzusagen […]. Mit der ökonomischen Verhaltenstheorie steht ein erklärungskräftiges Aussagesystem über menschliches Verhalten zur Verfügung, dessen Anwendung sich in vielen Bereichen des menschlichen Lebens bewährt hat […].“ (Karpe/Krol 1997, S. 79f.)

Andererseits entstanden durch Rational Choice verschiedene Forschungsrichtungen, die sich unter anderem im heutigen Feld der modernen Institutionenökonomik wiederfinden, indem sie sich der Handlungstheorie und des Analysekonzepts von Rational Choice bedienen, und diese dann um normative Elemente auf ihrem jeweiligen Gebiet erweitern. Hierzu gehören zum Beispiel die Neue Politische Ökonomie (Public Choice) und die Neue Institutionenökonomik (Kunz 2004, S. 13f.).

Im (ökonomischen) Bildungsprozess verbinden KARPE/KROL den Ansatz der ökonomischen Verhaltenstheorie mit Grundgedanken der modernen Institutionenökonomik (Hedtke 2002, S. 16f.). Sie sehen die Aufgabe heutiger Bildungsprozesse darin, „auf der Basis positiver Theorien und erklärungskräftigen Wissens eine normative Diskussion über Leitbilder für Verhalten und Institutionengestaltung zu führen“ (Karpe/Krol 1997, S. 99). Die logische Konsequenz dieser Haltung führt damit im Bildungsprozess ohne Umwege zu den Bereichen der modernen Institutionenökonomik, insbesondere zur Neuen Politischen Ökonomie und zur Neuen Institutionenökonomik, welche hierfür sowohl positive als auch normative Charakterzüge enthalten.

  • [1] Auch im Falle ermangelnder Alternativen stellen das Treffen oder Unterlassen von Entscheidungen, bzw. die Hinnahme gegebener Konstellationen, Wahlhandlungen im Sinne des Rational Choice dar (Kirsch 2004, S. 3).
  • [2] HEDTKE spricht in diesem Zusammenhang von „Zwillingen“ (Hedtke 2002, S. 30).
 
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