Wie verschaffe ich mir Klarheit, ob das, was der Arbeitgeber von mir verlangt, mit meinem Arbeitsvertrag vereinbar ist?

Zuweisung einer anderen Arbeit. Herr Huber, 58 Jahre alt, ist in der Generaldirektion der Allgemeinen Versicherung in München beschäftigt. Nach seinem schriftlichen Arbeitsvertrag ist er zu allen Tätigkeiten des Hausdienstes verpflichtet. Seit einem Jahr übt er nur noch die Tätigkeit eines Pförtners aus. Als der erste Schnee im November fällt, erklärt ihm der Leiter der Organisationsabteilung, er müsse, was er ja auch schon früher gemacht habe, in diesem Winter den Schnee im Hof wegschaufeln. Als Herr Huber darauf hinweisen will, dass diese Arbeit nicht zu den Aufgaben des Pförtners, sondern zu den Aufgaben des Hausdienstes gehört, schneidet ihm der Leiter der Organisationsabteilung das Wort ab und erklärt: „In diesem Winter müssen Sie den Schnee 208wegräumen, basta!" Herr Huber hält die Weisung für rechtswidrig und will ihr nicht Folge leisten.

- Welche Gesichtspunkte muss er in seine Überlegungen einbeziehen?

Zunächst muss Herr Huber seinen schriftlichen Arbeitsvertrag und eventuelle schriftliche Vertragsänderungen zu Rate ziehen. Eine schriftliche Übertragung des Pförtnerdienstes wäre die sicherste Grundlage.

Wollte er sich auf eine mündliche Änderung berufen, müsste er rekonstruieren, was im Zusammenhang mit der Übernahme des Pförtnerdienstes auf Seiten der Allgemeinen Versicherung erklärt worden ist. Mündliche Zusagen haben oft den Nachteil, dass sie nicht bewiesen werden können. Auch könnte sein Arbeitsvertrag eine Klausel enthalten, dass Änderungen und Ergänzungen der Schriftform bedürfen. Das schließt zwar eine mündliche Änderung nicht vollständig aus, verlangt aber einen eindeutigen „Geltungswillen“, der regelmäßig bei mündliche Zusagen „einfacher“ Vorgesetzter nicht vorhanden ist.

Liegt eine beweisbare mündliche Zusage nicht vor, bliebe noch eine Vereinbarung durch ein sog. schlüssiges Verhalten (vgl. zum Zustandekommen eines Arbeitsvertrages durch schlüssiges Verhalten 3. Kapitel, Abschnitt 2., S. 52). Dafür wird aber die einjährige Tätigkeit als Pförtner nicht ausreichend sein. Es kommt vielmehr auf alle Umstände an, die möglicherweise das Vertrauen des Herrn Huber begründet haben, dass er nur noch Pförtnerdienst ausüben muss. Wurde damals auf sein Alter Rücksicht genommen, konnte er auch ohne eine ausdrückliche Zusicherung davon ausgehen, dass er keine andere Arbeit mehr ausüben muss. War damals nur ein vorübergehender Engpass beim Pförtnerpersonal vorhanden, der zu seiner „Abordnung“ führte, die sich dann aber doch länger hinzog, wird man nicht von einer Vertragsänderung ausgehen können. Auch in diesem Zusammenhang spielt eine etwaige Schriftformklausel eine wesentliche Rolle. Eine solche Klausel hat gerade den Sinn, dass nur bei einer ausdrücklichen und von der zuständigen Stelle gegebenen Zustimmung eine Änderung des Arbeitsvertrages eintritt. Dafür reicht ein „schlüssiges Verhalten“ regelmäßig nicht aus.

“Überstunden bei fehlendervertraglicher Regelung. Frau Rezanek ist Verkäuferin und Kassiererin in einer Filiale der Drogeriekette Sauber. Sie hat in ihrem Arbeitsvertrag eine Wochenarbeitszeit von 24 Stunden vereinbart. Die tägliche Arbeitszeit (Montag bis Samstag) ist dort auf 9 bis 13 Uhr festgelegt. Eine Klausel über die Leistung von Überstunden enthält der Arbeitsvertrag nicht. Frau Rezanek wird ab13 Uhr von einer Kollegin, derzeit Frau Ulrich, abgelöst. Während ihrer Schicht sind die Verkäuferinnen allein. Nur einmal in der Woche hält sich auch die Marktleiterin für einige Stunden in der Filiale auf. An einem Dienstag erhält Frau Rezanek um 12 Uhr von der Marktleiterin einen Anruf, dass Frau Ulrich sich gerade krank gemeldet hätte, und sie daher bis die Aushilfe, was etwa gegen 15 Uhr zu erwarten sei, einträfe, „die Stellung halten" müsse. Als Frau Rezanek zu bedenken gab, dass sie ihr Kind vom Kindergarten abholen muss, sagte die Marktleiterin kurz und knapp: „Das interessiert mich nicht." - Wie ist die Situation rechtlich zu beurteilen?

Die Marktleiterin ordnet der Sache nach Überstunden an, da sich die Arbeitszeit der Frau Rezanek, wenn sie bis 15 Uhr weiterarbeitet, in der fraglichen Woche auf 27 Stunden erhöht. Ihr Vertrag sieht die Verpflichtung zur Leistung von Überstunden nicht vor. Wenn auch sonst - etwa in einer Betriebsvereinbarung oder in einem Tarifvertrag - keine entsprechende Verpflichtung geregelt ist, kann der Arbeitgeber von ihr auch grundsätzlich keine Überstunden verlangen. Allerdings soll eine Ausnahme in Notfällen oder in außergewöhnlichen Fällen gelten, so etwa, wenn Gefahren für den Betrieb z. B. durch Brand oder Hochwasser drohen. Hier geht es darum, dass die Filiale ohne die Überstunden für zwei Stunden geschlossen werden müsste. Es erscheint schon fraglich, ob das einen solch extremen Ausnahmefall begründet. Hinzu kommt: Auf eine Ausnahmesituation kann sich der Arbeitgeber dann nicht berufen, wenn sie vorhersehbar und durch geeignete

Maßnahmen abgewendet hätte werden können. Das liegt hier durchaus nahe. Eine Filiale, die nur mit einer Kraft besetzt ist, ist für Probleme der geschilderten Art geradezu anfällig. Kurzfristige Krankmeldungen oder sonstige Ausfälle sind in der betrieblichen Praxis nicht ungewöhnlich. Eine Verpflichtung, Überstunden zu leisten, hat die Fa. Sacher bei Frau Rezanek nicht in den Vertrag aufgenommen. Sie hätte daher ausreichende organisatorische 210Vorkehrungen treffen müssen, dass auch kurzfristig eintretende personelle Engpässe ausgeglichen werden können. Wenn die Aushilfskraft erst nach 3 Stunden zur Verfügung steht, ist dies offensichtlich nicht geschehen.

Wenn man trotz dieser Bedenken eine Ausnahmesituation annehmen wollte, ist diese doch nicht so schwerwiegend, dass die Belange der Frau Rezanek in jedem Fall zurückstehen müssten. Es hat dann immer noch eine Interessenabwägung stattzufinden. Das Fehlen einer vertraglichen oder sonstigen rechtlichen Grundlage für eine Überstundenanordnung bedeutet zugleich einen besonderen Schutz der Freizeit und der privaten und familiären Gestaltung dieser Freizeit. Notwendigkeiten und Zwänge aus dieser Sphäre haben daher ein besonderes Gewicht. Müsste Frau Rezanek tatsächlich ihr Kind nach Arbeitsende abholen, wäre das ein solcher Grund, der Vorrang gegenüber den betrieblichen Interessen hätte.

Auch bei dieser Einschätzung bleibt die Situation der Frau Rezanek schwierig, da ihr wohl kaum klar sein wird, dass das Schweigen ihres Vertrages zur Frage der Überstunden bedeutet, dass sie keine Überstunden machen muss. Sie wird auch nicht überblicken, ob sich nicht aus einer Betriebsvereinbarung oder einem Tarifvertrag die Berechtigung zur Überstundenanordnung ergibt.

 
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