Kulturelle Bildung zwischen bildungspolitischer Förderung und Marginalisierung
An die Thematisierung dieser ökonomischen Bedingungen an die Programmgestaltung und das Handeln der Kursleiter/innen, schließt sich bei den Befragten die Diskussion um eine Diskrepanz zwischen der bildungspolitischen Förderung Kultureller Bildung und der Marginalisierung derselben an. Zwar würde die Bedeutung Kultureller Bildung insbesondere für die Förderung junger Menschen erkannt werden, aber vor allem die freie Szene habe es schwer, Fördergelder zu akquirieren (vgl. B2: 49). So seien die bildungspolitische Forderung nach flächendeckender kultureller Teilhabe und die Verteilung öffentlicher Gelder wie „zwei Blöcke, die nicht miteinander kommunizieren“ (B2: 49). Der öffentliche Bedeutungszuspruch an Kulturelle Bildung wird deshalb auch als „Sonntags-Rede“ (B2: 51) wahrgenommen, die zwar immer wieder gehalten werde, in der Realität jedoch keine Umsetzung auf breiter Ebene erfahre. Viel mehr gingen die öffentlich bereitgestellten Gelder „an die sogenannten Leuchttürme, womit man sich dann putzen kann“ (B2: 51). Gemeint sind damit große und renommierte Einrichtungen der Kulturellen Bildung, wie bekannte Museen und Konzerthäuser, die sich in der Öffentlichkeit bereits etabliert haben und für die Förderer entsprechende Aufmerksamkeit bedeuten.
Bei den Befragten offenbaren sich darüber Frustration und Ärger, so berichtet B2 sogar, schon vor einigen Jahren das Einreichen von Förderanträgen für bestimmte Projekte aufgegeben zu haben (vgl. B2: 49). Die Arbeit an einer Sommerakademie, speziell der Marburger Sommerakademie sei in diesem Zusammenhang sehr attraktiv, da man durch die städtische Förderung seitens des Kulturamtes auch eine „Sicherheit, eine Rückversicherung“ (B2: 53) und ein
„Verständnis“ (B5: 47-49) erfahre. Die Befragten fühlen sich demnach in ihrer Arbeit durch die kommunale Unterstützung wertgeschätzt und in der Bedeutung ihrer Arbeit bestätigt. Angesichts einer zunehmend ökonomisch geprägten Perspektive auf Bildung und insbesondere einer Marginalsierung von Kultureller Bildung, sei das „Modell Marburg, dass die Stadt sozusagen mit unterstützt (...) eine Idealform (...), die auch im weitesten Sinne überlebensfähig sein könnte“ (B5: 55). Das Gefühl, die Veranstaltungsform und damit die Tätigkeit als Kursleiter/in sei durch diese Ökonomisierung bedroht, wird über diese Aussage besonders deutlich, drückt sich hier doch die existenzielle Gefährdung aus.
Gleichzeitig betonen die Interviewten aber auch die Ressourcen, die die Sommerakademie für die Stadt biete. Viele der Teilnehmenden seien außerhalb der Stadt in der Region, anderen Bundesländern oder sogar im Ausland wohnhaft und würden daher die Stadt auch touristisch beleben (vgl. B2: 53/B5: 55) – insbesondere in einer Zeit, in der viele Bürger/innen (darunter auch viele Studierende) anderweitig Urlaub machen und die Stadt eine Zeit lang verlassen. [1] Diese „Belebung“ sei eine nicht nur wirtschaftliche „Bereicherung“ (B2: 53), sondern trage auch wesentlich zur Attraktivierung der Stadt bei. Dies würde durch das sogenannte Begleitprogramm noch verstärkt werden, denn die zusätzlichen Abendund Wochenendveranstaltungen wie Vernissagen, Vorstellungen und Lesungen seien nicht nur den Teilnehmenden der Sommerakademie, sondern jedem Interessierten zugänglich, womit auch kulturelle Interessen und Bedürfnisse der Bürger/innen geweckt und gestillt werden sollen (vgl. B2: 53/B5: 47-49). Die Stadt habe also die Bedeutung dieser Veranstaltung bezüglich der wirtschaftlichen als auch kulturellen Bedeutung erkannt: „Sie wissen, die Sommerakademie ist wichtig“ (B2: 53), „das ist so was, was die Stadt Marburg sich einfach auf die Fahnen schreibt“ (B3: 105).
Eine solche auf kommunaler Ebene bereits erkannte Bedeutung Kultureller Bildung fehle in Teilen aber noch auf Länderund Bundesebene. So seien viele Sommerakademien, die im Bereich der Kulturellen Bildung aufgestellt sind, nicht als Bildungsurlaub anerkannt. Der Anspruch auf eine solche bezahlte Freistellung könne nur dann gültig gemacht werden, wenn die Veranstalter einen gewissen Anteil politischer oder beruflicher Bildung nachweisen können, was den Sommerakademien jedoch meist nicht möglich sei (vgl. B3: 75). Die Bedeutung einer Auseinandersetzung mit künstlerischen Objekten, Handlungen und darüber hinaus der Umwelt und eigenen Persönlichkeit sei nicht nur nicht erkannt worden, sondern würde oft auch belächelt, wie auch in ironischer Weise festgestellt wird: „Wenn man nur auf sein Holz schlägt, das reicht anscheinend nicht“ (B3: 75). Die angeblich fehlende Relevanz, um als Bildungsurlaub anerkannt zu werden, befördert daher „die Frage für mich persönlich, inwieweit nicht Kulturschaffen schon legitim genug ist (...)?“ (B2: 79). Diese Frage schließt damit an die Diskussion um eine geforderte Effektivität von (Kultureller) Bildung an, die seitens der Befragten höchst fragwürdig erscheint und einer gesellschaftlichen wie bildungspolitischen Stärkung derselben entgegenstehe.
Das Handeln der Kursleiter/innen wird also durch die aufgezeigten Kontextbedingungen Kultureller Bildung konkret gerahmt und gesteuert. So sind die Kursleiter/innen zum einen mit der Aufgabe konfrontiert, die Ressourcen und Herausforderungen einer alternden Teilnehmerstruktur zu erkennen und einen Umgang damit zu finden. Außerdem müssen sie sich der Risiken einer ökonomisierten Perspektive von Bildung bewusst werden und die darüber entstehenden Diskrepanzen zwischen bildungspolitischer Förderung und Marginalisierung Kultureller Bildung aushalten können, bzw. Möglichkeiten der Auflösung solcher Widersprüchlichkeiten finden. Noch größere Bedeutung für das eigene Handeln als Kursleiter/innen messen die Befragten jedoch den Charakteristika der Veranstaltungsform Sommerakademie bei, die im Folgenden aufgeschlüsselt werden.
- [1] Vgl. dazu auch Unterkategorie „Intensivkurse in der angebotsarmen Zeit des Sommers“