Beantwortung der Forschungsfrage in empirischer Hinsicht

Im Folgenden werden die Ausführungen zu der durchgeführten qualitativen Inhaltsanalyse zusammengefasst, um die leitende Forschungsfrage empirisch gestützt zu beantworten: Welche Potenziale und Herausforderungen bietet die Veranstaltungsform Sommerakademie im Kontext der Kulturellen Bildung für die Kursleiter/innen, um der Rolle des Initiators und Begleiters kultureller Bildungsprozesse gerecht zu werden?

Zunächst zeigen sich gewisse Rahmenbedingungen der Kulturellen Bildung als wichtige Einflussfaktoren für das Handeln der Kursleitenden, indem sich diese als Spannungsfelder für die Sommerakademie offenbaren. So sind die Kursleitenden in Folge des demographischen Wandels mit einer alternden Teilnehmerschaft konfrontiert, die zunächst sehr positiv bewertet wird. Diese verfüge nämlich über die erforderlichen zeitlichen, finanziellen als auch körperlichen Teilnahmebedingungen. Darüber hinaus lassen das im Alter steigende Bedürfnis nach künstlerisch-kultureller Entfaltung und die immer länger währende Ruhephase nach dem Erwerbsleben ältere Menschen zu einer wichtigen Zielgruppe werden. Gleichzeitig seien deren Ressourcen aber auch begrenzt oder gefährdet – z.B. durch die Ungewissheit bei der zukünftigen Sicherung der Altersversorgung – sodass die Gefahr eines baldigen Fernbleibens der gegenwärtigen Generation zu der Herausforderung führt, auch jüngere Teilnehmende (Schüler/innen, Student/innen und Erwerbstätige) zu akquirieren. Dies wird jedoch durch zunehmend ökonomisch geprägte Perspektiven auf Bildung erschwert. Die allgemein sinkenden staatlichen Zuschüsse, denen Kulturelle Bildung ausgesetzt ist, konfrontieren die Kursleitenden mit der Herausforderung, ihre Angebote stärker unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit konzipieren zu müssen. Die Forderung nach einer hohen Effizienz der Bildungsangebote, die mit der Notwendigkeit hoher Teilnehmerbeiträge zusammenhängt, wird als Widerspruch zur Idee, kulturelle Teilhabe flächendeckend zu ermöglichen, wahrgenommen. Insgesamt zeigt sich in diesem Kontext eine auffallende Diskrepanz, die sich zwischen der bildungspolitischen Förderung Kultureller Bildung und deren gleichzeitiger Marginalisierung auftut. So erfahre der positive öffentliche Bedeutungszuspruch an Kultureller Bildung insbesondere auf Länderund Bundesebene nicht die entsprechende praktische Umsetzung. Eine kommunale Unterstützung, wie sie in Marburg gegeben ist, wird deshalb besonders wertgeschätzt und als organisatorische Idealform bewertet. Sie erschließt die Möglichkeit die Teilnehmerbeiträge soweit zu senken, dass auch weniger finanzkräftige Interessierte erreicht und so dem Auftrag, kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, zumindest auf breiter Ebene nachgekommen werden kann.

Mit stärkerem Bezug zu der konkreten Veranstaltungsform Sommerakademie wurden insbesondere der Ordnungsrahmen und die daraus resultierenden Charakteristika der Veranstaltungsform als prägende Momente für das Handeln der Kursleitenden wahrgenommen. Die Möglichkeit über Intensivkurse die angebotsarme Zeit des Sommers zu überbrücken, macht die Sommerakademie in Zusammenhang mit einem zunehmenden Bedürfnis, seinen Urlaub aktiv und sinnerlebend, aber komprimiert zu gestalten, zu einem attraktiven Angebot. Die Veranstaltungsform erfährt deshalb einen wachsenden Boom, was trotz dieser angebotsarmen Zeit eine Konkurrenzsituation hervorruft, in der sich die einzelnen Akademien profilieren müssen. Das geschieht vor allem durch den Verweis auf die Qualität der Lehre und der Professionalität der Lehrenden. An diese ist wiederum die Aufgabe gestellt, mit den Anforderungen solcher Intensivkurse umzugehen. Die geforderte hohe Eigenaktivität und Selbstständigkeit der Teilnehmenden müsse in angemessener Weise begleitet und unterstützt werden, damit die Bedürfnislagen befriedigt werden und zur wiederholten Teilnahme motiviert wird. Dies setzten die Kursleitenden unter Beachtung weiterer Charakteristika um, wie der hohen Partizipation der freiwillig Teilnehmenden, die in möglichst jede Phase einer bedarfsdeckenden sowie bedürfnisweckenden Angebotsplanung und -durchführung einbezogen werden. Die daraus abgeleitete notwendige Planungsoffenheit seitens der Kursleitenden bedeutet auch, eine Beziehung zum Teilnehmenden herzustellen, die ein gleichberechtigtes Miteinander ermöglicht, ohne dass der Kursleitende seinen Status als Experte einbüßt. Auch die Arbeit mit der Gruppe, die als prägendes Element einer Sommerakademie mit all ihren heterogenen Erfahrungen, Bedürfnissen und Vorstellungen auftritt, wird bewusst in die Kursgestaltung einbezogen. Da der Einzelkorrekturunterricht nur begrenzt stattfinden könne, wird die Entwicklung einer Gruppe zur Interaktionsgemeinschaft, die untereinander in den Austausch tritt, durch gemeinsame Aktivitäten gefördert. So entstehen durch den Gruppenaustausch multidirektionale Lernprozesse, die konkret für die Initiierung und Begleitung der Bildungsprozesse fruchtbar gemacht werden. Die Interdisziplinarität, die in der Struktur der Marburger Sommerakademie angelegt sei, ermögliche es außerdem, eine gegenseitige Sensibilisierung für die Bereiche Darstellende und Bildende Kunst hervorzurufen und so die Horizonte der Teilnehmenden weiter zu öffnen.

Auch das Selbstund Professionsverständnis lenkt das Handeln der Kursleiter/innen maßgeblich. Damit die Kunstvermittlung von den Teilnehmenden als authentischer Prozess wahrgenommen wird, ist es wichtig, primär als Künstler/in aufzutreten, also die künstlerische Profession in den Vordergrund zu rücken. Der Künstlerhabitus des Dozierenden und die Möglichkeit, an diesem durch die Lehre ein Stück weit teilzuhaben, bietet den Teilnehmenden Orientierung im eigenen Kunstschaffen. Gleichzeitig kann dabei auch mit falschen Vorstellungen vom Künstler-Leben aufgeräumt und ein Verständnis für die eigene Profession aufgebaut werden. Daran anknüpfend kommt den Künstler/innen in der Rolle der/des Kursleitendenden eine Begleitfunktion bei der künstlerischen Auseinandersetzung zu. Durch das Setzen eines Ordnungsrahmens, der durch die Wahl spezifischer Themen, Materialien oder Techniken erzeugt wird, soll der/die Teilnehmende beim Kunstschaffen unterstützt werden. Nicht selten entsteht dabei in Zusammenhang mit der Intensität der Sommerakademie eine enge und kontinuierliche Bindung zu den Kursleitenden. Da diese in erster Linie eine künstlerische Ausbildung vorweisen, werden die pädagogischen Anforderungen, die mit der Lehre verbunden sind, als spannungserzeugende Momente wahrgenommen. Gruppen zu unterrichten ist deshalb zunächst eine unbekannte Praxis, die jedoch im Zuge der Kunstvermittlung als Vermischung beider Sphären eine wichtige Aufgabe wird. Die Aneignung der geforderten Kompetenzen findet hauptsächlich über eine aus konkreten Lehrerfahrungen erwachsenen Professionalisierung statt, die dann auch ein intuitives Handeln im didaktischen Bereich ermögliche. Auch der kollegiale Austausch in der Sommerakademie wie auch Lehrtätigkeiten in anderen Bildungssettings stellen wichtige Möglichkeiten zur Reflektion und Verbesserung der eigenen Lehre dar.

Nicht zuletzt zeigt sich auch das Aufgabenverständnis der Kursleitenden als handlungsleitendes Moment. Die primäre Aufgabe, die Teilnehmenden zur Auseinandersetzung mit kunstspezifischen Fertigkeiten, Themen und Fragen anzuleiten, beinhalte auch die Sensibilisierung für die (teilweise langwierige) Prozesshaftigkeit künstlerischen Arbeitens. Der hohe Aufwand für die Wahrnehmung, Bearbeitung und Reflektion des Kunstschaffens wird sowohl theoretisch aufgezeigt, als auch praktisch nachvollzogen, sodass sich die Teilnehmenden als schöpferische Wesen wahrnehmen können. Dies steht in einem engen Zusammenhang mit der Förderung einer künstlerischen Selbstständigkeit, die sich in der Entwicklung eines individuellen Duktus und der Fähigkeit, einen künstlerischen Schaffensprozess unabhängig vom Kursleitenden eigenständig initiieren und ausführen zu können, ausdrückt. Insbesondere die zeitliche Strukturierung der Sommerakademie, die eine intensive Auseinandersetzung zulässt, sowie die Möglichkeit des multidirektionalen Lernens helfen den Kursleitenden diesen Aufgaben nachzugehen. Letztendlich spielt auch das übergeordnete Ziel nachhaltig zur kulturellen Teilhabe zu befähigen eine weitere Rolle im Aufgabenverständnis der Kursleitenden. Die Partizipation am kulturellen Geschehen wird zum einen durch die Stärkung bereits vorhandener Interessen gefördert, als auch durch die interdisziplinären Strukturen der Veranstaltungsform erweitert, sofern diese durch die Kursleitenden aktiv in das Kursgeschehen eingebunden werden (z.B. über gemeinsame Veranstaltungen). Das Ziel, dass der/die Teilnehmende sich selbst als Teil der kulturellen Genese wahrnimmt, wird aber auch von einer klaren Abgrenzung zum professionellen Künstler begleitet. Der Gefahr der Selbstüberschätzung und damit Geringschätzung professioneller Kunst als negative Folge einer entstehenden künstlerischen Selbstständigkeit des Teilnehmenden kann durch hohe Anforderungen und der Intensität in der künstlerischen Arbeit entgegengewirkt werden.

Im Kontext dieser Ausführungen ergibt sich für die Sommerakademie zum einen die aus den gesellschaftlichen Entwicklungen resultierende Herausforderung der Teilnehmerakquise, die unter anderem über eine weiterhin starke Bedürfnisund Nachfrageorientierung sowie dem Einbezug künstlerischkultureller Trends und einem ausgefeilten Bildungsmarketing erfolgen muss. Für die Kunstvermittler/innen selbst bedeutet diese Veranstaltungsform eine zusätzliche Sicherung der eigenen sozialen Lage und die Möglichkeit, sich als Cultural Entrepreneur im Feld der Kulturellen Bildung zu professionalisieren und zu profilieren.

 
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