Experimente und nichtexperimentelle Studien

Biopsychologische Forschung umfasst sowohl experimentelle als auch nicht-experimentelle Studien. Zwei häufige Arten nicht-experimenteller Studien sind quasi-experimentelle, korrelative Studien sowie Fallstudien.

Experimente Das Experiment ist die Methode, die Wissenschaftler zur Aufdeckung von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen verwenden. Man kann sagen, dass Experimente die fast alleinige Grundlage für das Wissen sind, das die Basis unserer modernen Lebensart ist. Es ist paradox, dass eine Methode, die so komplexe Leistungen hervorbringt, selbst so einfach ist. Um ein Experiment an lebenden Probanden durchzuführen, legt der Experimentator zuerst zwei oder mehr Bedingungen fest, unter denen die Probanden getestet werden. Normalerweise werden unter jeder Bedingung verschiedene Probandengruppen getestet (Intergruppen-Versuchsplan; „be-tween-subjects design“), manchmal ist es aber auch möglich, dieselbe Probandengruppe unter jeder Bedingung zu testen (Intragruppen-Versuchsplan: „within-subjects design"). Der Experimentator weist die Probanden den Bedingungen zu, führt die experimentellen Manipulationen durch und misst das Ergebnis. Dabei sorgt er dafür, dass nur ein relevanter Unterschied zwischen den zu vergleichenden Bedingungen besteht. Dieser Unterschied zwischen den Versuchsbedingungen wird als unabhängige Variable (UV) bezeichnet. Die Variable, die vom Experimentator gemessen wird, um den Effekt der unabhängigen Variablen zu erfassen, wird abhängige Variable (AV) genannt. Wenn ein Experiment korrekt durchgeführt wird, dann muss jeder Unterschied zwischen den Bedingungen, der sich in der abhängigen Variable zeigt, kausal durch die unabhängige Variable bedingt sein.

Warum ist es so wichtig, dass sich die Versuchsbedingungen - außer in der unabhängigen Variable -nicht unterscheiden? Der Grund ist, dass es bei mehreren Unterschieden zwischen den Bedingungen schwierig ist festzustellen, ob die unabhängige Variable oder ein unbeabsichtigter Unterschied — der als konfundierende Variable bezeichnet wird - zu den in der abhängigen Variablen beobachteten Effekten geführt hat. Die experimentelle Methode ist zwar konzeptuell einfach, die Eliminierung aller konfun-dierenden Variablen kann aber ziemlich schwierig sein. Die Leser von Forschungsartikeln müssen daher immer darauf achten, ob die Experimentatoren kon-fundierende Variablen übersehen haben könnten.

Der amerikanische Präsident Calvin Coolidge und seine Frau Grace Coolidge Viele Studenten denken, dass der Coolidge-Effekt nach einem Biopsychologen benannt ist

Abbildung 1.2: Der amerikanische Präsident Calvin Coolidge und seine Frau Grace Coolidge Viele Studenten denken, dass der Coolidge-Effekt nach einem Biopsychologen benannt ist. Tatsächlich war aber Präsident Calvin Coolidge der Namensgeber, da von ihm die folgende Anekdote erzählt wird (falls die Geschichte nicht wahr ein sollte, sollten wir es zumindest glauben). Während eines Rundgangs auf einer Geflügelfarm wollte Frau Coolidge vom Farmer erfahren, wie es möglich ist, dass auf seiner Farm eine so große Anzahl an Eiern mit nur so wenigen Hähnen produziert werden kann. Der Farmer erklärte stolz, dass seine Hähne ihrer Pflicht mehrere dutzend Mal am Tag nachkommen. .Vielleicht könnten Sie Herrn Coolidge darauf hinweisen", bemerkte die first Lady mit betont lauter Stimme. Der Präsident hatte die Bemerkung gehört und fragte den Farmer: .Besteigt der Hahn jedes Mal dieselbe Henne?". .Nein", erwiderte der Farmer, .es gibt viele Hennen für jeden Hahn." .Vielleicht könnten Sie Frau Coolidge darauf hinweisen", antwortete der Präsident

Anhand eines Experiments von Lester und Gorzalka (1988) lässt sich sehr gut veranschaulichen, wie konfundierende Variablen durch ein gutes experimentelles Design verhindert werden können. In diesem Experiment wurde der sogenannte „Coolidge-Effekt“ nachgewiesen. Unter dem Coolidge-Effekt versteht man, dass das männliche Geschlecht nach Kopulation mit einem Sexualpartner bis zu einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zu einer weiteren Kopulation mit diesem Sexualpartner in der Lage ist, mit einem neuen Sexualpartner jedoch häufig dazu in der Lage ist (siehe ► Abbildung 1.2). Bevor sich der Leser nun wilden Phantasien hingibt, sollte vielleicht betont werden, dass es sich bei den Probanden in der Studie von Lester und Gorzalka um Hamster handelte und nicht um studentische Versuchspersonen.

Lester und Gorzalka argumentierten, dass der Coolidge-Effekt bisher bei Weibchen nicht nachgewiesen wurde, weil sich bei ihnen die Durchführung gut kontrollierter Coolidge-Experimente schwierig gestaltet - und nicht weil der Coolidge-Effekt bei Weibchen nicht auftritt. Das Problem besteht nach Lester und Gorzalka darin, dass die Männchen der meisten Säugetierarten sexuell schneller ermüden als die Weibchen. Dadurch sind Versuche, den Coolidge-Effekt bei Weibchen zu demonstrieren, immer mit der Ermüdung der Männchen konfundiert. Wenn also einem Weibchen inmitten der Kopulation ein neuer Sexualpartner präsentiert wird, so kann die dadurch ausgelöste Zunahme der sexuellen Empfänglichkeit des Weibchens ein echter Coolidge-Elfekt sein oder eine Reaktion auf die größere sexuelle Energie des neuen Männchens. Da weibliche Säugetiere normalerweise nur wenig sexuelle Ermüdung zeigen, ist diese konfundierende Variable für den Nachweis des Coolidge-Effekts bei Männchen kein ernstes Problem.

Lester und Gorzalka entwickelten eine clevere Methode, um diese konfundierende Variable zu kontrollieren. Sie ließen das zu untersuchende Weibchen mit einem Männchen (das bekannte Männchen) kopulieren, während gleichzeitig ein anderes, für den späteren Test notwendiges Männchen (das unbekannte Männchen) mit einem anderen Weibchen kopulierte. Danach pausierten beide Männchen, während das zu untersuchende Weibchen mit einem dritten Männchen kopulierte. Schließlich wurde das zu untersuchende Weibchen entweder mit dem bekannten oder dem unbekannten Männchen getestet. Als abhängige Variable wurde die Zeitdauer gemessen, während der das Weibchen eine Lordose zeigte. Darunter versteht man bei weiblichen Nagetieren eine paarungsbereite Haltung mit durchgedrücktem Rücken, erhobenem Hinterteil und zur Seite gelegtem Schwanz. Wie in ► Abbildung 1.3 dargestellt, reagierten die Weibchen im dritten Test sexuell stärker (länger anhaltende Lordosestellung) auf das unbekannte Männchen als auf das bekannte Männchen, obwohl das bekannte und das unbekannte Männchen gleichermaßen erschöpft waren und das Weibchen mit gleicher Intensität bestiegen. Dieses Experiment illustriert die Bedeutung eines guten experimentellen Designs für die Elimination konfundierender Variablen.

Experimentelles Design und Ergebnisse der Studie von Lester und Gorzalka

Abbildung 1.3: Experimentelles Design und Ergebnisse der Studie von Lester und Gorzalka (1988). Die weiblichen Hamster waren beim dritten Test dem unbekannten Männchen gegenüber sexuell empfänglicher als gegenüber dem Männchen, mit dem sie beim ersten Test kopuliert hatten.

Quasi-experimentelle Studien Die experimentelle Methode kann nicht zur Untersuchung aller Fragen, die Biopsychologen interessieren, eingesetzt werden. Physische oder ethische Gründe erlauben es oft nicht, die Untersuchungsprobanden bestimmten Versuchsbedingungen zuzuweisen oder diese zu realisieren, nachdem die Probanden zugewiesen wurden. Z. B. sind experimentelle Humanuntersuchungen über Himschäden infolge von Alkoholabhängigkeit nicht möglich, da es unethisch wäre, einen Probanden einer Versuchsbedingung zuzuweisen, die mit jahrelangem Alkoholkonsum verbunden ist. (Umgekehrt könnte man sich hier vielleicht auch fragen, ob die Zuweisung zu einer Kontrollbedingung, die jahrelange Alkoholabstinenz zur Folge hätte, ethisch vertretbar wäre.) In solchen Fällen können Biopsychologen quasi-experimentelle Studien durchführen, Studien also, bei denen Probandengruppen untersucht werden, die den interessierenden Bedingungen im echten Leben ausgesetzt waren. Diese Studien ähneln Experimenten, sind aber keine echten Experimente, da mögliche konfundierende Variablen nicht kontrolliert wurden - z. B. durch eine randomisierte Zuweisung der Probanden zu den Versuchsbedingungen.

In der quasi-experimentellen Studie von Acker und Kollegen (1984) wurden 100 entgiftete, männliche alkoholabhängige Patienten einer Alkoholismus-The-rapiestation mit 50 männlichen alkoholabstinenten Probanden, die aus verschiedenen Quellen rekrutiert wurden, verglichen. Die Gruppe der Alkoholiker schnitt in verschiedenen Tests zu perzeptiven, motorischen und kognitiven Fähigkeiten schlechter ab und eine Untersuchung ihrer Gehirne mit bildgebenden Verfahren wies ausgeprägte Gehimschädigungen nach. Obwohl diese quasi-experimentelle Studie wie ein Experiment aussieht, handelt es sich um kein Experiment. Da die Probanden ihre Gruppenzugehörigkeit selbst bestimmt haben - indem sie Alkohol tranken oder nicht -. hatten die Wissenschaftler keine Möglichkeit sicherzustellen, dass die Alkoholexposition die einzige Variable war. in der sich die beiden Gruppen unterschieden. Welche anderen Unterschiede, außer dem Alkoholkonsum, könnten zwischen einer Gruppe alkoholabhängiger und einer Gruppe alkoholabstinenter Personen noch bestehen? Welche anderen Variablen könnten die beobachteten neuroanatomischen oder intellektuellen Gruppenunterschiede noch erklären? Es gibt einige! Zum Beispiel sind Alkoholiker als Gruppe betrachtet eher schlechter ausgebildet, haben wahrscheinlicher Unfälle mit Kopfverletzungen, konsumieren wahrscheinlicher weitere Drogen und haben wahrscheinlicher schlechte Emährungsgewohnheiten. Quasiexperimentelle Studien konnten also auizeigen, dass Alkoholiker eher Himschäden aufweisen als Nicht-Alkoholiker. aber sie können nicht nachweisen, warum dies so ist. Sie erlauben also keine kausalen, sondern nur korrelative Schlussfolgerungen.

Erinnern Sie sich noch an Jimmie G.? Sein Zustand war die Folge eines langjährigen Alkoholkonsums.

Fallstudien Studien, die sich nur mit einem einzigen Fall oder Probanden beschäftigen, werden Fallstudien genannt. Da sie sich auf einen Einzelfall konzentrieren, liefern sie oft ein tiefergehendes Bild, als dies Experimente oder Quasi-Experimente tun. Außerdem sind sie eine hervorragende Methode, um überprüfbare Hypothesen zu generieren. Allerdings haben alle Fallstudien ein großes Problem: ihre Generalisierbarkeit, also das Ausmaß, in dem die Ergebnisse auf andere Fälle übertragen werden können. Da sich Menschen voneinander sowohl in ihrer Gehirnfunktion als auch in ihrem Verhalten unterscheiden, ist es wichtig, skeptisch gegenüber jeder biopsychologischen Theorie zu sein, die nur auf einigen wenigen Fallstudien basiert.

 
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