Durchführung der Interviews

Die fünf realisierten Interviews wurden in einem Zeitraum von einem Monat an unterschiedlichen Orten durchgeführt. Wichtig bei der Wahl der Orte war eine ruhige und ungestörte Atmosphäre. Es wurde darauf geachtet, dass der Ort keinen „öffentlich-administrativen Charakter der Interviewsituation“ (Thielen 2009: 88) herstellte, um eine mögliche Ähnlichkeit mit der Anhörung im Asylverfahren zu vermeiden und eine für die Erzählung förderliche Umgebung zu schaffen. Die Befragten wurden deshalb nach einem präferierten Ort gefragt. Einer der Befragten schlug sofort die Wohnung der Autorin vor, den anderen Befragten war der Ort ihren Aussagen zufolge egal, woraufhin die Autorin verschiedene Vorschläge einbrachte. So wurden drei Interviews bei der Autorin zuhause durchgeführt. [1] Die Interviews mit Nazim und Fadil wurden im Wohnheim B, in welchem die Befragten derzeit leben, durchgeführt. Das erste fand in der dortigen Bibliothek, das zweite im Raum der Hausaufgabenbetreuung, statt. Für die Befragten waren dies Orte, die ihnen vertraut sind und da die Autorin in dieser Gemeinschafsunterkunft ehrenamtlich tätig ist, waren auch für sie die Räumlichkeiten bekannt.

Nachdem das Forschungsvorhaben und der persönliche Bezug der Autorin zum Thema kurz vorgestellt, das Interviewverfahren erläutert und damit die Rollenverteilung zwischen dem Befragten, dem zunächst das alleinige Rederecht zugesprochen wurde, und der Autorin, die nach dem Erzählstimulus normalerweise anfangs keine Fragen stellt, ausgehandelt wurde, erfolgte die Erzählaufforderung. Die befragten Personen wurden gebeten, von ihrem Leben in Deutschland zu erzählen (vgl. Anhang I.). Dabei wurde ausdrücklich nach der zeitlichen Entwicklung seit der Ankunft bis in die Gegenwart sowie nach allen für den Befragten relevanten Erlebnisse und Erfahrungen in diesem Zusammenhang gefragt. Es wurde bei keinem der Interviews das Wort Handlungsfähigkeit seitens der Autorin erwähnt, sondern lediglich das Interesse am Leben von Personen mit einer Duldung in Deutschland artikuliert. Da diese Arbeit wie bereits erwähnt aufgrund von wenigen Erkenntnissen in diesem Bereich explorativ vorgeht, sollte somit eine subjektive Relevanzsetzung seitens der Befragten gewährt werden.

Die Interviews konnten nicht in idealtypischer narrativer Form durchgeführt werden. Aufgrund der Tatsache, dass Deutsch nicht die Muttersprache der Befragten ist, gab es während den Interviews Stellen, die inhaltlich von der Autorin nicht verstanden wurden und diese deshalb direkt nachfragte, um der weiteren Erzählung folgen zu können. Außerdem stellte sich heraus, dass sich bei den Befragten die Herstellung einer längeren Narration als schwierig gestaltete, weshalb die Autorin sehr häufig mit weiteren Fragen intervenierte. [2] Schlussendlich kann festgestellt werden, dass die durchgeführten Interviews mit einem Erzählstimulus als narrative Interviews begonnen wurden und auch im weiteren Verlauf versucht wurde, im Sinne dessen zu verfahren und keine Nachfragen mit eigenen Themenvorgaben zu stellen, sondern an bereits Erzähltes anzuknüpfen. Es wurden innerhalb der Interviews jedoch mehr Nachfragen als vorgesehen gestellt, sodass keine strikte Trennung von Haupterzählung und Nachfrageteil vorhanden ist. Aufgrund diesen Tatsachen muss schließlich von einem narrativen Interview mit Aspekten eines problemzentrierten Interviews gesprochen werden. Das problemzentrierte Interview, maßgeblich von Andreas Witzel (1982) entwickelt, ist wie das narrative Interview eine offene Befragungsform, welche auf subjektive Bedeutungen der Befragten zur Beantwortung bestimmter Fragestellungen zurückgreift (vgl. Mayring 2002: 69). Dabei ist es jedoch auf ein bestimmtes Problem zentriert, welches vor der Durchführung der Interviews von der bzw. dem Interviewenden bereits analysiert wurde und infolgedessen ein Interviewleitfaden erarbeitet wurde (vgl. ebd.: 67). Damit weist das problemzentrierte Interview einen höheren Strukturierungsgrad als das narrative Interview auf und kann als halbstrukturierte Befragungsform aufgefasst werden (vgl. ebd.). So wurden auch im Rahmen dieser Arbeit im Laufe der Interviewphase eine Art Leitfaden erarbeitet mit Thematiken, die sich als relevant für Handlungsfähigkeit herausstellten, und teilweise möglichen Formulierungsvorschlägen, welche gegebenenfalls (jedoch nicht durchgängig bei allen Befragten) angesprochen wurden.

Nach jedem Interview wurde ein Interviewprotokoll angefertigt um unter anderem den vorigen Überlegungen Raum zu geben und sie bei der späteren Interpretation der Interviewtexte berücksichtigen zu können. [3] In den Protokollen wurden jegliche Beobachtungen über das Treffen festgehalten. Es wurden erste Eindrücke und Gedanken über die Person festgehalten. Als wichtig erachtete Äußerungen vor bzw. nach der Aufnahme mit dem Tonbandgerät wurden ebenso wie Gedanken zur Atmosphäre, der Stimmung und der Interaktion mit der Autorin notiert. Dies erwies sich bei der Auswertung und Interpretation als sehr hilfreich, da dadurch einzelne Äußerungen des Erzählers während des Interviews besser verstanden und analysiert werden konnten, indem sie in einen größeren Kontext der Person gesetzt bzw. der mögliche Einfluss der Interaktionsbeziehung mitberücksichtigt werden konnte.

  • [1] Der Autorin ist bewusst, dass dies nicht der ideale Ort ist, da es für die Befragten (außer Raza) ein völlig fremder Ort ist; für die Autorin hingegen ihr Zuhause. Dies könnte eine Auswirkung auf die Erzählbereitschaft die Befragten haben, die sich durch den fremden Ort gehemmt fühlen können. Jedoch wurde ein öffentlicher Raum wie ein Café als zu laut sowie die dortige Präsenz unbekannter Personen als potentielles Hindernis für die Erzählung erachtet. Shaikh und Arash leben beide in einer Gemeinschaftsunterkunft, in welcher sie die Autorin aufgrund der mangelnden Privatsphäre nicht treffen wollten.
  • [2] Mögliche Gründe hierfür werden in der Diskussion (8.) erörtert.
  • [3] Die Interviewprotokolle von Raza und Nazim befinden sich im Anhang unter II. und III.
 
< Zurück   INHALT   Weiter >