Raza aus Pakistan
Raza ist zum Zeitpunkt des Interviews 27 Jahre alt. Er ist 2008 über Russland und Polen nach Deutschland gekommen, da er in Pakistan aufgrund von politischen Aktivitäten mit seinem in einer Oppositionspartei tätigen Onkel „Probleme“ hatte und keine Perspektive für sich in Pakistan sah. Bis dahin wohnte er mit seiner Familie in einem kleinen Dorf in Pakistan. Dort besuchte der Befragte acht Jahre die Schule, bevor er diese verlassen musste, um als Ältester der fünf Kinder auf dem Hof der Familie zu helfen. Einer seiner Brüder lebte sechs Jahre lang im Exil in Zypern, ist nun aber wieder nach Pakistan zurückgekehrt. Seit zwei Jahren ist Razas jüngster Bruder ebenfalls in Stadt B und wohnt dort in einer Gemeinschaftsunterkunft. Raza lebte zunächst vier Jahre in Stadt A in einer Gemeinschaftsunterkunft. Seit 2012 wohnt er mit seiner deutschen Frau, die er im September 2014 heiratete, in einer Mietwohnung in einem Stadtteil in Stadt B. Er arbeitet derzeit als Küchenhilfe in einem Restaurant.
Fokussierte Falldarstellung
Die Auswertung der Erzählung Razas nach den beschriebenen Schritten und Gesichtspunkten ergab eine Gliederung in acht spezifische Kontexte, deren nähere Betrachtung im Hinblick auf Razas Situation und Leben in Deutschland sowie dessen (wahrgenommene) Handlungsfähigkeit und Prozesse zur (Wieder-)Herstellung derer, als sinnvoll und nützlich ist.
Ankunft in Deutschland
Die erste Zeit in Deutschland, nachdem Raza einen Asylantrag gestellt hatte und sich in einer Erstaufnahmeeinrichtung befindet, ist von der Erkenntnis, dass in Deutschland alles „ganz anders als in Pakistan“ (Z. 17; vgl. auch Z. 22) [1] und damit neu für den Erzähler ist, geprägt. Dieses Gefühl scheint allgegenwärtig zu sein und „alles von..null bis hundert“ (Z. 20) in Deutschland zu betreffen. Die wahrgenommene Diskrepanz zwischen seinem Herkunftsland und Deutschland und die damit verbundene Fremdheit rufen bei Raza ein zwiespältiges Gefühl hervor: Einerseits ist es für ihn eine „sehr sehr (…) schwierige Zeit“ (Z. 11), da er niemanden kennt, kein Geld hat und der Landessprache nicht mächtig ist (vgl. 11ff.). Zeitenweise scheint diese Situation für den Befragten überfordernd und er spricht davon, dass er es nicht schafft, hier zu bleiben (vgl. Z.22). Der Befragte hat Angst zu versagen; Angst, dass er die Herausforderungen und Probleme, die sich unter anderem aus den Unterschieden zwischen Deutschland und Pakistan ergeben, nicht meistern kann. Das anfängliche Zurechtkommen in der deutschen Gesellschaft ist für Raza mit viel Anstrengung verbunden. Das oben beschriebene Gefühl löst bei dem Erzähler jedoch nicht nur Angst vor einem Scheitern, sondern andererseits auch aktive Handlungen hervor. So versucht er bereits in den ersten Tagen, Deutsch zu lernen. Schon von Beginn an ist ihm klar, dass das Erlernen der Sprache ein wichtiges Mittel ist, um in Deutschland zurecht zu kommen (vgl. Z. 11, Z. 16, Z. 23). Der Erzähler zeigt sich dem „Sozialsystem“ (Z. 13) gegenüber dankbar, welches ihm seiner Aussage nach „viel geholfen“ (Z. 13f.) hat. Gleichzeitig wird deutlich, wie wenig Einfluss Raza auf seine derzeitige Situation, genauer gesagt auf die Wahl seines neuen Aufenthaltsortes, hat. So schildert er, wie ihn das „Sozialsystem und Asyl“ (Z. 13) „genommen“ (Z. 14) und ihn dann in Stadt B „geschickt“ (Z. 35) hat.
- [1] Da die Zeilenverweise sich in den Falldarstellungen immer auf das beschriebene Interview beziehen, wird unter 6. bei Zeilenverweisen auf die Namen der Befragten verzichtet.