Musik und Tanz als Ausdruck persönlicher Interessen und Fähigkeiten
Im Gegensatz zu Erzählungen über die Suche nach einer Arbeit und der unzufriedenstellenden Wohnsituation vermittelt Nazim bei Erzählungen über die Musik und dem Tanzen das Bild eines handlungsfähigen und selbstbestimmten Individuums, welches ein Hobby ausübt und dies „gerne“ (Z. 234) tut. Nazim ist Sänger in einer Musikgruppe, die im Rahmen des Romabüros der Stadt B entstanden ist. Die Lieder, die sie dort singen und spielen, sind auf Albanisch und Romanes, weshalb sie auch oft auf Hochzeiten von Roma spielen. Das Mitwirken in einer Musikgruppe stellt für Nazim ein Weg dar, Traditionen aus seinem Herkunftsland in Deutschland weiterzuführen und damit eine Verbindung zum Kosovo, den er ungewollt mit seiner Familie verlassen musste, aufrechtzuerhalten. Als Sänger spielt Nazim eine wichtige Rolle in der Musikgruppe, welche laut ihm auf ihn angewiesen ist (vgl. Z. 257ff.).
Neben dem Singen in der Band ist es vor allem Hip Hop sowie Breakdancetanzen, welches für Nazim eine zentrale Rolle in seinem Leben spielt. Er ist verantwortlich für die Tanzgruppe des Romabüros, was unter anderem das Training von jüngeren Kindern als auch Gleichaltrigen und Erwachsenen beinhaltet (vgl. Z. 293ff.). Der Befragte erzählt von Tanzturnieren im Kosovo bzw. im „ganze[n] Balkan“ (Z. 272). Somit stellt auch das Tanzen ebenso wie das Singen eine Verbindung zu Nazims Leben vor der Flucht, in dem er viel und gut tanzte, dar. Nazim bezeichnet sich selbst als „Halbprofi“ (Z. 270) und beschreibt eine Tanzstunde, in welcher er die Choreographie vortanzt und bei Bedarf die anderen korrigiert. Das Tanzen ist für den Befragten im Gegensatz zu seiner bislang erfolglosen Arbeitssuche und dem damit vergeblichen Bemühen um eine Aufenthaltserlaubnis, ein Bereich in seinem Leben, in dem er sich seiner Fähigkeiten und Talente bewusst ist und diese gewinnbringend einsetzen kann. Er wird von den anderen respektiert und gebraucht. Anders als bei seinem Schulbesuch, der für ihn mit viel Anstrengung und Misserfolgen verbunden ist, sind das Tanzen und das Singen durch Freude, Freiwilligkeit und Begabung gekennzeichnet. Zusätzlich dazu nimmt er das Tanzen als auch das Singen in der Musikgruppe als eine gemeinschaftsstiftende Beschäftigung wahr (vgl. Z. 296ff.). Demgegenüber steht beispielsweise die Tatsache, dass er als einziges Familienmitglied noch immer eine Duldung hat und deshalb im schlimmsten Falle auf sich selbst gestellt ist. So ist er ebenso allein dafür verantwortlich, mithilfe einer Ausbildung oder einer Arbeit eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen.