Rechnen mit Beziehungen

Um Kinder zum Rechnen mit Beziehungen, also zum Ableiten des Ergebnisses einer Aufgabe aus einer bereits gelösten oder automatisierten Aufgabe anzuregen, muss diese, für verfestigt zählende Kinder herausfordernde und anstrengende, Strategie Vorteile mit sich bringen. Dies kann der Fall sein, wenn die Aufgaben herausfordernd sind in dem Sinne, dass „die vertrauten Strategien versagen oder zumindest beschwerlich werden“ (Gaidoschik, 2009, S. 73). Das heißt, dass Kinder mit Aufgaben konfrontiert werden müssen, bei denen der Vorteil des Ableitens gegenüber den zählenden Strategien deutlich wird. Dazu sind mehrere Vorgehensweisen denkbar (Gerster, 2013, Krauthausen & Scherer, 2007).

a) Systematisches Erarbeiten der Ableitungsstrategien

b) Anbieten herausfordernder Aufgaben, dazu unterschiedliche Strategien anbieten und reflektieren

c) Ableiten im Sinne des Nutzens operativer Strukturen

a) Das direkte Anleiten von Ableitungsstrategien findet sich in Aufträgen wie „vom leichten zum schweren“ (Wittmann & Müller 2012, S. 55; Gerster 2009, Krauthausen, 2005; Schütte 2008). Kinder werden hier angeregt, über den direkten Vergleich von Aufgaben oder über eine Veränderung der Aufgabendarstellung Ergebnisse schwieriger Aufgaben aus Ergebnissen von Kernaufgaben abzuleiten. Gelingt es, die Beziehung zwischen Aufgaben in den Mittelpunkt zu stellen und nicht einen Algorithmus zu lehren, könnte ein direktes Thematisieren von geeigneten Ableitungsstrategien für zählend rechnende Kinder eine Hilfe sein, Ableitung nicht als Überforderung wahrzunehmen, sondern auf dieser Weise eine Grundeinsicht in die Beziehung aufzubauen (Gaidoschik, 2009). Eine Gefahr besteht jedoch darin, dass die Anleitung zur Ableitung zu einem Algorithmus wird, der ohne Verständnis mechanisch ausgeführt wird.

b) Das Anbieten herausfordernder Aufgaben wird dann fruchtbar, wenn zumindest ein Teil der Kinder über alternative Strategien zum zählenden Rechnen verfügt. Kinder, die bereits Zahleigenschaften und Zahlbeziehungen beim Lösen von Aufgaben nutzen um bspw. eine Zahl geschickt zu zerlegen oder Beziehungen zwischen Aufgaben herzustellen, können diese beim Austausch über die verwendeten Strategien einbringen. Ähnlich dem systematischen Erarbeiten der Ableitungsstrategien müssen diese dann erläutert, am Material konkretisiert und für alle Kinder verbindlich bei vergleichbaren Aufgaben erprobt werden. Als Anlass steht jedoch eine von einem Kind eingebrachte Strategie und nicht die didaktische Setzung der Lehrkraft. Dies hat Vorund Nachteile. Auf der einen Seite kann das Interesse am Lösungsprozess eines anderen Kindes motivieren, auf der anderen Seite können sich Kinder mit anderen Strategien zurückgesetzt und demotiviert fühlen, da ihre Vorgehensweise nicht in gleicher Art und Weise besprochen wird, auch wenn sie mit viel Anstrengung zum richtigen Ergebnis gelangt sind.

c) Operative Päckchen bzw. Aufgabenpaare sollen über die zugrunde liegende operative Struktur die Kinder zum Nutzen dieser Struktur anregen (Steinweg 2001). Ein typisches Beispiel sind „Schöne Päckchen“, bei denen einer oder beide Summanden, bzw. Minuend und/oder Subtrahend, auf eine konstante Art verändert werden (z. B. 13 – 3, 13 – 4, 13 – 5, 13 – 6). Durch das Erkennen der Zahlbeziehung in der die Minuenden bzw. die Subtrahenden der Aufgaben stehen und unter Beachtung der Veränderung durch die Operation können die Differenzen der einzelnen Aufgaben aus den Ergebnissen der anderen Aufgabe abgeleitet werden.

Dies erfordert jedoch als erstes, dass Kinder das Muster wahrnehmen und die innewohnende Struktur erkennen. Dies gelingt mit zunehmendem Alter und zunehmender Rechenkompetenz besser, da ältere und leistungsstärkere Kinder in größerem Maße in der Lage sind, unterschiedliche auftretende Strukturen eines Muster zu erfassen und bei der Fortsetzung von Mustern zu nutzen (Steinweg, 2001). Auch hier zeigt sich der Einfluss des Mathematikunterrichts: Kinder im dritten und vierten Schuljahr erkennen und beschreiben nach der unterrichtlichen Thematisierung eines mathematischen Musters, wie z. B. einem

"Schönen Päckchen", die dieses Muster konstruierenden Strukturen quantitativ und qualitativ besser (Link, 2012). Das Erkennen von Mustern in operativen Päckchen kann und muss somit gelernt werden.

Gaidoschik untersuchte im Rahmen seiner Studie als sogenannte Zusatzaufgaben auch das Erkennen von Strukturen in „Schönen Päckchen“. Mitte des ersten Schuljahres zeigte ein Großteil der Kinder Schwierigkeiten die operativen Zusammenhänge zu beschreiben, auch wenn sie es korrekt fortsetzen konnten. Das Beschreiben von Strukturen scheint somit schwieriger als das Fortsetzen derselben. Gaidoschik selbst vermutet, dass die Schwierigkeiten der Kinder beim Beschreiben auf Defizite in der Verbalisierungsfähigkeit zurückgeführt werden können (2010, S. 371). Möglich scheint jedoch auch, dass sich gerade im Verbalisieren zeigt, inwiefern die Beziehungen im Muster verstanden und bewusst genutzt werden oder es sich eher um eine intuitive Form des Ableiten unter Nutzen von Zahlbeziehungen handelt (vgl. 2.1.2). Mit dieser kommen die Kinder zwar zum richtigen Ergebnis; sie scheint aber noch wenig belastbar. Dies kann allein über die Aufforderung „Erklär mir das ein bisschen“ (Gaidoschik, 2010, S. 370) nicht herausgefunden werden. Zudem zeigt die Studie, dass die prinzipielle Fähigkeit zum Erkennen von Strukturen nicht dazu zu führen scheint, dass diese immer auch genutzt werden. Ebenso können Strukturen in Kontexten genutzt werden, ohne dass Kinder diese in anderen Aufgabenzusammenhängen klar verbalisieren können. Die von Link (2012) beschriebenen musterspezifischen Phänomene des Erkennens der Strukturen zwischen verschiedenen Aufgabenformaten werden hier auch bereits zwischen unterschiedlichen operativen Serien sichtbar (Gaidoschik, 2010, S. 372).

Jeder der aufgezeigten Wege zur Anbahnung von Ableitungsstrategien hat Vorteile aber auch Hürden, die überwunden werden müssen. Deshalb geht es nicht darum, sich exklusiv für einen Weg zu entscheiden, sondern alle Möglichkeiten in geeigneter Form zu nutzen, um zählend rechenden Kindern beim Nutzen von Beziehungen zu unterstützen.

Für alle hier darlegten mathematikdidaktischen Überlegungen gilt: Es sind weder „besondere“ Ziele, noch „besondere“ Inhalte oder „besondere“ Methoden. Sie sprechen die Grundkompetenzen und Unterrichtsprinzipien an, die im Verlauf der ersten Grundschuljahre von allen Kindern gelernt werden müssen. Doch zählend rechnende Kinder haben diese nicht oder nicht im ausreichenden Maße erworben. Eine Förderung mit dem Ziel der Ablösung vom zählenden Rechnen muss deshalb auf die Grundlegung genau der Elemente und Fertigkeiten abzielen, auf die es entscheidend ankommt (Wittmann, 2001), also auf das Erkennen und Nutzen von Strukturen (Häsel-Weide, 2013). Dazu reicht eine reine Wiederholung des Unterrichts, in dem die Kinder ihre zählenden Strategien verfestigt haben, nicht aus, weil „erfolgloser Unterricht […] durch Wiederholung nicht erfolgreich [wird]“ (Lorenz 2003, 100). Die Förderung muss gezielt(er) die grundlegenden mathematischen Strukturen ansprechen.

 
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