Interaktion in kooperativen, mathematischen Lernprozessen
Die Analyse der Studien zur Kooperation hat gezeigt, dass die Art und Weise der Interaktion in der Kooperation zentral für ein Gelingen ist. Hierzu gibt es eine Vielzahl von theoretischen Überlegungen und empirischen Untersuchung mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Im Folgenden werden deshalb nur die Überlegungen und Untersuchungen betrachtet, die Interaktionen der Schülerinnen und Schüler in kooperativen Lernprozessen in den Blick nehmen. Interaktion wird dabei verstanden als wechselseitig-soziale Einwirkung, „in der die an der Interaktion Beteiligten während der Bearbeitung einer Aufgabenstellung Sinndeutungen über mathematische Ereignisse kommunizieren und koordinieren oder aber auf den anderen abzustimmen versuchen“ (Steinbring & Nührenbörger, 2010, S. 170).
Interaktionsformen in kooperativ geprägten mathematischen Lernsituationen
Wie Grundschulkinder miteinander interagieren, wurde in zahlreichen Studien mit unterschiedlichen Schwerpunkten untersucht. In einer der ersten deutschsprachigen Studien entwickelte und erprobte Röhr (1995) Lernumgebungen für kooperative mathematische Lernprozesse. Während in vielen Studien zum kooperativen Lernen die Methode im Mittelpunkt steht und (mathematische) Inhalte passend dazu gewählt werden, stellte Röhr (1995) die fachdidaktische Analyse der mathematischen Lernumgebungen in den Mittelpunkt. Die ausgewählten Lernumgebungen wurden zunächst darauf analysiert, inwieweit sie Kriterien für kooperationsfördernde, mathematische Aufgabe genügten. Dazu zählte z. B. die Ermöglichung aktiv-entdeckenden Lernens und mehrerer Lösungswege, Beziehungsreichtum und Komplexität (Röhr, 1995, S. 76). Die Lernumgebungen wurden dann von unterschiedlichen Grundschulklassen bearbeitet und Röhr analysierte, inwieweit aus dieser Perspektive ein Gewinn durch die Kooperation entstehen kann. Ein Fazit ihrer Untersuchung ist: „Kooperatives Lernen muss nicht von außen inszeniert, sondern kann von der Sache her durch geeignete Aufgaben entwickelt werden. Die spontanen Fähigkeiten der Kinder zur selbstgesteuerten Kooperation und die dabei erbrachten Leistungen erweisen sich als beachtlich“ (Röhr, 1995, S. 258).
Diese Aussage scheint der Einschätzung zu widersprechen, dass formelle Kooperation gewinnbringender ist als informelle. Allerdings muss bedacht werden, dass Röhr die Kriterien, nach denen sie die Wirkung des kooperativen Lernens beurteilt, nicht präzise offen legt und es sich um eine qualitative Untersuchung handelt. Insofern ist fraglich, wie belastbar die Einschätzung ist. Möglich ist jedoch auch, dass gewählten mathematischen Lernumgebungen sich von denen in pädagogisch-psychologisch ausgerichteten Studien unterscheiden und die Differenzen in den Ergebnissen hierauf zurückzuführen sind.
Röhr analysiert die Interaktionen der Kinder während der Kleingruppenarbeit. Hier zeigten sich bestimmte Verhaltensmuster, die Röhr als "kooperative Muster" charakterisiert, die sie wie folgt unterscheidet (1995, S. 225ff):
Muster 1: Vorschläge der Kinder für gemeinsames Vorgehen Muster 2: Gemeinsame Entwicklung von Lösungsideen Muster 3: Argumentatives Vorgehen der Kinder
Diese kooperativen Muster zeigten sich übergreifend bei der Bearbeitung von unterschiedlichen Themen. Daraus kann gefolgert werden, dass es keine Muster sind, die von bestimmten Lerninhalten abhängen, sondern grobe Interaktionsmuster, die sich beim kooperativen Lernen in mathematischen Lernumgebungen zeigen. Welches Muster zu einer erfolgreichen Auseinandersetzung einzelner Kinder mit den Lerninhalten führen und wie sie ggf. initiiert werden können, wurde von Röhr (1995) nicht untersucht.
Dekker und Kollegen richten ebenfalls den Blick auf die Interaktion bei der kooperativen Lösung von Aufgaben (Dekker & Elshout-Mohr, 1998; Pijls, Dekker, & van Hout-Wolters, 2007). Sie untersuchen sogenannte kommunikative Schlüsselaktivitäten, wie "erklären", "verteidigen", "rekonstruieren" und "zeigen", welche zum mathematischen Verständnis beitragen, gut beobachtbar sind und von den Lernenden in der Kooperation gezeigt werden (Dekker & Elshout-Mohr, 1998, S. 305). Daneben identifiziert das Autorenteam regulierende Interaktionsaktivitäten wie z. B. "nachfragen". Dekker und Kollegen untersuchten bei Lernenden der Sekundarstufe, ob Schülerpaare einen mathematischen Gegenstand besser verstehen, wenn in der Interaktion bei ihnen Schlüsselaktivitäten zu rekonstruieren sind. Dazu untersuchten sie die Interaktion der Lernenden beim gemeinsamen Bearbeiten der Aufgabe und identifizierten in einzelne Aussagen oder Handlungen Schlüsselaktivitäten. In ihren Analysen kommen sie zu dem Schluss, dass eine aktive Ausführung von Schlüsselaktivitäten bedeutsam für erfolgreiches Lernen ist (Dekker & Elshout-Mohr, 1998; Pijls et al., 2007).
Götze (2007) untersuchte den Austausch von Kindern nach der individuellen Bearbeitung von Aufgaben in "Mathekonferenzen". Im Gegensatz zu den oben beschriebenen Settings ist im kooperativen Setting "Mathekonferenz" die Aufgabenlösung bereits abgeschlossen. Die Kinder besprechen hier die bereits bearbeiteten Aufgaben miteinander, um diese in der Klasse zu präsentieren. Götze betrachtete zum einen die Art und Weise wie die Kinder in der Mathekonferenz miteinander kommunizieren. Zum anderen untersuchte sie, ob Kinder, die sich im Rahmen der Rechenkonferenz austauschen, anschließend mehr Transferaufgaben lösen können als Kinder, denen nach einer individuellen Beschäftigung mit den Aufgaben die Ergebnisse der Rechenkonferenzen präsentiert wurden (Götze, 2007, S. 90). Als lernförderlich beschreibt sie die Interaktionsweisen "interaktiver Einbezug", "paraphrasierend", "allmählich verfertigend" und die "Thematisierung falscher Lösungswege". Sie fokussiert also nicht auf Aktivitäten eines Kindes wie Dekker und Kolleginnen, sondern beschreibt Interaktionsweisen in der Gruppe zusammen. Neben den oben aufgeführten wurde noch das vortragsähnliche "systematische Erklären" eines Lösungsweges beobachtet. Dieses erwies sich jedoch nicht als lernförderlich, „da die Kinder hierbei nicht in Interaktion untereinander und mit der Aufgabe getreten sind“ (Götze & Meyer, 2010, S. 151).
In der Studie von Götze scheinen auch diejenigen Kinder, die in der "Mathekonferenz" eher zuhören, aus der Interaktion mit den Mitschülern gelernt zu haben (2007, S. 190). Die Ergebnisse unterscheiden sich demnach von denen aus der Studie von Plijs, Dekker und van Hout-Wolters (2007), die die Bedeutsamkeit der eigenen "Schlüsselaktivität" betonen. Möglicherweise kann dies durch die vorhergehende, individuelle Bearbeitung der Kinder erklärt werden. Offen bleibt, wie genau diese lernförderlichen Interaktionen angeregt werden können oder welche Rahmenbedingungen über die individuelle Bearbeitung der Aufgabe hinaus notwendig sind.
Brandt beschäftigte sich ebenfalls mit den interaktiven Prozessen innerhalb von Mathekonferenzen (2009). Sie analysierte und verglich die Partizipationsmöglichkeiten von Kindern zwischen den Kooperationsformen "Rechenkonferenz" und "Gruppenpuzzle". Während die Mathekonferenzen auf Austausch und Präsentation von Ideen setzen, ist das Ziel der ersten Phase des Gruppenpuzzles die gemeinsame Ideenentwicklung. Schon von der Anlage der kooperativen Lernsituation stehen verschiedene Ziele im Vordergrund. Ob und wie diese Situation auf die Interaktionsprozesse wirken, soll mit Hilfe sogenannter Strukturierungsprozesse geklärt werden (Brandt, 2009). Damit werden Muster in der Interaktion wie z. B. die gemeinsame „Klärung“ von Ideen oder der längere
„Vortrag“ bezeichnet. Es zeigte sich, dass Phasen mit hoher Interaktionsdichte eher diese sind, in denen Ideen entwickelt werden, wie z. B. eine Lösungsfindung in der ersten Phase des Gruppenpuzzles. In Phasen der Vermittlung von Ideen im Rahmen von Mathekonferenzen oder der Vermittlungsphase des Gruppenpuzzles bestanden kaum noch aktiv-tätige Partizipationsmöglichkeiten. Doch nicht nur die Form des kooperativen Lernens beeinflusst die Interaktion, die Kinder selbst gestalten ihre Möglichkeiten während des kooperativen Lernens unterschiedlich (Brandt & Höck, 2011; Brandt & Tatsis, 2009). Es zeigte sich, dass auf der einen Seite für eine gelingende Kooperation eine Übereinstimmung in den Ideen wichtig ist, diese aber die Gefahr birgt, dass das Vorgehen so ähnlich wird, dass Unstimmigkeiten nicht mehr wahrgenommen werden (Brandt & Höck, 2011). An dieser Stelle kann über andere formale Formen kooperativen Lernens, die einen Wechsel der Kooperierenden mit sich bringen, eine neue Produktivität durch neue Ideen in die Kooperation gebracht werden.
Vergleichende Zusammenfassung
Bei aller Unterschiedlichkeit der referierten Arbeiten zu Kooperation und Interaktion im Mathematikunterricht ist ihnen gemeinsam, dass sie die Bedeutung der Interaktion für mathematisches Lernen zwischen Kindern herausstellen und dies durch unterschiedliche Forschungsergebnisse stützen. Sowohl Tests außerhalb der kooperativen Aufgabenbearbeitung als auch durch qualitative Analysen der Interaktionsprozesse unterstützen die Annahme, dass kooperatives Arbeiten mathematisches Lernen begünstigen kann. Doch wie diese Lernprozesse in der Interaktion erfolgen und was genau gelernt wird, kann mit den beschriebenen Methoden nicht erfasst werden, da der Schwerpunkt auf der Beschreibung der sozialen Prozesse liegt. Hier bedarf es Forschungen, die nicht nur die Interaktion betrachten, sondern zudem den Blick auf das mathematische Wissen der Kinder legen.