Kooperatives Lernen

Individuelle Förderung ist stets in kollektive Lernprozesse zu integrieren, um mathematisches Verständnis anzuregen (vgl. Kap. 3). Dabei scheinen Formen der formalen Kooperation geeignet, um die Interaktion und Kooperation zwischen den Kindern zu initiieren. Methoden aus dem kooperativen Lernen (Green

& Green, 2007; Johnson et al., 2005) fokussieren jedoch auf methodische Überlegungen, ohne gezielt eine Passung zum Inhalt oder gar Fach zu thematisieren. Bei der Ablösung vom zählenden Rechnen steht jedoch die Auseinandersetzung mit Inhalten im Mittelpunkt. Die methodische Entscheidung muss mit der didaktischen abgestimmt werden, um eine bestmögliche Wechselwirkung zu erreichen (Meyer, 1993). Mit anderen Worten: Bei der Wahl der kooperativen Methoden ist darauf zu achten, dass diese in besonderer Weise geeignet sind, die Ziele der Lernumgebungen zu transportieren.

Unter anderem aus dem jahrgangsgemischten Unterricht sind Kooperationsmethoden für den Mathematikunterricht bekannt und erprobt (Brandt & Nührenbörger, 2009; Nührenbörger & Pust, 2011). Gemäß bisherigen Erkenntnissen soll die kooperative Arbeitsphase insbesondere für Kinder mit mathematischen Lernschwächen stark strukturiert sein. Deshalb findet eine Beschränkung auf zwei methodische Settings statt, in denen die Kinder zu zweit tätig werden.

Aufgegriffen wird die Idee der „diskursive[n] Aufgabenformate“ (Brandt & Nührenbörger, 2009), die gekennzeichnet ist durch ihre Offenheit gegenüber verschiedenen Lösungswegen, die Übertragbarkeit auf unterschiedliche Darstellungsmöglichkeiten und die Möglichkeit, weitere Fragen zu entwickeln oder ähnliche Strukturen an anderen Aufgaben zu erkennen. Solche Formate verknüpfen mathematische Inhalte und fordern die Lernpartner heraus, über diese zu kommunizieren. „Die initiierten Gespräche beschränken sich somit nicht auf die Mitteilung von Lösungsprozeduren oder Ergebnissen, sondern haben vielmehr die Begründungskontexte für mathematische Zusammenhänge als Kinder“ (Häsel-Weide et al., 2014, S. 39). Die gemeinsame Tätigkeit der Kinder beinhaltet Aktivitäten zum (1) Erzählen und Berichten über die eigenen Vorstellungen und Vorgehensweisen, (2) Vergleichen und Hinterfragen und (3) Beschreiben und Begründen spezifischer mathematischer Zusammenhänge.

Dabei muss im Blick behalten werden, dass die Kinder zu Beginn des zweiten Schuljahres diese Aktivitäten vielfach erst lernen müssen. Dies gilt insbesondere für zählend rechnende Kinder, die häufig auch über den Bereich der Mathematik hinaus Schwierigkeiten beim Lernen zeigen. Die Erwartungen an die Dokumentationen und Interaktion der Kinder dürfen deshalb nicht zu hoch sein, sondern die Kinder müssen auf ihrem Weg im Sinne Wembers (1999) begleitet und durch geeignete Angebote unterstützt werden.

Bei der Konstruktion der Lernumgebung zur Ablösung vom zählenden Rechnen wurde deshalb darauf geachtet, die Anforderung durch die Kooperation gering zu halten. Zum einen wurde eine Beschränkung auf eine möglichst feste Kooperation in Partnerarbeit vorgenommen. Dies hat den Vorteil, dass die sozialen Anforderungen an die Kinder geringer sind als in wechselnden Gruppen. Zum anderen wurde die Partnerarbeit in allen Einheiten gemäß zweier fester methodischer Settings umgesetzt (Häsel-Weide, 2013b):

Im kooperativen Setting "Wippe" arbeiten die Kinder gemeinsam an einer Aufgabe. Dabei übernehmen sie unterschiedliche, aufeinander bezogenen Tätigkeiten.

Dies führt dazu, dass die Kinder die Deutungen des Partnerkindes aufgreifen und interpretieren und damit weiterarbeiten müssen. Bei dieser Art der Kooperation ist es zentral, dass die Aufgabenstellung unterschiedliche Deutungen erlaubt, so dass über Deutungsdifferenzen ggf. ein Diskurs über die Strukturen entsteht.

Im kooperativen Setting "Weggabelung" arbeiten die Kinder zunächst individuell, bevor sie dann ihre Produkte vergleichen und gemeinsam eine aufbauende Aktivität durchführen. Bei dieser Art der Kooperation ist es zentral, dass die Kinder nicht identische, sondern analoge Aufgaben bekommen, die den Blick auf die Struktur der Aufgaben lenken.

Zusammenfassend werden also in der unterrichtsintegrierten Förderung zur Ablösung vom zählenden Rechnen zwei methodische Settings eingesetzt, die in Wechselwirkung mit der inhaltlichen Gestaltung der Aufgaben dazu dienen sollen, Kinder in der Interaktion und Kooperation miteinander zu einer strukturfokussierenden Sicht anzuregen. Im Folgenden werden diese theoretischen Überlegungen an zwei Beispielen konkretisiert.

Konkretisierung an ausgewählten Aufgabenbeispielen

Beispiel 5: Zerlegungen an Punktbildern Wippe

Abbildung 5.8: Punktebilder zum Zerlegen und Deuten

Die Kinder erhalten im Rahmen der Förderung des Teile-Ganzes-Verständnisses drei gleiche Punktbilder, zu denen sie Zerlegungen finden sollen. Inhaltlich ist das Ziel, dass die Kinder erkennen, dass eine Menge auf unterschiedliche Art und Weise zerlegt werden kann, wobei die Ausgangsmenge stets gleich bleibt. Im kooperativen Setting "Wippe" nennt ein Kind die Zerlegung und das Partnerkind kreist diese am Punktbild ein. Während das erste Kind in das Ganze Teile hineinsieht, muss das Partnerkind die genannte Zerlegung seinerseits deuten und in der Darstellung identifizieren. Da es mehrere Möglichkeiten des Deutens und Einkreisen gibt, kann ein produktiver Diskurs zwischen den Kindern entstehen. Durch die "Wippe" wird somit ein Austausch über unterschiedliche Zerlegungen initiiert, der die Einsicht in die Gleichheit von Zerlegungen bei unterschiedlicher äußerer Gestalt ermöglicht.

Beispiel 6: Vergleich von analogen Aufgaben Weggabelung

Bei der Bearbeitung der Zahlenhäuser erhalten die Kinder zunächst je die Hälfte eines Arbeitsblattes (d.h. ein Zahlenhaus) und werden aufgefordert, die entsprechenden Zerlegungsaufgaben zu finden. Anschließend legen sie Häuser nebeneinander und überlegen gemeinsam, welche Aufgaben zusammen passen. Die Aufgaben werden im Haus so sortiert und notiert, dass die Summanden aufeinander folgen („wie in einem Aufzug“, Nührenbörger / Pust 2011). Dieses Ordnungskriterium stellt einerseits für zählend rechnende Kinder eine Hilfe beim Finden aller Zerlegungsaufgaben dar und fokussiert andererseits auf die mathematischen Strukturen „Konstanz der Summe“ und „Kommutativität“. Bei den ausgefüllten Zahlenhäusern stehen bei nebeneinander gelegten Zahlenhäusern jeweils die kommutativen Aufgaben in einer Zeile und die innen liegenden Summanden entsprechen der Zahlreihe. Zwar gelten diese Strukturen in jedem Zahlenhaus, das „wie in einem Aufzug“ sortiert ist, doch der Vergleich der analogen Häuser macht diese Kriterien besonders deutlich.

Nach dem Kinder gemäß der "Weggabelung" jeder für sich das Zahlenhaus ausgefüllt haben, werden die fertigen Häuser nebeneinander gelegt und verglichen. Die Aufgabe für die Kinder ist zum einen die Aufgaben, die zusammengehören, in der gleiche Farbe anzumalen. Zum anderen soll notiert werden was auffällt.

Abbildung 5.9: analoge Zahlenhäuser zum Vergleich im kooperativen Setting

„Weggabelung“

 
< Zurück   INHALT   Weiter >