Deutungsaushandlung durch initiierte Anlässe
Die Interaktion der Kinder ist vor allem in der Phase produktiv, in der die Aufgabenstellung ein gemeinsames Arbeiten erfordert. Sowohl das gemeinsame Sortieren als auch das geteilte Finden neuer passender Folgen sind die Aktivitäten, in denen Lernen stattfindet. Die im Rahmen der konstruktiven Überlegungen analysierten Chancen, beim Sortieren auf Strukturen zu stoßen (Kap. 4, 6.1), finden ihre Entsprechung im Vorgehen der Kinder. Zunächst hat es den Anschein, als ob Kolja vor allem von der Kooperation profitiert, dann ist Medima diejenige, die zuerst eine alternative Deutung zur ganzheitlichen Übereinstimmung einbringt. Doch Kolja selbst bringt ebenso Ideen in die Kooperation ein. Er hat die erste Idee, wie die Streifen passend sortiert werden können, er bringt die neue Idee der Zahlenfolge mit Abstand hundert und die unendliche Weiterführung im Sinne des dekadischen Systems ein. Während Medima vor allem zu Beginn und zum Ende die Interaktion sowohl durch regulierende Aktivitäten als auch Schlüsselaktivitäten leitet (Dekker & Elshout-Mohr, 1998), wird Kolja zur Mitte der Kooperation, als die zentralen Ideen erarbeitet werden, immer aktiver und bringt eigene Ideen ein. Ohne dies im Detail analysiert zu haben, scheint dies ein Hinweis darauf zu sein, dass wie Dekker und Elshout-Mohr (1998) betonen, eine produktive Kooperation von einer hohen Dichte an Aktivitäten des Zeigens, Erklärens, Begründens aber auch des Nachfragens und inFrage-stellens geprägt ist. Dabei zeigt sich, dass die Kinder auch dann die gegenseitigen Aktivitäten wahrnehmen, wenn sie gleichzeitig eigene Ideen verfolgen. Es ist zu vermuten, dass beide Kinder deutlich weniger unterschiedliche Passungen und Beziehungen betrachtet hätten, wenn sie die Aufgaben in Einzelarbeit gelöst hätten.
Differenz zwischen Interaktion mit und ohne Begleitung durch die Lehrkraft
Bei der Betrachtung der Transkripte wird deutlich, dass die Kinder untereinander in einer anderen Art und Weise sprechen als im Beisein der Lehrkraft. Die Kinder selbst erläutern untereinander weitgehend ohne allgemeine Beschreibungen, nutzen Zeigegesten bzw. Verschieben das Material, um sich z. B. über Passungen zu einigen und formulieren die mathematischen Ideen in Form konkreter Beispiele. Auf Nachfrage der Lehrkraft versuchen sie allgemeinere Beschreibungen zu finden. Eine Explizierung und Verbalisierung der Deutungen scheint durch die Lehrkräfte initiiert werden zu müssen, da die Kinder ein derartiges Bedürfnis möglicherweise von sich aus nicht haben. Hier zeigen sich Bezüge zu den von Nührenbörger aufgezeigten Grenzen der Rolle der jahrgangsälteren Kinder im jahrgangsgemischten Unterricht. Er zeigte, dass die jahrgangsälteren Kinder ihre Rolle in der Kooperation nicht „mit dem Bewusstsein realisiert [haben], dass gezielt mathematische Strukturen in den Blick genommen werden sollen“ (Nührenbörger, 2009, S. 169).