Zusammenfassende Betrachtung (strukturfokussierender) Deutungsaushandlungen
Die Aufgabenstellungen wurden so konstruiert, dass zählend rechnende Kinder und ihre Partner auf methodisch unterschiedliche Weise angehalten wurden, (struktur-fokussierende) Deutungen von Zahlen und Operationen vorzunehmen. Die Zahlen und Operationen wurden im Sinne des operativen Prinzips verändert oder sollten zu einem operativen Muster gelegt werden. Die Materialien erlauben unterschiedliche Deutungen, die durch Vergleichen, Sortieren, Fortführen und gegenseitiges Interpretieren zu einer produktiven Irritation und einem alternativen, von einer Deutung mit Referenzkontext des zählenden Rechnens abweichenden, Blick führen sollten. Auf diese Weise erhalten (zählende rechnende) Kinder die Chance, alternative Deutungen kennenzulernen, nachzuvollziehen und ihre Sichtweise von Zahlen, Operationen und Beziehungen zwischen diesen zu einer zunehmenden struktur-fokussierenden Sicht zu erweitern.
Bei den Analysen sollte das Konstrukt der „struktur-fokussierenden Deutungen“ ausgeschärft und untersucht werden, inwiefern es zwischen den Kindern zu Deutungsdifferenzen kommt, wie diese ausgehandelt werden und ob die Aushandlung dieser zu einer Erweiterung oder Modifizierung eigener Deutungen und ggf. zu einer struktur-fokussierenden Deutung führt.
Struktur-fokussierende Deutungen versus Deutung mit Referenzkontext Zählen
Wie erwartet zeigt sich, dass die Deutungen der zählend rechnenden Kinder häufig an konkrete Zeichen gebunden sind oder sich auf bestimmte Strukturen wie die Folge der natürlichen Zahlen konzentrieren. Eine Deutung findet somit häufig mit Bezug auf den Referenzkontext Zählen statt. Sowohl in hier ausführlich dargestellten Szenen als auch in den darüber hinaus erfolgten Analysen wurde deutlich (vgl. auch Kap. 7 & 8), dass die Kinder, die gerade mit dem Erkennen von Strukturen Schwierigkeiten haben (Lüken, 2012; Mulligan, 2011) dies natürlich auch im Rahmen dieser Förderung zeigen und möglicherweise auch nur in eingeschränkten Maße erweitern (vgl. dazu Kap. 8). Erste strukturfokussierende Deutungen konnten rekonstruiert werden. Die Kinder erkannten (Vorformen) kommutativer und dekadischer Beziehung und interpretierten die Folge der Zahlen kardinal, d.h. unter Berücksichtigung der quantitativen Veränderung der Anzahlen. Bei diesen struktur-fokussierenden Deutungen standen vor allem relationale Beziehungen zwischen Zahlen im Mittelpunkt. Aufgabenbeziehungen wurden möglicherweise im Hinblick auf die Kommutativität gedeutet, jedoch wahrscheinlich eher in der protokommutativen Form, also ohne Bezug auf die dahinterstehende Beziehung von Mengen.
Auch die leistungsstärkeren Kinder initiieren von sich aus nur punktuell einen Blick auf die Beziehung zwischen Aufgaben. Sowohl Max als auch Medima zeigen selbst eine Sicht auf Strukturen, die z. T. von einer konkreten Deutung geprägt war. Der Zweitklässler bzw. die Viertklässlerin einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen waren selbst mit der Erkundung des Gegenstandes beschäftigt und es zeigte sich, dass dieser für sie keinesfalls trivial war. Dies führte dazu, dass einige Strukturen auch von beiden Kindern konkret empirisch und ohne Sicht auf wesentliche Strukturen gedeutet wurden. Der erwartete Gewinn durch die Kooperation ist möglicherweise deshalb geringer als erhofft, weil die Partnerkinder selbst, zumindest in dieser Form der Auseinandersetzung mit dem Material, nur punktuell eine struktur-fokussierende Deutung vornehmen, die über die Folge der natürlichen Zahlen [1] bzw. über das Betrachten von Beziehungen zwischen Zahlen hinausgeht. Diese gehen jedoch über eine eher oberflächliche Sicht auf Identitäten und auf die Folge der natürlichen Zahlen hinaus, wie z. B. in den Szenen von Kolja und Medima oder auch Thomas und Max.
- [1] Bei der Folge der natürlichen Zahlen handelt es sich selbstverständlich um eine für die Mathematik wesentliche mathematische Struktur, die jedoch eng mit dem zählenden