Erkennen von Strukturen durch den Vergleich von Aufgabenpaaren

Das Erkennen von Zahlund Aufgabenbeziehungen soll durch den Vergleich von Aufgabenpaaren initiiert werden. Auf welche unterschiedliche Weise die Kinder hier vorgehen können und dass trotzdem vor allem Zahlbeziehungen betrachtet werden, soll an zwei Szenen aufgezeigt werden.

2. Szene: Björn und Justus beim Vergleich von analogen Aufgabenpaaren in unterschiedlichen Zahlenräumen

Dem Schülerpaar eines regulären zweiten Schuljahres liegen verwandte Aufgaben in unterschiedlichen Zahlenräumen vor und durch eine Unaufmerksamkeit der Lehrkraft beim Austeilen der Karten erhält der zählende Rechner Björn die Aufgaben im Hunderterraum. Nach der Lösung der Aufgaben beginnen beide Schüler nun mit dem Vergleich der Karten, indem sie sich zunächst die Karten A vornehmen. Die Szene beginnt damit, dass die Kinder spaltenweise die Zahlen betrachten. Dabei benutzen sie durchgehend den Begriff „Reihe“ im Sinne von „Spalte“.

Abbildung 7.5: Karten von Justus und Björn

Justus (beginnt zu schreiben) In der ersten (geflüstert beim Schreiben), in der ersten Reihe

Björn (radiert das Kreuz aus und zieht es sorgfältig an gleicher Stelle nach) Ist alles gleich

Justus Reihe (geflüstert, schreibt dabei) In der ersten Reihe Björn Ist alles gleich (guckt gerade aus in den Raum) Justus Nein, sind, ist ein Zehner mehr

Björn (beugt sich zu Justus und guckt auf Justus Karte)

Justus Ist ein Zehner, Zehner, Zehner, Zehner (spricht sich Wort während des Schreibens vor) mehr, mehr. Gut.

Björn (guckt zu Justus und auf das Blatt mit der Notation „In der ersten reie ist ein zener mer“)

Justus Fertig. (liest vor:) In der ersten Reihe ist ein Zehner mehr. Björn Bei mir.

Justus Also bei dir von mir aus.

Björn scheint zunächst die Minuenden auf seiner Karte zu betrachten, die bei beiden Aufgaben gleich sind und vergleicht konkret die Zahlen. Er betrachtet also die Zeichen als konkrete Objekte und stellt ihre Gleichheit fest (Steinbring & Nührenbörger, 2010). Justus hingegen vergleicht darüber hinaus die „gleichen“ Minuenden miteinander und stellt die Differenz zwischen ihnen fest [1]. Er betrachtet die Beziehungen zwischen den Minuenden der beiden Karten, interpretiert die Zahlen als Anzahl und vergleicht diese. Diese Aussage scheint Björn aufzugreifen und auszudifferenzieren, indem er ergänzt „bei mir“ und damit ebenfalls die Zahlen kardinal deutet (vgl. Abb. 7.6). Der zählende Rechner Björn nutzt demnach die elaborierte, strukturell tiefer gehende Deutung seines Partners und verwendet sie für eigene strukturelle Deutungen.

Abbildung 7.6: Deutungsentwicklung im Diskurs

Im Weiteren vergleichen die Jungen die Subtrahenden und anschließend die Differenzen der Aufgabenpaare. Björn formuliert als Erster eine Aussage zu den Subtrahenden, indem er den von Justus begonnenen Satz „In der zweiten Reihe“ mit „ist ein, ein Einer weniger“ ergänzt. Er ist also in der Lage, die Zahlbeziehung fachsprachlich zu fassen und kardinal zu interpretieren, ohne die konkreten Zahlen zu nennen.

Abbildung 7.7: Björns Deutung der Beziehung der Subtrahenden

Justus nimmt die Äußerung von Björn entweder nicht wahr oder ignoriert sie. Er fokussiert seinerseits auf die Positionen der Subtrahenden und stellt fest, dass die Zahlen vertauscht sind („In der zweiten Reihe sind die Zahlen vertauscht“). Dies notiert er auf dem gemeinsamen Zettel und leitet dann über zur Betrachtung der Differenzen, die er mit den Worten: „und in der dritten Reihe auch alle vertauscht“ beginnt.

Justus …und in der dritten Reihe auch alle vertauscht. Björn Ein Zehner mehr.

Justus Nein du

Björn Oh.

Justus (tippt abwechselnd rechts neben die Ergebnisse seiner Aufgaben). Auch alle beide vertauscht.

Björn (legt zwei Finger auf seine Ergebnisse 19 und 20, guckt auf Justus Karte) Justus (guckt auf Björns Karte, nimmt seine Karte in die Hand und hält sie neben

Björns Karte) Neunzehn und neun (überlegend), also ein Zehner mehr und und umgekehrt.

Wie schon bei der Betrachtung der Subtrahenden fokussiert Justus auf das Vertauschen. Dabei ist es möglich, dass er die schon betrachteten Zahlbeziehungen implizit mitdenkt und mit dem Ausdruck „auch alle vertauscht“ ausdrücken will, dass die analogen Aufgaben als Gesamtes vertauscht sind. Dies würde bedeuten, dass er die strukturelle Ähnlichkeit der analogen Aufgaben erkannt hat. Möglich ist auch, dass Justus ausschließlich die vertauschte Position der Differenz anspricht. Dies erscheint allerdings schon allein aufgrund der Zahlenwerte der Differenzen unwahrscheinlich.

Björn scheint jedoch die Aussage von Justus im Hinblick auf das Vertauschen von Zahlen zu interpretieren. Er ergänzt Justus Deutung und beschreibt wieder einen kardinalen Vergleich der Zahlen „Ein Zehner mehr“, wobei weder durch die Aussage selbst noch durch eine Geste deutlich wird, dass er den Vergleich der Differenzen meint. Justus widerspricht zunächst, doch über den gestischen Verweis auf die Ergebnisse scheint Björn Justus überzeugen zu können, der dann selbst die Beziehung zwischen neun und neunzehn erkennt und formuliert.

Abbildung 7.8: Diskurs der Deutungen zu den Differenzen

  • [1] Auch wenn zunächst bei der Betrachtung des Ausschnitts der Szene der Eindruck entstehen kann, dass Justus zeilenweise die Minuenden betrachtet, zeigt sich in der Analyse der gesamten Szene, dass hier und in analogen Szenen nicht nur ein Minuend miteinander verglichen wird, sondern die gesamte Spalte der bereits als gleich erkannten Zahlen
 
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