Nutzen von Strukturen

Die Kinder scheinen auch beim Finden von verwandten, einfachen Aufgaben weitgehend die Zahlbeziehungen zu nutzen und die Aufgabenbeziehung nur eingeschränkt zu sehen. Wie in der Szene mit Mary aufgezeigt wird, ist das Finden von passenden Aufgaben für die zählend rechnenden Kinder kein Problem. Allerdings kann daraus nicht geschlossen werden, dass sie die Beziehung zwischen den Aufgaben erkennen und nutzen können. Es scheint vielmehr so zu sein, dass Zahlbeziehungen zum Finden passender Aufgaben genutzt werden. Vor allem geschieht dies, indem der Subtrahend betrachtet und um eins erhöht bzw. erniedrigt wird. Zum Nutzen von Strukturen ist jedoch darüber hinaus auch die Einsicht in die Aufgabenbeziehung entscheidend. In Einzelfällen werden (richtige) Ableitungen vorgenommen. Dies entspricht den Ergebnissen Gaidoschiks (2010, S. 406), der „das Ableiten bei nicht wenigen Kindern [als] eine mehr oder weniger singuläre Angelegenheit“ beschreibt. Die Schwierigkeiten der Kinder, Ableitungsstrategien bei Subtraktionsaufgaben zu nutzen, spiegeln auch die Ergebnisse internationaler Untersuchungen wider (Bettencourt de, Putnam, & Leinhardt, 1993; Steinberg, 1985). Während in der Studie Steinbergs (1985) deutlich mehr Kinder während und nach der Intervention Ableitungsstrategien bei der Addition verwendeten, werden bei der Subtraktion kaum Ableitungen benutzt. Eine Gruppe von Kindern blieb sogar komplett bei zählenden Strategien für Additionsund Subtraktionsaufgaben (Steinberg, 1985, S. 348), die sie vor allem bei Additionsaufgaben zu richtigen Ergebnissen führten. Steinbring erklärt dies wie folgt: „These children may have become so proficient in their counting that they did not see the need, and were unwilling to invest the effort, to learn new strategies that might be slower and less accurate when first used” (Steinberg, 1985, S. 351). Die Effektivität im zählenden Rechnen, die Steinberg beschreibt, kann durch die Analysen im Rahmen der hier vorgenommenen Untersuchung nur in Einzelfällen bestätigt werden. Es werden folgende Gründe vermutet, die das Nutzen der Strukturen erschweren:

• Ableitungsstrategien sind bei der Subtraktion komplexer als bei Additionsaufgaben, da unterschiedliche Aufgabenbeziehungen bestehen, wenn der Minuend oder, wie im Fall der vorliegenden Studie, der Subtrahend verändert wird.

• Die Grundvorstellung der Subtraktion scheint bei zählend rechnenden Kindern nicht so gefestigt zu sein, dass das gegensinnige Verändern vorgestellt, benannt und flexibel genutzt werden kann. Verfügen die Kinder über kein ausreichendes Operationsverständnis von der Subtraktion, sind sie nicht in der Lage Ableitungsstrategien verständnisvoll auszuführen (Wartha & Schulz, 2011).

• Gegensinniges Verändern zu erkennen und zu beschreiben, scheint auch für leistungsstärkere Kinder schwierig. Auch bei operativen Serien zur Addition, die gemäß der Struktur des gegensinnigen Veränderns aufgebaut sind, wird die operative Einsicht selten klar verbalisiert (Gaidoschik, 2010).

Die Analysen zeigen auf, dass bezüglich des Aufbaus von Vorstellungen zur Subtraktion Handlungsbedarf besteht. Vor oder begleitend zur Thematisierung von Aufgabenbeziehungen, die zum Ableiten genutzt werden können, sollte die Aufmerksamkeit der Kinder auf die Veränderungen bei der Operation (Dörfler, 1986) und auf allfällige Veränderungen gelenkt werden. Hierzu reicht eine Thematisierung von operativen Aufgabenserien, wie sie in vielen Schulbüchern zu finden ist, nicht aus. Zusätzlich zu den bereits in der hier vorgestellten Studie umgesetzten Fokussierungen auf operative Veränderungen durch den Vergleich von Aufgabenserien, scheint eine stärker an der Darstellung der Operation ausgerichtete Thematisierung notwendig, um auf diese Weise expliziter die operative Beziehung zwischen Aufgaben in den Mittelpunkt zu rücken. Denn das Nutzen von Strukturen im Sinne einer Ableitung erfordert eine Fokussierung der Aufgabenbeziehungen. Auch im Hinblick auf das funktionale Denken (Büchter, 2011) ist der Blick auf Veränderungen und ihre Wirkungen bereits in der Grundschule zentral.

Fazit

Struktur-fokussierende Deutungen zeigen die zählend rechnenden Schülerinnen und Schüler gegen Ende der Förderung im Hinblick auf Zahlen und Zahlbeziehungen. Dabei ist eine zentrale Deutung, welche über den Referenzkontext des Zählens hinaus geht, die kardinale Deutung von aufeinanderfolgenden Zahlen. Deutungen, die eher ordinal die Folge der natürlichen Zahlen in den Blick nehmen oder auf Identitäten fokussieren, existieren parallel dazu und zielen auf den Referenzkontext Zählen.

Struktur-fokussierende Deutungen von Zahlenbeziehungen scheinen genutzt zu werden, um passende Aufgaben im Sinne von "Schönen Päckchen" zu konstruieren und additive Aufgabenserien zu lösen. Bei Subtraktionsaufgaben helfen Zahlbeziehungen nicht, um Ergebnisse aus vorher gelösten Aufgaben abzuleiten. An dieser Stelle zeigt sich, dass in vielen Fällen noch kein ausreichendes Operationsverständnis aufgebaut ist, welches es erlaubt, die Auswirkungen der Relation der Zahlen bei der Subtraktion zu berücksichtigen.

Dies bedeutet auch, dass die vielfach verwendeten operativen Aufgabenserien zur Initiierung eines Rechnens mit Beziehungen (vgl. 2.3.1) nicht ausreichen, um Veränderung zwischen Aufgaben zu betrachten. Die Analysen machen deutlich, dass die Zahlbeziehung dominiert. Einer systematischen Erarbeitung von Aufgabenbeziehungen unter Bezug auf Material müsste demnach ein größerer Schwerpunkt werden. Auch im Rahmen der Förderbausteine in dieser Studie (Häsel-Weide et al., 2014) wurden gezielte Aufgaben zum Verändern von Mengen und zum Verändern von Aufgaben nur in zwei Bausteinen umgesetzt.

 
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