Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

In der vorliegenden Arbeit wurden der Gegenstand des zählenden Rechnens und die Ablösung vom zählenden Rechnen theoretisch, konstruktiv und rekonstruktiv betrachtet. Die zentralen Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Betrachtungsebenen werden in diesem Kapitel zunächst getrennt voneinander zusammengefasst und dann übergreifend im Hinblick auf die gewonnenen Erkenntnisse und die daraus zu ziehenden Folgerungen diskutiert.

Theoretische Überlegungen

In der mathematischen Entwicklung von Kindern spielt das Zählen eine zentrale Rolle. Vielfältige Studien zeigen, dass mathematisches Verständnis bis zum Grundschulalter durch die Entwicklung der Kompetenzen Zählen, Anzahlbestimmung, Teile-Ganzes-Konzept sowie Strukturerkennung geprägt ist (vgl. 2.1.1). Dabei konnte durch die Diskussion der Forschungslage herausgestellt werden, dass diese in einem wechselseitigen Entwicklungsprozess erworben werden und nicht trennscharf voneinander abzugrenzen sind: Die Entwicklung numerischer Kompetenzen und die Fähigkeit zur Strukturierung stehen in enger Verbindung zueinander, d.h. bei der Entwicklung mathematischer Kompetenzen sind nicht allein numerische Aspekte ausschlaggebend, wie z. B. das Zählen in Schritten, sondern diese sind eng verbunden mit der Fähigkeit Strukturen in und zwischen mathematischen Zeichen und Symbolen zu sehen (vgl. Kap. 2.1.1). Ergebnisse zahlreicher empirischer Untersuchungen zeigen auf (vgl. 2.1.2 & 2.1.3), dass die im Verlauf der Vorund Grundschulzeit entwicklungsgemäß zunächst vorherrschenden Lösungsstrategien des Allesund Weiterzählens zunehmend zugunsten von faktennutzenden Strategien wie Abrufen und Ableiten aufgegeben werden. Wie die Analyse der aktuellen Forschungslage zeigt, kann Ableiten dabei sowohl aufgrund eines eher intuitiven Sehens einer Struktur und eines bewussten Nutzens derselben vorgenommen werden. Bei der Entwicklung mathematischer Kompetenzen spielt somit der Blick auf mathematische Muster und Strukturen eine zentrale Rolle.

Diejenigen Kinder, die sich nicht vom zählenden Rechnen lösen, sondern bei denen zählende Lösungsstrategien sich als vorrangige Strategie verfestigten, zeigen in unterschiedlichen Bereichen Schwierigkeiten beim Mathematiklernen. Empirische Studien belegen eine Korrelation zwischen zählendem Rechnen und schwachen Mathematikleistungen, wobei sich dieser Zusammenhang am deutlichsten im Grundschulalter zeigt und dann abnimmt (vgl. 2.2.2). Auch inhaltlich besteht ein enger Zusammenhang zwischen verfestigtem zählenden Rechnen, einseitigem Zahlund Stellenwertverständnis sowie eingeschränktem Operationsverständnis (vgl. 2.2.1). In der Konsequenz muss die Ablösung vom zählenden Rechnen als kritische Stelle beim Mathematiklernen aufgefasst werden und eine Ablösung für alle Kinder angestrebt werden. Tragfähige Zahlund Operationsvorstellungen scheinen der Schlüssel für eine Entwicklung alternativer Deutungen zu zählenden Strategien zu sein und stehen deshalb im Mittelpunkt der Förderung. Dabei geht es darum eine Sicht auf Relationen zwischen Zahlen und Aufgaben einzunehmen, also die Strukturen zu fokussieren und zu erkennen, so dass diese dann beim Rechnen genutzt werden können (vgl. 2.3 & 5.1).

Als zentrales Ergebnis der mathematikdidaktischen Analysen zur Ablösung vom zählenden Rechnen kann herausgestellt werden, dass weder Ziele noch Inhalte „besondere“ Ziele für eine „besondere“ Zielgruppe sind, sondern es findet eine Fokussierung auf diejenigen Grundkompetenzen statt, die zählend rechnende Kinder nicht oder nicht in ausreichendem Maße erworben haben. Eine Förderung mit dem Ziel der Ablösung vom zählenden Rechnen muss also auf die Kompetenzen abzielen, auf die es beim Mathematiklernen grundsätzlich entscheidend ankommt: auf das Erkennen und Nutzen von Strukturen.

Um Kinder zum Erkennen von Strukturen anzuregen, ist insbesondere ein Mathematikunterricht geeignet, der eine Deutung mathematischer Zeichen fordert. Dazu sind für Kinder im Grundschulalter insbesondere Interaktionssituationen geeignet, in denen aufkommende oder initiierte Differenzen als Auslöser für fundamentale Wissensprozesse genutzt werden können (vgl. 3.2). Aufgrund der Forschungsergebnisse zum kooperativen (mathematischen) Lernen (vgl. 3.1) scheinen sich formale Kooperationssettings zu eignen, d.h. kooperative Methoden, die die Art und Weise der Zusammenarbeit methodisch strukturieren, so dass alle Kinder sich einbringen können und gemeinsam die Verantwortung für die Lernergebnisse tragen. Dieses methodische Vorgehen sollte begleitet werden von Aufgabenformaten, die inhaltlich reichhaltige und unterschiedliche mathematischen Deutungen in Bezug auf Zahlen und Operationen anregen, damit "produktive Irritationen" (Nührenbörger & Schwarzkopf, 2013b) entstehen können.

 
< Zurück   INHALT   Weiter >