Gradualismus-Ansatz

Nach dieser Sichtweise ist die Reform in China partieller und gradualistischer Natur. Der Marktmechanismus wurde wegen der großen Vorbehalte gegenüber dem Kapitalismus nicht sofort eingeführt. Stattdessen hat die chinesische Regierung durch kleinere Maßnahmen, die auf die Rahmenbedingungen bezogen waren, Stück für Stück die nationale Ökonomie liberalisiert. Diese Maßnahmen sind für manche Wissenschaftler (vgl. Jefferson/Rawski 1994; Naughton 1995; Rawski 1999) die eigentlichen Ursachen des „Wirtschaftswunders“. Der Reformprozess wurde durch dynamische Interaktionen zwischen der Regierung und der Bevölkerung vorangetrieben (Rawski 1999: 142):

In China, reform is not a sequence of events in which the state makes decisions to which businesses and individuals react. Reform unfolds as an extended process replete with interaction and feedback among government administrations, enterprises, workers and consumers. Thinking about reform as an interactive process clarifies important aspects of economic change in China. Erosion of governmental power is both an unintended consequence and a powerful engine of China's reform.

Demnach hatten sowohl die Regierung als auch die Marktakteure keine langfristigen Vorstellungen über die Auswirkungen der Reform, und jede Handlung einer Seite war eine rationale Reaktion auf die vorangegangenen Handlungsweisen der anderen Seite. Durch die wechselseitigen Interaktionen wurde die Reform nach und nach verwirklicht, ohne dass irgendeine Seite größere „Schmerzen“ zu erdulden hatte. Dieser Mechanismus sei in China sehr erfolgreich gewesen, weshalb die Vertreter des Gradualismus-Ansatzes diese Strategie für alle postkommunistischen Staaten empfehlen. Die „Big Bang“-Strategie, die eine schnelle Privatisierung anstrebt und in Osteuropa und Russland verfolgt wurde, müsse dagegen zu den Akten gelegt werden.

 
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