Das Konzept der Linkage

Das von Kay Lawson im Jahr 1980 vorgestellte und aufgrund seiner zentralen Bedeutung von diversen Autoren (u.a. Römmele et al. 2005; Poguntke 2000) aufgegriffene und weiterentwickelte normative Konzept der Linkage basiert auf ebendiesen Prämissen hinsichtlich des intermediären Systems. Es ist untrennbar mit den zentralen Aufgaben intermediärer Akteure, insbesondere von Parteien, verknüpft, die für das Funktionieren des demokratischen Prozesses sowie die Legitimation eines politischen Systems unverzichtbar sind (von Beyme 1982). Folglich gestattet das Konzept eine theoretisch fundierte, systematische Analyse der Performanz intermediärer Akteure in Bezug auf die Bindung der Entscheidungen politischer Autoritäten an die Interessen der Bürger, ebenso wie der dieser Bindegliedfunktion zugrundeliegenden Mechanismen sowie im Besonderen, der Art der Beziehung zwischen kollektivem intermediärem Akteur – in Lawsons Fall Parteien – und Bürgern.

Das Konzept besagt im Kern das Ermöglichen wechselseitiger Kommunikation zwischen den Sphären Gesellschaft und Staat, die politische Entscheidungen an die Präferenzen der Bürger bindet: Interessenvermittlung von der Basis an Entscheidungsträger (Input-Kommunikation) und Entscheidungsvermittlung (Output-Kommunikation), d.h. die Kommunikation politischer Vertreter gerichtet an die Bürger, in Form politischer Angebote oder der Rechtfertigung für ihre Entscheidungen bzw. Positionen sowie der Werbung um deren Zustimmung

(Jarren & Donges 2006: 121) [1]. Politik lässt sich auf Basis dessen als Transformation gesellschaftlicher Interessen in verbindliche Entscheidungen verstehen, die wiederum kommunikativ an die Gesellschaft zurückvermittelt werden (Luhmann 1991: 159; Katz 1990: 143).

In seiner ursprünglichen Form betont das Linkage-Konzept die „kommunikative Scharnierfunktion“ (Sarcinelli 1998: 277) von Parteien, die laut Lawson (1976) gleichzeitig primäre Quelle ihrer Legitimation ist. Parteien sind in repräsentativen Demokratien die zentralen Bindeglieder zwischen staatlichen Organen und Gesellschaft (Lawson 1980; Sartori 1976), da kollektiv verbindliche politische Entscheidungen vornehmlich in Gremien getroffen werden, die überwiegend von Parteivertretern besetzt und kontrolliert werden (Kriesi et al. 2007: 54; Oberreuter 1992). Parteien realisieren Linkage indem sie die Bürgerinteressen antizipieren und in politisches Handeln oder politische Programme umsetzen, sodass sich die Wähler wenigstens in Teilen in diesen Angeboten wiederfinden. Auf diese Weise sind sie nicht nur in der Lage, die Wähler zu überzeugen, sie zu wählen, es wird zudem die in einer Demokratie unabdingliche Responsivität gesichert (Römmele 2005; Poguntke 2000: 24f). Die Bürger wiederum können Parteien kontrollieren und mittels (der Androhung) des Stimmenentzugs dazu bringen, sich an ihren Interessen auszurichten.

Die Skizzierung der zentralen Mechanismen verdeutlicht die fundamentalen Annahmen des Konzepts. Es basiert auf der organisationssoziologischen Prämisse, dass eine jede Organisation versucht, ihre Beziehungen zu relevanten Umwelten möglichst förderlich für ihr Überleben und ihre Ziele zu gestalten (Streeck 1987; Poguntke 2000: 26). Es bedarf beständiger Austauschbeziehungen zu (potenziellen) Quellen organisationsrelevanter Ressourcen in Form von Personal, finanziellen Mitteln oder Einflusschancen – bei Parteien u.a. Wähler und staatliche Institutionen. Linkage ist demzufolge kein Selbstzweck, sondern wesentlich für das Überleben der Organisation. Das Konzept basiert dementsprechend auf der Anerkennung der Tatsache, dass Parteien, genauso wie NGOs, Freiwilligenorganisationen sind, die sich der Unterstützung ihrer Anhänger immer wieder neu versichern müssen. Dies birgt das Erfordernis eines Anreizsystems, um Mitglieder oder Unterstützer zu gewinnen und zu binden. Denn sie investieren zeitliche und oft auch finanzielle Ressourcen (Niedermayer 2009: 95ff) und erwarten im Gegenzug entsprechende Gratifikationen. Die kollektiven Anreize richten sich an alle potenziellen Unterstützer und manifestieren sich in ideologischer Kongruenz, sinnstiftender Solidarität oder kollektiver Identität. Selektive Anreize dagegen sind materiell, äußern sich aber auch in Macht und Status, wie dem Zugang zu Ämtern (Jun 2010: 17).

Parteien verfügen über großes Spektrum relevanter Umwelten, zu welchen sie unterschiedlich ausgestaltete Verbindungen unterhalten; wobei besonders die in der Bevölkerung verwurzelte Mitgliederbasis als essenziell für Linkage angesehen wird (von Alemann & Spier 2008: 30). Während Lawson vier Arten von Linkage expliziert [2], stützt sich die hier durchgeführte Studie auf die Ausführungen von Poguntke (2000; 2005). Dieser unterscheidet mit direkter und organisatorischer Linkage zwei Formen von Linkage, die im Folgenden auf NGOs übertragen werden. Erstere bezeichnet die direkte Kommunikation mit den Bürgern, durch von der Organisation selbst gesteuerter Kommunikationskanäle, aber auch deren Ansprache über Massenmedien sowie Methoden des politischen Marketings – speziell Umfragen – um den Bürgerwillen zu erfassen. Basis dieser Linkage ist die individuelle Unterstützung der Partei bei Wahlen im Tausch für deren wahrgenommene Responsivität. Neben ihrer Funktion als Kommunikationskanal dienen Massenmedien als „‚Umweltbeobachtungssystem'“ (Poguntke 2000: 27 [Herv. i. O.]) für relevante Entwicklungen. Indes gewährt direkte Linkage,

u.a. aufgrund der Eigenlogik der Medien, Parteien keine verlässlichen Informationen über die Bürgerpräferenzen und gestattet keine Auslagerung der Interessenaggregation sowie bindende Abmachungen zwischen Parteieliten [3] und bestimmten Wählergruppen.

Bei organisatorischer Linkage handelt es sich um Interaktionsbeziehungen von Parteielite und diversen Typen intermediärer Organisationen – neben der eigenen Mitgliederorganisation, sogenannte Kollateralorganisationen oder NSB. Diese Mittlerorganisationen tragen wesentlich zur Sozialisierung und Mobilisierung der Bürger bei (Jun 2004a: 169). Vor allem die Mitgliederorganisation ist ein wichtiger Kanal, da sie Parteien erlaubt, durch die Mitglieder für ihre Ziele zu werben, Wähler zu mobilisieren sowie Stimmungen aufzunehmen und in politisches Handeln umzusetzen. Grundlage dieser Linkage ist ein Tauschgeschäft, in dem die jeweilige Organisation die Präferenzen ihrer Mitglieder aggregiert und sie zugunsten von Einflussmöglichkeiten an die Partei weiterleitet. Dadurch werden nicht nur Teile des Interessenselektionsund Aggregationsprozesses „ausgelagert“, sondern auch eine größere politische Reichweite geschaffen.

  • [1] Vermittlung meint mehr als den reinen „Transport“ von Interessen und Entscheidungen, vielmehr entwickeln die beteiligten intermediären Akteure oftmals ein Eigeninteresse. Häufig generieren sie erst gesellschaftliche Interessen, deuten diese um und transformieren sie hinsichtlich ihrer eigenen Interessen
  • [2] Lawson differenziert zwischen participatory, policy-responsive und directive linkage sowie linkage by reward. In empirischen Studien liegt der Fokus meist auf den ersten beiden Typen (Römmele et al. 2005: vii)
  • [3] Zum Begriff der Elite siehe Kaina (2006)
 
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