Professionalisierung
Erklärungsansätze der Professionalisierung
Die Professionalisierung von NGOs wurde, vor allem mit Verweis auf Theorien der Bewegungsforschung, auf internationaler (Martens 2005a; Keck & Sikkink 1998), nationaler (Maloney 2008; Lösche 2007; Frantz 2007; Jordan & Maloney
1997) und EU-Ebene (Saurugger 2009; 2006; Lahusen & Jauß 2001) festgestellt. Es besteht Konsens dahingehend, dass sie notwendige Voraussetzung für erfolgreiches Agieren im EU-System ist (u.a. Saurugger 2006; Beyers 2008; Frantz 2007) und dies nicht nur unter Wissenschaftlern, sondern unter den Akteuren selbst:
„Along with the growing role of transnational civil society comes the pressure (necessity) on civil society organisations to become increasingly organised, bureaucratized and professional.“ (Kristan 2007: 48)
Obgleich organisationstheoretische Aspekte in der NGO-Forschung lange vernachlässigt wurden, sind sie bezüglich der wahrnehmbaren Professionalisierung von großer Relevanz. Die Argumentation dieser Studie basiert auf der Prämisse, dass Organisationen keine geschlossenen, sondern offene, umweltabhängige Systeme sind, deren Strukturen und Prozesse von ihrer Umwelt beeinflusst werden (Kieser & Walgenbach 2007). Analog sehen Vertreter neo-institutionalistischer Theorien (Senge & Hellmann 2006; Powell & DiMaggio 1991; Meyer & Rowan 1977) und des Konzepts der politischen Opportunitätsstruktur (Imig & Tarrow 2001; Tarrow 1998) Professionalisierung – verstanden als Anpassung der Organisationsstrukturen und Strategien – in der Umwelt, also vorrangig in externen Faktoren begründet. Auch wird angenommen, dass Akteure, die eine relevante Umwelt teilen, sich in ihren Organisationsstrukturen angleichen (Becker-Ritterspach & Becker-Ritterspach 2006; Powell & DiMaggio 1991).
Relevante Umwelten können ein Politikfeld sein, das verschiedene NGOs besetzen oder die Erwartung der offiziellen Anerkennung durch politische Institutionen (Martens 2005a: 7). Auch das EU-System ist eine solche Umwelt, die durch ihre Charakteristika derartige Anpassungsprozesse hervorruft (Saurugger 2009; Frantz 2007). Die politischen Opportunitätsstrukturen, definiert als „consistent – but not necessarily formal or permanent – dimensions of the political environment that provide incentives for collective action” (Tarrow 1998: 76f) bestimmen Anreize und Beschränkungen für das kollektive Handeln von NGOs. Und die Einflussmöglichkeiten von NGOs haben sich im letzten Jahrzehnt erheblich gewandelt. Die EU-Organe gewähren ihnen Zugang zu Politikprozessen, z.B. indem sie formale Mechanismen für die Kooperation etablieren (Beyers 2008; Princen & Kerremans 2008). Um erfolgreich zu agieren, müssen sich NGOs an die politischen Gegebenheiten, aber auch an den soziokulturellen Wandel und technische Innovationen anpassen. Dementsprechend ist Professionalisierung als Reaktion auf sich wandelnde Anforderungen seitens Politik und Öffentlichkeit, also als Folge zunehmender oder aber der Erwartung verstärkter Interaktion mit politischen Institutionen sowie – unter Bezugnahme auf Arbeiten zum Parteienwandel – gestiegene Ansprüche ihrer Zielgruppen und die veränderte Medienlandschaft zu verstehen.
Diesen Ansätzen stehen die Ressourcenmobilisierungstheorie und klassische Ansätze des sozialen Aktivismus gegenüber. Für Letztere gründet Professionalisierung bzw. Institutionalisierung in internen Faktoren und führt erst im nächsten Schritt zur Anpassung der Handlungsmuster an politische Akteure. Michels (1989 [1911]) beschreibt dies als universellen, linearen Prozess. Demnach beginnen NGOs als diffuses bewegungsähnliches Phänomen, entwickeln langsam Organisationsstrukturen und enden letztlich als große Institutionen mit bürokratischen Strukturen, deren Erhalt zum Selbstzweck wird. Sein ehernes Gesetz der Oligarchie wurde aufgrund der Annahme des gleichförmigen Verlaufs des Prozesses vielfach kritisiert (Rucht et. al. 1997: 45). Daher nehmen Rucht et al. (ebd.: 46f) von dieser deterministischen Sichtweise Abstand und sprechen von der Konsolidierung der Bewegungsinfrastruktur, um den Bestand der Bewegungspolitik zu garantieren. Ihrer Argumentation folgend erweisen sich kurzlebige Organisationsstrukturen, wie sie für NSB charakteristisch sind, als suboptimal. Es bedarf institutionalisierter Binnenstrukturen, z.B. in Gestalt eines festen Personalstabs.
Die Ressourcenmobilisierungstheorie (Meyer & Tarrow 1998; Zald & Ash 1987; Tilly 1978) basiert wie der Neo-Institutionalismus auf der Prämisse, dass NGOs in sich wandelnden Umwelten existieren und auf diese mit einer Anpassung ihrer Organisationsstrukturen und Handlungsmuster reagieren. Im Gegensatz zu neo-institutionalistischen Theorien werden aber organisationsimmanente Faktoren explizit berücksichtigt. Ausmaß und Manifestation der Adaption hängen damit immer auch von finanziellen und personellen Ressourcen ab (Martens 2006: 374). Damit grenzt sich die Theorie auch von klassischen Ansätzen ab. Sie ist nicht fatalistisch, sondern spezifiziert die Bedingungen des Adaptionsprozesses (McCarthy & Zald 1987: 19f) [1].
- [1] Wie die Gegenüberstellung der verschiedenen Ansätze zeigt, handelt es sich bei der Professionalisierung und der Interaktion mit politischen Akteuren um eine Art Henne-Ei-Problem: Letztere ist je