Grenzen und Chancen der Forschung zu Gewalt in Paarbeziehungen und zu sexualisierter Gewalt

Gewalt als Forschungsgegenstand entzieht sich immer wieder der Erkenntnis – aus verschiedenen Gründen. Einer der Gründe liegt in den Grenzen der Kommunizierbarkeit und Versprachlichung von Gewalterleben, die einen Teil des Geschehens der Forschung unzugänglich machen. Was erzählt oder angekreuzt wird, unterliegt sozialen Einflüssen der Situation und der spezifischen Thematik. Allein die Mitteilung von Gewalt an die Forschung kann aus Furcht, als Opfer oder Täter identifiziert und stigmatisiert zu werden, unterbleiben. Die Tabuisierung des Themas und die Beunruhigung, die von ihm ausgeht, verlangen den Auskunftspersonen viel ab (siehe der Beitrag von Barbara Kavemann in diesem Band). Ein weiterer Grund für die Begrenztheit der Gewaltforschung: das, was als Gewalt zu betrachten ist, unterliegt immer auch einer gesellschaftlichen Konvention, daher kann der Gegenstand prinzipiell nicht abschließend bestimmt werden. Der Wandel der Definition des Gegenstandes „Gewalt in Paarbeziehungen und sexualisierte Gewalt“ sollte selbst Gegenstand der Gewaltforschung sein. Forschung zu diesem Gegenstand sollte sich dieser Grenzen der Forschungsfragen und des Forschungsmaterials, die in den Kapiteln dieses Bandes zu den einzelnen Methoden wieder aufgegriffen werden, prinzipiell bewusst sein und die Anstrengung auf sich nehmen, sich gerade angesichts dieser Grenzen bestmöglich einer Erkenntnis anzunähern.

Die Chance der Forschung besteht darin, sich mit einer sorgfältigen, in der Scientific Community im Austausch über Forschungserfahrungen weiterentwickelten Methodologie den der Gewalt zu Grunde liegenden Mechanismen und Prozessen besser anzunähern und auf wissenschaftlicher Basis ein Verständnis zu entwickeln, das über die interessengeleiteten Begrenztheiten des gesellschaftlichen Umgangs mit Gewalt hinausreicht. Zu prüfen ist immer wieder neu: Werden die richtigen – im Sinn von weiterführenden – Fragen gestellt? Welche Aspekte werden ausgeblendet? Wissenschaft könnte versuchen, an den Grenzen der Mitteilbarkeit von Gewalterfahrungen eine neue Sprache finden und irreführende und verschleiernde sprachliche Konstruktionen und Erkenntniskategorien wie die Polarisierung in Schuld und Unschuld zurückweisen (Klein 2013). Mit anderen Worten: Die große Chance besteht darin, zu verstehen, was die Forschung mit dem Gegenstand macht: Die Forschung ist ein Beitrag zur gesellschaftlichen Konstruktion der Gewalt in Paarbeziehungen und der sexualisierten Gewalt. Und ebenso besteht die Chance darin zu reflektieren, was der Gegenstand mit der Forschung macht: Gewalt erzeugt neben dem „Wissen wollen“ auch ein „Nicht wissen wollen“. An dem „Nicht wissen wollen“ anzusetzen, könnte, so die vage Hoffnung, wenn auch nicht eine vollständige Enttabuisierung herbeiführen, so doch Tabus verschieben und neue Perspektiven eröffnen.

 
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