Methoden zur Erhebung verbaler Angaben von Kindern bzw. Jugendlichen zu erfahrener sexueller Gewalt

Qualitätskriterien für Erhebungsmethoden

Für Studien, die auf Angaben von Kindern bzw. Jugendlichen über erfahrene sexuelle Gewalt abzielen, wurde eine Vielzahl an Erhebungsmethoden entwickelt. Erhebungsmethoden (hier synonym: Erhebungsinstrumente und –verfahren) werden verstanden als verschriftlichte, wenn auch nicht unbedingt schriftlich dargebotene Hilfsmittel bei der Erhebung solcher Informationen. Da Forschung als methodisches gebundenes, also regelgeleitetes Handeln stets auf dieser Ebene zur Diskussion gestellt werden kann, ist die Forderung berechtigt, dass Instrumente prinzipiell mit Qualitätskriterien belegt werden können, auch wenn dies in der Forschungspraxis nicht notwendigerweise geschieht. Welche Qualitätskriterien sinnvoll sind, kann selbst eine Diskussionsfrage sein und hängt unter anderem vom Forschungsinteresse und dem zu einem Thema bereits erreichten Wissenstand ab. Bei Studien, die sich betroffenen Kindern im Bemühen zuwenden, Erfahrungen von sexueller Gewalt ohne vorherige Kategorienbildung genauer zu verstehen, wäre etwa die Produktivität von Anstoßfragen oder eines ganzen Fragenleitfadens ein mögliches Qualitätskriterium, also der Grad in dem die Befragten hierdurch angeregt werden offen aber fragebezogen zu erzählen bzw. zu reflektieren. Eingebettet in eine übergeordnete Diskussion um Qualität in der qualitativen Forschung (Flick 2014) finden sich generelle Auseinandersetzungen mit der Qualität von Fragen in qualitativen Interviews unter anderem bei Andreas Witzel und Herwig Reiter (2012), Irving Seidman (2013) oder Svend Brinkmann (2014). Es ist allerdings anzumerken, dass der Schwerpunkt der methodologischen Literatur nicht auf der Kunst des Formulierens von Fragen liegt. Vielmehr haben vor allem der Interviewprozess als Ganzes oder die entstehende Befragungsbeziehung Aufmerksamkeit erfahren (Helfferich 2011; Brinkmann und Kvale 2014).

Steht das Testen von Hypothesen im Vordergrund, was sowohl bei Forschung zur genauen Analyse des Phänomens sexueller Gewalt als auch bei Forschung zur Prävention oder Intervention möglich sein kann, so wird dadurch die Prüfung von Qualitätsmerkmalen der Erhebungsmethoden gleichzeitig notwendiger und einfacher. Eine Erleichterung ergibt sich aus der bei Hypothesen erforderlichen Spezifikation, welche Konstrukte erhoben werden sollen. Dadurch wird es überhaupt erst möglich, die Aussagekraft (Validität) der Erhebungsmethode als zentrales Qualitätsmerkmal greifen zu können, d. h. die Güte mit der das, was erhoben werden soll, auch tatsächlich erhoben wird. Allerdings kann die Annäherung an die Validität einer Erhebungsmethode in der Regel nur über Indikatoren erfolgen, die ihrerseits fehleranfällig sind (für Einführungen in die Validitätstheorie siehe Newton und Shaw 2014). Solche Indikatoren können etwa sein: Die Beständigkeit der erhobenen Angaben bei einem wiederholten Einsatz des Instruments mit denselben Personen (Test-Retest Reliabilität), erwartungsgemäße Zusammenhänge mit Ergebnissen anderer, bereits etablierter Methoden zur Erhebung desselben Konstrukts oder anderen belastbaren Außenkriterien (kriterienorientierte Validität) oder erwartbare Zusammenhänge zwischen den Ergebnissen zu den einzelnen Fragen innerhalb des Verfahrens. Notwendiger wird die Angabe von Qualitätsmerkmalen der eingesetzten Erhebungsmethoden deshalb, weil nur so der Prozess der Hypothesentestung nachvollziehbar und glaubwürdig gestaltet werden kann.

Die Validität von Befragungsinstrumenten spielt auch in der Forschung zur Prävalenz sexueller Gewalt mit Kindern und Jugendlichen eine tragende Rolle. Aufgrund der hier notwendigen Arbeit mit großen Stichproben und den daraus resultierenden zeitökonomischen Anforderungen sowie fehlenden Möglichkeiten zu Rückfragen hat sich um die Kunst, Fragen für Surveys zu formulieren, seit längerem eine intensive Fachdiskussion entwickelt (z. B. Fowler 1995; Schaeffer und Presser 2003; Bradburn et al. 2004). Die Klarheit sowie Verständlichkeit von Fragen bzw. angebotenen Antwortalternativen hat sich hier als wichtiges Gütekriterium herauskristallisiert. Sofern Antworten aus verschiedenen Gruppen von Kindern und Jugendlichen miteinander verglichen werden sollen, kann auch Messäquivalenz als bedeutsames Qualitätsmerkmal angesehen werden. Hierbei handelt es sich um die Vergleichbarkeit des Verständnisses einer Frage und der dadurch ausgelösten Antworttendenzen über verschiedene Gruppen von Kindern bzw. Jugendlichen hinweg, beispielsweise in Gruppen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen (Spector 2014).

Verkompliziert wird die gesamte Diskussion um Qualitätskriterien für Erhebungsmethoden durch den Umstand, dass Instrumente nur in konkreten Anwendungssituationen untersucht werden können, weshalb sich Befunde zu Qualitätsmerkmalen niemals gänzlich auf ein Verfahren an sich, sondern immer nur auf ein Verfahren in seinen bislang untersuchten Anwendungssituationen beziehen. Vor allem für die Übertragung von Verfahren in neue Anwendungskontexte ist es wichtig, dies als zwangsläufige Unsicherheit zu akzeptieren, selbst wenn Kataloge kommerzieller Anbieter von Erhebungsverfahren einen anderen Eindruck zu erwecken versuchen. Es kann allerdings nicht nur Zeit sparen, sondern auch die Qualität von Erhebungen erhöhen, wenn in neuen Studien geeignete, bereits etablierte Instrumente herangezogen werden und frühere Untersuchungen als Vergleichsfolien oder (bei ähnlichen Gruppen befragter Kinder bzw. Jugendlicher) als kostenlose Pretests fungieren.

 
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