Menschenwürde und Freiheit – Caliban der Indigene

Trinculo trifft auf Caliban

Die zweite Szene des zweiten Aktes, in welcher Caliban, der Sklave Prosperos, auf den Hofnarren Trinculo und den Trunkenbold Stephano trifft, eignet sich sehr gut für die Betrachtung im Politikunterricht, da hier zwei in enger Verbindung zueinander stehende Fachkonzepte der politischen Bildung diskutiert werden können. Zum einen lässt sich ein Bezug zum Thema Menschenwürde herstellen, zum anderen besteht hier die Möglichkeit, verschiedene Interpretationen des Freiheitsbegriffes zu analysieren.

Zu Beginn der Szene befindet sich Caliban noch allein auf der Bühne. Verwünschungen gegen seinen Herrn ausstoßend schleppt er Holz, wie es ihm aufgetragen wurde. Als er am Horizont Trinculo auftauchen sieht, wirft er sich aus Angst, Prospero hätte wieder einmal einen seiner Geister geschickt, um ihn zu quälen, auf den Boden. Trinculo bemerkt Caliban, hält ihn jedoch zunächst für einen Fisch, den er auf dem Markt in England verkaufen könnte.

TRINCULO. …komischer Fisch! Wäre ich jetzt in England, wo ich einmal gewesen bin, und hätte diesen Fisch als Aushängeschild, so gäbe es keinen Sonntagsnarren, der mir nicht ein Silberstück zahlen würde. So würde ich durch dieses Monstrum zum gemachten Mann; jede fremdartige Bestie stellt da ihren Mann. Nicht einen Heller geben sie einem lahmen Bettler als Almosen, bezahlen aber zehn, um einen toten Indianer zu sehen.

(Shakespeare, II.ii.27–33)

Trinculos erste Reaktion auf Caliban macht bereits deutlich, in welcher Position er sich ihm gegenüber wähnt. Obwohl der Neapolitaner bald erkennen muss, dass das, was er zunächst für einen Fisch hielt, eher einem menschlichen Wesen gleicht, bleibt Caliban für ihn eine Kreatur, die sich nicht auf Augenhöhe mit ihm selbst befindet. Aus diesem Selbstverständnis der persönlichen Überlegenheit heraus bezeichnet er Caliban in herabsetzender Art und Weise als „Monstrum“ (Shakespeare, II.ii.30), „Bestie“ (Shakespeare, II.ii.30), „Eingeborenen“ (Shakespeare, II.ii.36), „Mondkalb“ (Shakespeare, II.ii.118) oder „Ungeheuer“ (Shakespeare, II.ii.145). Tatsächlich verwendet er während der gesamten Szene, wenn er von Caliban spricht, stets eine der zuvor genannten Bezeichnungen. Es scheint, als meine Trinculo, er könne das zwischen ihm und Caliban bestehende Machtverhältnis durch den bloßen Gebrauch der Sprache immer wieder von neuem manifestieren. Auch Prospero, dem sein aus Büchern erworbenes Wissen große Macht verliehen hat, bedient sich in seinem Verhältnis zu Caliban der Sprache als Mittel der Unterdrückung.

Trinculos kurzer Verweis auf die Indianer gewinnt durch den nun folgenden Auftritt Stephanos an Bedeutung: Nachdem Trinculo sich entschieden hat, sich unter Calibans Umhang zu verstecken, um sich vor einem herannahenden Unwetter zu schützen, erscheint der betrunkene Stephano, der seinen Freund und Caliban für ein seltsames Geschöpf mit vier Beinen hält. Ähnlich wie zuvor Trinculo bezeichnet auch Stephano Caliban fortan nie als Mensch, sondern als „Insel-Monster“ (Shakespeare, II.ii.66) oder „Wilden“ (Shakespeare, II.ii.59). Zudem kommt auch Stephano die Idee, durch den Verkauf Calibans ein gutes Geschäft machen zu können.

STEPHANO. Wenn ich es kuriere und zähme und es dann nach Neapel bringe, ist es ein würdiges Geschenk für jeden Kaiser, der je in Lederschuhen wandelte. (Shakespeare, II.ii.69–71)

Beide Neapolitaner sehen in Caliban keinen Menschen, sondern lediglich ein Objekt, das man verkaufen kann. Caliban reagiert zunächst voller Angst auf Stephano, da er auch ihn für einen Untergebenen Prosperos hält, der gesandt wurde, um ihn zu peinigen. Stephano, der seine Unruhe bemerkt, hält es für die beste Lösung, Caliban von seinem Wein kosten zu lassen, um ihn zur Ruhe zu bringen. Ekkehart Krippendorff weist sehr treffend darauf hin, dass diese Szene auch in Bezug zur Realgeschichte der nordamerikanischen Indianer gesetzt werden kann, die durch das Feuerwasser der europäischen Kolonialherren ruhiggestellt und gefügig gemacht wurden (vgl. Krippendorff 1992, S. 475). Der Alkohol wirkt sich sofort auf Calibans Verhalten aus. Er betrachtet Stephano nun nicht mehr als eine Gefahr, sondern als einen „Gott mit himmlischem Getränk.“ (Shakespeare, II.ii.118), dem er sich gerne unterwerfen möchte. Trotz Trinculos Belustigung angesichts Calibans Verehrung eines Trunkenboldes weicht jener nicht von seiner unterwürfigen Haltung ab. Vielmehr bietet er Stephano an, ihm die Schätze der Insel zu zeigen und ihm ergeben zu dienen. Der berauschte Caliban, der nun glaubt, einen besseren Herren als Prospero gefunden zu haben, stimmt einen Freudengesang an, der mit den Worten „Freiheit, heissa! Heissa, Freiheit! Freiheit, heissa, Freiheit!“ (Shakespeare, II.ii.186–187) endend, den traurigen Schlusspunkt dieser Szene darstellt. Caliban hat keine Freiheit erlangt, sondern sich nur einem weiteren Herren unterworfen.

 
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