Fallauswahl – CSCG
Analog des empirischen Vorgehens erfolgt die Fallauswahl in einem zweistufigen Verfahren. Zunächst gilt es, eine geeignete Stichprobe zu finden, auf deren Basis der Professionalisierungsgrad von auf EU-Ebene agierenden NGOs ermittelt werden kann; wobei mit Verweis auf das von Saurugger (2008c) formulierte Forschungsdesiderat hauptsächlich die Quantität im Vordergrund steht. Die Resultate dieser Erhebung wiederum bilden, in Kombination mit weiteren im Folgenden spezifizierten Kriterien, die Grundlage für die Fallauswahl in Hinblick auf die Methodentriangulation von Experteninterview und Dokumentenanalyse zum Zweck des systematischen Vergleichs der Linkage-Leistung von NGOs mit divergierendem Professionalisierungsgrad.
Kategorisierungsversuche des Untersuchungsgegenstands erweisen sich, vor allem aufgrund der Vielseitigkeit des NGO-Sektors, als schwierig (Banks & Hulme 2012). In Abhängigkeit des jeweiligen Forschungsinteresses lassen sich diverse Schemata zu deren Typologisierung finden [1]. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit legt die Kombination verschiedener Ansätze nahe. Der zweite Teil der empirischen Untersuchung fokussiert auf EU-Ebene agierende NGOs gemäß
der in Kapitel 3.2 explizierten Definition; PIA sowie rein national orientierte NGOs sind aus der Analyse ausgeschlossen. Die Existenz eines Büros auf EUEbene ist somit Voraussetzung, um in die Stichprobe diesen Teils der Erhebung aufgenommen zu werden.
Mit dieser Vorgehensweise werden die Organisationen erfasst, die rekurrierend auf die theoretischen Ausführungen am wahrscheinlichsten der Rolle als Linkage-Agenten nachkommen (können) und die daran gebundenen demokratisierenden Effekte zeigen: Zum einen NGOs als der Organisationstypus, dem eine solche Leistung im Besonderen zugeschrieben wird (Kohler-Koch 2011a: 10; Pollack 2004: 33). Zum anderen steigt durch die permanente Anwesenheit, festgemacht an der Existenz eines EU-Büros, die Wahrscheinlichkeit des Zugangs zu politischen Entscheidungssystemen – eine Situation, die den, dem LinkageKonzept immanenten, Funktionen der Inputund Output-Kommunikation (Steiner & Jarren 2009) besonders zuträglich ist. Darüber hinaus erlaubt dieser Ansatz, eventuelle Effekte hervorgerufen durch nationale Unterschiede in der politischen Opportunitätsstruktur, dem Mediensystem und den institutionellen Rahmenbedingungen (Hallin & Mancini 2004) auszuschließen. Deren Einfluss wurde in zahlreichen Studien bestätigt (siehe u.a. Eising 2004; Beyers 2002; Cowles 2001). Mit dem gewählten Vorgehen kann mit größerer Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Variationen in der AV „Linkage-Leistung“ auf die UV
„Professionalisierungsgrad“ zurückzuführen sind.
Auf EU-Ebene existiert zum Untersuchungszeitpunkt lediglich das, von der Kommission eingeführte, freiwillige Register der Interessenvertreter [2]. Die in der Kategorie „Nichtregierungsorganisationen und deren Verbände“ verorteten Organisationen sollen neben Freiwilligkeit, Unabhängigkeit, Nichtstaatlichkeit und Nonprofit-Orientierung ein weiteres Kriterium erfüllen: Sie sollen nicht die ökonomischen oder beruflichen Interessen ihrer Mitglieder repräsentieren, sondern dem Gemeinwohl dienen und im Interesse Anderer handeln (Kom 2000: 4). Zwar entsprechen diese Bedingungen weitgehend dem hier präferierten Verständnis von NGOs, indessen findet seitens der EU-Organe nur mangelnde Kontrolle hinsichtlich der dort registrierten Organisationen statt. Somit findet sich in der Kategorie „NGO“ eine Vielzahl von Organisationen, die nicht mit der NGODefinition dieser Studie übereinstimmen, weswegen sich das Register als unbrauchbar für die Fallauswahl erweist.
Eine Form der offiziellen Registrierung oder Assoziation ist jedoch notwendiges Kriterium der Fallauswahl, da es wahrscheinlicher ist, dass EU-Organe auf für sie im Zuge dessen sichtbare NGOs „zurückkommen“ oder auf deren Anfragen reagieren. Eine Assoziation mit anderen NGOs erhöht die Chance, als Verhandlungspartner in Politikprozesse eingebunden zu werden; eine der Linkage-Realisierung förderliche Voraussetzung. In Referenz auf Kohler-Koch et al. (2008) bzw. Kohler-Koch und Buth (2009) wird daher auf die CSCG zurückgegriffen. Deren Mitgliedschaftskriterien sind u.a. wie folgt:
• Are non-governmental and not for profit.
• Represent a qualitatively and/or quantitatively representative part of civil society and have a sufficiently wide scope/range of issues they work on in order to be able to give meaningful input to a cross-sector dialogue and joint actions.
• Have a permanent European network structure with membership criteria, are participatory in their structure, consultative with their members, and transparent about their funding, vision/aims, and affiliations [3].
Auf Basis dieser Charakteristika haben sich Netzwerke und Plattformen aus acht Politikbereichen zusammengeschlossen – Kultur, Entwicklungszusammenarbeit, Menschenrechte, Gesundheitswesen, Bildung, Umwelt, Soziales und Frauen. Die assoziierten NGO-Gruppen und damit die zweite Organisationsebene der CSCG sind:
• CONCORD, the European NGO confederation for Relief and Development
• Culture Action Europe (CAE), the Forum for the Arts and Heritage
• EPHA, the European Public Health Alliance
• EUCIS-LLL, the European Civil Society Platform on Lifelong Learning
• EWL, the European Women's Lobby
• Green10 (GT), a group of leading environmental NGOs active at EU level
• HRDN, the Human Rights and Democracy Network
• Social Platform (Social), the Platform of European Social NGOs
Die CSCG repräsentiert also eine breite Spanne zivilgesellschaftlicher Anliegen und ist abgesehen vom Register der Interessenvertreter die umfangreichste Listung europäischer NGOs. Neben der reinen Quantität, erweist sie sich aus dreierlei Gründen als geeigneter Ausgangspunkt der Fallauswahl. So deckt sich die NGO-Definition dieser Studie mit der Selbstbeschreibung der in der CSCG assoziierten Organisationen, als „rights and value based NGO[s] (…) acting in the public interest“ [4]. Damit allein unterscheidet sich die CSCG noch nicht von der Kategorie „NGO“ des Interessenvertretungsregisters. Ausschlaggebendes Kriterium ist, dass es sich bei der großen Mehrheit der Organisationen der ersten bis dritten Mitgliedschaftsebene um NGOs im hier definierten Sinne handelt (Kohler-Koch & Buth 2009: 12) und deren Anteil wesentlicher höher ist, als in der Kategorie des Interessenvertreterregisters. Ferner ist der Anspruch der CSCG die Repräsentation der europäischen Zivilgesellschaft. Ihr explizites Ziel ist es, jenen Gesellschaftssegmenten eine Stimme zu verleihen, die nicht selbst für sich sprechen können (Platform of European Social NGOs 2001) und „Initiator und Motor der politischen Partizipation der Bürger zu sein“ (Kohler-Koch 2011b: 44), weshalb sie, unter Bezugnahme auf die in Kapitel 4.4 dargelegten Erwartungen an NGOs seitens der EU-Institutionen, von besonderem Interesse sind.
Zweck der Analyse ist kein Vergleich von NGOs, die in unterschiedlichen nationalstaatlichen Kontexten verwurzelt sind, sondern der Linkage-Leistung verschiedener Organisationstypen. Aufgrund dessen soll mit Blick auf die herausgearbeiteten potenziellen weiteren Einflussfaktoren (siehe Kapitel 7) ein möglichst breites Spektrum an NGOs in puncto Mitgliedschaftsoption, Alter, Organisationsstruktur und Politikbereich abgedeckt werden. Ein solches Vorgehen ist mit den Organisationen der CSCG möglich. In Hinsicht auf forschungsökonomische Kriterien werden die Organisationen der ersten bis dritten Ebene ausgewählt. Diese umfassen die CSCG auf der ersten, die oben aufgeführten assoziierten NGO-Gruppen auf der zweiten und deren direkte Mitgliederorganisationen auf der dritten Organisationsebene. Daraus ergibt sich eine Fallanzahl von 341 Organisationen, die für die erste Stufe der Empirie, die Ermittlung des Professionalisierungsgrades und die Verifizierung der weiteren Kriterien der Fallauswahl, berücksichtigt werden.
- [1] Es finden sich Kategorisierungen nach Politikfeldern (Boli & Thomas 1999; Keck & Sikkink 1998), Zielen (Martens 2005a; Coston 1998: 361), Advocacyund Serviceorientierung (Teegen et al. 2004; Breitmeier & Rittberger 1998; Gordenker & Weiss 1996; Willetts 1996) und primär verfolgten Strategien (kooperativ vs. konfrontativ; Elitevs. Öffentlichkeitsstrategien). Besonders anhand von Faktoren wie Organisationsform (Thränhardt 1992: 226) oder geographischem Radius der Aktionen lassen sich zahlreiche NGO-Typen identifizieren (Martens 2002b; Gordenker & Weiss 1996: 41f)
- [2] Dessen Vorläufer „CONNECS“ wurde 2007 geschlossen. Neben dem Interessenvertreterregister der Kommission führte das EP seit 1996 eine Liste der beim EP akkreditierten Interessenvertreter. Im Juni 2008 wurde, im Zuge der Europäischen Transparenzinitiative, das „Register der Interessenvertreter der Europäischen Union“ und 2011 das gemeinsame „Transparenzregister“ von Kommission und EP eingeführt. europa.eu/transparency-register/index_de.htm
- [3] act4europe.org/code/en/about.asp?Page=3&menuPage=3
- [4] act4europe.org/code/en/about.asp?Page=3&menuPage=3