Empfehlungen für Analyse und Darstellung

Strukturgleichungsmodelle sind ein außerordentlich mächtiges Werkzeug zur Modellierung komplexer Zusammenhänge und Hypothesen. Vielen Anwendern bereitet diese Komplexität aber auch Probleme: Unter der Überschrift „How to Fool Yourself with SEM“ listet Kline (2010, Kap. 13) nicht weniger als 52 häufige Fehler bei Spezifikation, Vorbereitung der Daten sowie Analyse und Interpretation von Strukturgleichungsmodellen auf. Dieser kurze Abschnitt kann und soll die dringend anzuratende Lektüre von Klines Kapitel nicht ersetzen. Sein Ziel ist es vielmehr dem Leser einige wenige allgemeine Strategien zur Spezifikation und Schätzung von Strukturgleichungsmodellen sowie Tipps zur Präsentation der Ergebnisse an die Hand zu geben (siehe dazu auch Boomsma 2000; Boomsma et al. 2012; Hoyle und Isherwood 2013).

Theoretische Grundlagen und Spezifikation

1. Die Modellspezifikation muss der (vorläufige) Endpunkt theoretischer Überlegungen sein

Strukturgleichungsmodelle dienen der Prüfung von theoretisch gut begründeten Vermutungen über latente Strukturen und deren geeignete Operationalisierungen. Ein explorativer Einsatz von Strukturgleichungsmodellen ist schon deshalb sinnlos, weil zu jeder empirischen Kovarianzmatrix eine große Zahl von Modellen geschätzt werden kann, die vergleichbar gut zu den Daten passen und in fast beliebiger Weise interpretiert werden können. Vor Beginn der eigentlichen Modellierung müssen die theoretischen Annahmen deshalb klar ausformuliert und am besten durch ein Pfaddiagramm (eine einfache Skizze auf einem Blatt Papier genügt) dokumentiert werden. Dies schließt spätere Anpassungen nicht aus.

2. Modelle müssen weder realistisch noch vollständig sein

(Empirische) Theorien sind Systeme von Aussagen über die Wirklichkeit. Statistische Modelle sind keine verkleinerten Abbilder der Wirklichkeit, sondern reduzieren den Kern dieser Aussagensysteme auf einige wenige zentrale Variablen und deren Beziehungen, die als wesentlich betrachtet werden. Ein gutes Modell ermöglicht es, einen Teilaspekt einer Theorie mit den Daten zu konfrontieren. Kleine, relativ einfache Modelle sind für die Forscherin einfacher zu überblicken. Ihre Parameter sind leichter zu schätzen, und der potentielle Erkenntnisgewinn ist größer.

3. Konkurrierenden Hypothesen umsetzen

Die Modellierung dient nicht dazu, einen Teilausschnitt der Wirklichkeit möglichst genau nachzubilden, sondern eine konkrete Forschungsfrage zu beantworten. Modellierungen, die sich darauf beschränken, zwei oder drei konkurrierende Hypothesen gegeneinander zu testen, sind oft besonders fruchtbar.

4. Multiple Indikatoren sind wichtig

In der Regel lassen sich Konstrukte bereits mit je zwei Indikatoren operationalisieren. Wenn irgend möglich, sollten pro Konstrukt aber drei oder mehr Indikatoren zum Einsatz kommen. Messtheoretisch betrachtet steigt mit jedem zusätzlichen Indikator die Wahrscheinlichkeit, dass sich zufällige Messfehler gegenseitig ausgleichen. Darüber hinaus steigt mit jeder zusätzlichen beobachteten Variablen die Anzahl der unabhängigen Elemente in der zugrundeliegenden Varianz-Kovarianzmatrix und damit der Informationsgehalt der Daten überproportional [1]. Dadurch stehen mehr Freiheitsgrade zur Verfügung, und die Schätzungen sind in der Regel stabiler [2].

  • [1] Bei p beobachteten Variablen beträgt die Zahl der unabhängigen Elemente der VarianzKovarianzmatrix p×(p−1) + p. Durch eine zusätzliche Variable erhöht sich diese Zahl um p + 1. Beispielsweise steigt die Zahl der Varianzen/Kovarianzen von 10 auf 21, wenn zwei Faktoren mit 2 × 3 statt mit2 × 2 Indikatoren operationalisiert werden
  • [2] Die zusätzlichen Variablen dürfen allerdings nicht perfekt oder nahezu perfekt mit den bereits vorhandenen Variablen bzw. deren Linearkombinationen korrelieren
 
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