Kategoriale latente Variablen

Klassische Strukturgleichungsmodelle und damit auch alle in diesem Buch vorgestellten Beispiele beschränken sich auf kontinuierliche latente Variablen. In vielen Fällen ist dies angemessen: Einstellungen von Bürgern gegenüber politischen Streitfragen, ideologische Präferenzen von Abgeordneten und sogar die Qualität von Demokratien (Treier und Jackman 2008) sind konzeptuell Punkte auf einem Kontinuum von Möglichkeiten.

Andere politikwissenschaftliche Variablen sind aber konzeptuell kategorial. So unterscheidet Converse (1964) in seiner klassischen Studie zur Struktur von Einstellungssystemen zwischen einer kleinen kognitiven Elite, die stabile politische Präferenzen aufweist, und einer großen Gruppe von Bürgern, die sich zwar an Meinungsumfragen beteiligt, aber eigentlich keine Einstellungen zu den erfragten Gegenständen hat und deshalb „non-attitudes“, also zufällige Antworten zu Protokoll gibt. Da die Zugehörigkeit zu einer dieser beiden Gruppen äußerlich nicht erkennbar ist, handelt es sich um eine dichotome latente Variable.

Noch etwas komplexer stellt sich die Lage bei der wichtigsten Einstellungsvariable der sozialpsychologisch orientierten Wahlforschung, der sogenannten Parteiidentifikation dar. Darunter versteht man eine stabile Bindung an eine Partei, die einen wesentlichen Einfluß auf das Wahlverhalten ausübt, aber dieses nicht vollständig determiniert (Campbell et al. 1960; Falter 1977a). Da die Parteiidentifikation eine Einstellungsvariable ist, die nur mit Hilfe von fehlerbehafteten Indikatoren gemessen werden kann, handelt es sich offensichtlich auch hier um eine latente Variable, die in den europäischen Mehrparteiensystemen aber mehrere Ausprägungen aufweisen wird, also als multinomial zu betrachten ist (Arzheimer und Schoen 2005).

Durch die Ausprägungen einer solchen Variablen lassen sich die Untersuchungspersonen in Gruppen einteilen. Da diese Aufteilung erschöpfend und disjunkt, aber nicht direkt beobachtbar ist, spricht man von einer latenten Klassifikation oder kurz von latenten Klassen. Die auf Lazarsfeld (1950) zurückgehenden Verfahren, die dem Zweck einer latenten Klassifikation dienen, werden als LATENT CLASS ANALYSIS (LCA) bezeichnet. Liegen Längssschnittdaten vor, so stellt sich im Anschluß die Frage, wie stabil die Mitgliedschaft in diesen latenten Klassen ist und unter welchen Bedingungen mit dem Übergang in eine andere Klasse (z. B. durch Wechsel oder Aufgabe der Parteiidentifikation, siehe Arzheimer und Schoen 2005) zu rechnen ist. Dies läßt sich mit Hilfe der LATENT TRANSITION ANALYSIS (LTA) beantworten, die die LCA um eine solche dynamische Perspektive erweitert (Collins und Wugalter 1992; Hagenaars 2002).

Lange Zeit war man zur Schätzung von Modellen mit kategorialen latenten Variablen auf spezialisierte Programme wie Latent GOLD, LEM oder WinLTA angewiesen. Das generalisierte Modell für latente Variablen („Muthén-Modell“, siehe Muthèn 2002) beinhaltet LCA und LTA jedoch als Spezialfälle. Deshalb lassen sich mit Mplus eine Vielzahl von Modellen für kategoriale latente Variablen schätzen. In eingeschränktem Umfang gilt dies auch für Stata. Allerdings müssen hier externe (aber frei verfügbare) Zusatzprogramme installiert werden: entweder das oben in Abschn. 1.4 erwähnte GLLAMM, oder das von den Entwicklern von WinLTA zur Verfügung gestellte LCA-Plugin (methodology.psu.edu/downloads/lcastata).

Insbesondere im Kontext politikwissenschaftlicher Panelstudien werden Verfahren für kategoriale latente Variablen noch mehr an Bedeutung gewinnen. Für die nähere Zukunft ist deshalb damit zu rechnen, dass die Entwicklung benutzerfreundlicher Software in diesem Bereich weiter voranschreitet.

 
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