Brunei
Historische Entwicklung und Herausforderungen
Das im Nordwesten der Insel Borneo gelegene Sultanat Brunei Darussalam (malaiisch: Negara Brunei Darussalam, „Brunei, Ort des Friedens“) umfasst einen östlichen und westlichen Landesteil, die von dem zum malaysischen Bundesstaat Sarawak gehörenden Limbang-Tal voneinander getrennt sind. Mit einer Bevölkerung von 414.400 Einwohnern (2010) gehört Brunei zur Gruppe der Mikrostaaten[1]. Knapp 65 % sind Staatsbürger, zum größten Teil Malaien sowie in kleinerer Zahl Angehörige indigener Volksgruppen. Aus den staatlichen Statistiken ist nicht ersichtlich, wie hoch der Anteil der Minderheiten am Staatsvolk ist. Nach Schätzungen von Saunders (1994, S. 175) sind es etwa ein Fünftel der Bevölkerung.
Weitere 8 % der Gesamtbevölkerung besitzen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung („permanent residents“). In der Regel sind dies ethnische Chinesen, denen bei der Unabhängigkeit 1984 die Staatsbürgerschaft vorenthalten wurde und die über vom bruneiischen Staat ausgestellte Reisedokumente verfügen. Bei den restlichen 27 % handelt es sich um Personen mit befristetem Aufenthaltsrecht („temporary residents“), überwiegend Arbeitskräfte aus Südund Südostasien, die im Dienstleistungssektor beschäftigt sind. Laut des Zensus von 2001 sind 75 % der Gesamtbevölkerung Muslime, 9 % Christen und 8,5 % Buddhisten (Brunei Darussalam 2010).
Brunei ist die einzige absolute Monarchie in Südostasien[2]. Der von der malaiischen
Bevölkerung praktizierte sunnitische Islam der schafiitischen Rechtsschule ist Staatsreligion. Der Sultan ist Staatsoberhaupt (malaiisch: „Yang Di-Pertuan“) und „Oberhaupt
Bevölkerung |
Jahr der Unabhängigkeit |
Staatsform |
414.400 |
1984 |
Monarchie |
Territorium |
Jahr der geltenden Verfassung |
Staatsoberhaupt |
5.765 km2 |
1959 |
Sultan Hassanal Bolkiah(seit05.10.1967) |
BIP p.c. (2005 PPP, 2012) |
Amtssprachen |
Regierungschef |
$ 45.978 |
Malaiisch |
Sultan Hassanal Bolkiah(seit05.10.1967) |
Ethnische Gruppen |
Demokratiestatus (BTI 2014) |
Regierungssystem |
66,7 % Malaien, 11,1 % Chinesen, 6,0 % indigene Völker, 12,1 % Andere |
n/a |
Sonderfall |
Religionsgruppen |
Regimetyp |
Regierungstyp |
75,0 % Muslime, 9,4 % Christen 8,5 % Buddhisten, 7,9 % Sonstige |
Autokratie |
Parteienlose Regierung |
Quelle: Brunei Darussalam (2010); WDI (2013); CIA (2014)
der offiziellen Religion von Brunei Darussalam“ (Art. 3 [2004], Constitution of Brunei Darussalam). Innenpolitisch verharrt das Land seit der Unabhängigkeit im Absolutismus. Zwar gibt es seit 1959 eine Staatsverfassung, aber der Sultan ist dem Anspruch nach die alleinige Staatsgewalt und muss diese nicht mit dem Parlament teilen. Auch die rechtssprechende Gewalt steht dem Sultan zu, als Ausdruck seiner unteilbaren Souveränität und des Doppelcharakters des Sultanats als geistlicher und weltlicher oberster Autorität.
Der bruneiische Staatsmythos verlegt die Gründung des Sultanats auf das Jahr 1363, als Sultan Awang Alak Betatar zum Islam konvertierte und die noch heute herrschende Dynastie begründete (Talib 2002, S. 143). Nach der offiziellen Geschichtsschreibung ist Sultan Hassanal Bolkiah, der 1967 auf den Thron gelangte, der 29. Sultan aus der Herrscherfamilie (Saunders 1994, S. 43)[3]. Seine Blütezeit hatte das Sultanat vom 15. bis 17. Jahrhundert. Sein Herrschaftsbereich umfasste Borneo sowie Teile der heutigen Philippinen. Mit dem Eintreffen der europäischen Mächte im 16. Jahrhundert verlor Brunei sukzessive seinen Einfluss auf den regionalen Seehandel sowie die Kontrolle über den Sulu-Archipel und Palawan, eine Inselgruppe im Westen der Philippinen. Innere Streitigkeiten und die britische Expansion in Sarawak bewirkten, dass Brunei im 19. Jahrhundert große Teile seines Einflussbereichs auf Borneo einbüßte (Leake 1989). Im Anglo-Bruneiischen Vertrag von 1847 musste der Sultan seine außenpolitische Souveränität an den britischen Generalkonsul auf Borneo abtreten (Saunders 1994, S. 79).
Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts drohte Brunei ganz von der politischen Landkarte zu verschwinden. Vor der vollständigen Auflösung wurde das Sultanat durch den Protektoratsvertrag (1888) mit dem Vereinigten Königreich bewahrt. Im Dezember 1905 folgte der Abschluss eines Herrschaftsvertrags, der festlegte, dass dem Sultan ein britischer Beamter („Resident“) als Berater zur Seite gestellt wurde. Den „Ratschlägen“ dieses Residenten war Folge zu leisten, außer in Fragen, die die islamische Religion betrafen. Im Gegenzug garantierte die Kolonialmacht den Fortbestand der Herrscherdynastie (Saunders 1994, S. 107).
Die Residenten-Periode dauerte bis 1959, unterbrochen durch die japanische Besatzung im Zweiten Weltkrieg (1941–1945). Der Schutz durch das Protektorat ermöglichte die innere Konsolidierung des Sultanats. Konkurrierende Adelsfraktionen wurden entmachtet und die Entdeckung von Erdöl durch Royal Dutch Shell (1929) eröffnete dem Herrscherhaus neue Einnahmequellen. Bereits kurz nach Aufnahme der Förderung (1932) war Brunei der drittgrößte Produzent von Petroleum im Britischen Commonwealth (Saunders 1994, S. 117). Die Förderung von Erdöl und Flüssiggas aus Lagerstätten vor der Küste startete in den 1950er Jahren (Leake 1989, S. 114). Seitdem entwickelte sich Brunei von einem Agrarstaat zu einem Rentenstaat (vgl. Info-Box 3.1), dessen Wohlstand bis heute hauptsächlich auf dem Export von Erdöl und Erdgas basiert. Die drastische Steigerung des Nationaleinkommens manifestiert sich in einem im regionalen Vergleich nur von Singapur überbotenen Niveau des Zugangs der Bevölkerung zu Einkommen, Gesundheitsversorgung, Bildung und anderen staatlichen Dienstleistungen (vgl. UNDP 2014).
Info-Box 3.1: Rentenstaat
Der Rentenstaat (auch: Rentierstaat) zeichnet sich dadurch aus, dass der Staat der Empfänger einer Rente ist. Renten sind Einkommen, denen keine Investitionsoder Arbeitsleistung entspricht und die deshalb dem Empfänger zur freien Verfügung stehen (Beck 2007). Renten können ökonomisch, politisch (i. d. R. ausländische Finanz-, Entwicklungsoder Militärhilfe) oder Migrantenrente sein. Eine ökonomische Rente entsteht durch unterschiedliche Produktionskosten für ein Gut. Sie entspricht der Differenz von Marktpreis und örtlichen Produktionskosten. Sie umfasst unverarbeitete Rohstoffe, landwirtschaftliche Güter und verarbeitete Produkte (Beck 2007). Der Rentenstaat finanziert sich überwiegend durch Renten, ist also relativ unabhängig von Steuereinnahmen oder anderen Abgaben seiner Bürger. Der Rentenstaat ist ein „Allokationsstaat“ (Pawelka 1993), d. h. die Verwendung der Rente dient primär der Deckung politischer Interessen. Da eine autoritär verfasste Herrschaftsstruktur kennzeichnend für den Rentierstaat ist (Ross 2009) heißt das letztlich, dass sie der Aufrechterhaltung der autoritären Strukturen dient. In Anlehnung an Giacomo Luciani (1987) unterscheidet Martin Beck (2007) nach der Bedeutung der Rente für den Staatshaushalt zwischen schwachen (die Rente macht zwischen 20 und 30 % der gesamten Staatseinnahmen aus), mittleren (30–40 %) und starken (mehr als 40 %) Rentenstaaten.
Die 1950er und 1960er Jahre markierten einen Wendepunkt in der politischen Entwicklung Bruneis. Mit der Unabhängigkeit Indonesiens (1949) und der Föderation von Malaya (1957) sowie dem nahen Ende der britischen Kontrolle über Sarawak und Sabah (vgl. Kap. 7.1) formierte sich in Brunei eine pan-bornesische Unabhängigkeitsbewegung unter Führung der 1956 gegründeten Partai Rakyat Brunei (Bruneiische Volkspartei, PRB). Die PRB forderte den Zusammenschluss von Sarawak, Sabah und Brunei in den souveränen Föderierten Staaten von Borneo unter der nominellen Führung des Sultans von Brunei. Die aristokratische Führungselite um Sultan Omar Ali Saifuddin III. hingegen favorisierte das Zusammengehen mit Malaysia und lehnte die Einführung demokratischer Partizipationsmöglichkeiten ab (Singh 1984, S. 125; Lindsey und Steiner 2012,
S. 498). Die 1959 auf britischen Druck hin verabschiedete Staatsverfassung sah lediglich die Einführung eines teilweise indirekt gewählten Parlaments (Gesetzgebender Rat) mit beratender Funktion vor. Der im selben Jahr neu verhandelte Protektoratsvertrag gewährte Brunei die volle Selbstverwaltung. Lediglich die Verantwortung für Außenpolitik, innere Sicherheit und Verteidigung verblieb beim britischen Hochkommissar.
Im August 1962 fanden erstmals Wahlen zum Gesetzgebenden Rat statt. In einem zweistufigen Wahlverfahren wurden zunächst 55 Vertreter der vier Distrikte des Landes gewählt. Diese bildeten ein Wahlmännerkollegium, aus dessen Mitte 16 der insgesamt 33 Ratsmitglieder gewählt wurden. Die PRB konnte 54 der 55 Distriktsitze sowie alle 16 Parlamentsmandate erringen (Saunders 1994, S. 147). Als Reaktion auf die Politik des Sultans, der weiterhin keine Bereitschaft zur Einbindung der Opposition erkennen ließ, radikalisierte sich die Nationalbewegung (Lindsey und Steiner 2012, S. 501). Ein Aufstand der PRB und der von Indonesien unterstützten Nationalarmee von Nordkalimantan (Tentara Nasional Kalimantan Utara, TNKU) im Dezember 1962 wurde allerdings rasch von britischen Truppen niedergeschlagen und führte zur Errichtung eines royalen Notstandsregimes (Braighlinn 1992, S. 14). Der Legislativrat wurde qua Notstandsdekret aufgelöst, die PRB verboten und ein Notstandsrat ernannt.
Die Verhandlungen mit Malaysia scheiterten 1965 an gegensätzlichen Ansichten zur Aufteilung der Einnahmen aus der Erdölund Erdgasförderung und dem Status des bruneiischen Sultans im Verhältnis zu den anderen traditionellen malaiischen Herrschern (vgl. Kap. 7.2). Die Entscheidung, nicht der Föderation von Malaysia beizutreten, sicherte dem Sultan die Kontrolle dieser Einnahmen und nahm dem Herrscherhaus den Druck, Wahlen und eine dem Parlament verantwortliche Regierung einzuführen (Tey 2007, S. 268–269). Indem Omar Ali Saifuddin III. im Jahre 1967 zugunsten seines 22-jährigen Sohnes Hassanal Bolkiah abdankte, konnte der britische Wunsch nach einer baldigen Lösung der Unabhängigkeitsfrage und Rückkehr zu einem konstitutionellen Regime umgangen werden. 1979 wurde ein neuer Vertrag zwischen der britischen Regierung und dem Sultanat geschlossen, wodurch die Zuständigkeit für die innere Sicherheit auf Brunei überging und die staatliche Unabhängigkeit für 1984 vereinbart wurde. Der Vertrag enthielt aber keine Aussagen über die Regierungsform oder die Wiedereinführung von Wahlen (Lindsey und Steiner 2012, S. 503). Mit der Unabhängigkeit des Landes zum 1. Januar 1984 war die Machtübergabe an Sultan Hassanal Bolkiah abgeschlossen.
Seit der Unabhängigkeit ruht die Stabilität des politischen Systems auf vier Pfeilern. An erster Stelle ist die Selbstlegitimation des absoluten Herrschaftsanspruchs des Sultans durch das Konzept der „Melayu Islam Beraja“ („malaiisch-islamische Monarchie“, MIB; vgl. Kap. 3.8) zu nennen. Zweitens setzt das Herrscherhaus „weiche“ Formen der Repression ein, um Kritik oder gar das Aufkommen von Opposition zu unterbinden. Zu nennen ist drittens die Sicherung der nationalen Souveränität durch die Mitgliedschaft in der ASEAN, die Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen und in der Organisation für Islamische Zusammenarbeit sowie durch bilaterale Sicherheitskooperationen mit Großbritannien und Singapur. Viertens spielt die Einbindung der malaiischen Eliten und Mittelschichten im Rahmen der als Rentenstaat zu bezeichnenden politischen Ökonomie eine große Rolle. Ähnlich wie in den Monarchien am arabischen Golf bildet das Rentenstaatsmodell die Grundlage für den „Sozialvertrag“ (Pawelka 1993), der die bruneiische Autokratie bis heute trägt. Seine finanzielle Grundlage besteht in dem Bezug von Erdölund Erdgasrenten. Ende der letzten Dekade war das Land der weltweit viertgrößte Produzent von Flüssiggas. Die Ausbeutung der Rohstoffe geschieht gemeinsam durch den Staat, internationale Unternehmen und eine neue malaiisch-chinesische Unternehmerelite (Gunn 1993). Die Verwaltung der staatlichen Reserven liegt seit der Unabhängigkeit bei der Brunei Investment Agency (BIA). Sie ist dem Finanzministerium unterstellt. Zu beachten ist, dass sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten des Herrscherhauses selbst getrennt vom Staatshaushalt geführt werden und für Außenstehende nicht einsehbar sind. Geoffrey Gunn (2008, S. 6) spricht von einer „privilegierten und geheimniskrämerischen königlichen Familienwirtschaft“ über deren Umfang, Strukturen und Verflechtungen mit der nationalen Wirtschaft keine belastbaren Daten vorliegen.
Vier Einzelunternehmen der Brunei Shell, welche zur Hälfte dem bruneiischen Staat gehört, dominieren die nationale Ölund Gasindustrie. Im Einzelnen sind dies Brunei Shell Petroleum (Förderung, Produktion und Raffination von Rohöl), Brunei Coldgas (Vetrieb), Brunei Shell Tanker (Flüssiggastransport) sowie Brunei LPG, ein Konsortium der Royal Dutch Shell, der japanischen Mitsubishi Corporation und des Sultanats Brunei. Daneben hält Jasra-Elf-Fletcher, eine Verbindung der von der königlichen Familie kontrollierten Jasra-International-Petroleum und der französischen Elf Aquitaine, einen Anteil von 10 % am nationalen Gasmarkt (Gunn 2008, S. 9). Zu Beginn des Jahrhunderts wurde Petroleum Brunei gegründet mit dem Ziel der Schaffung eines für die Entwicklung und Organisation der Ölund Gasvorkommen zuständigen nationalen
Abb. 3.1 Einnahmen aus dem Ölund Gassektor an den gesamten Staatseinnahmen (1991–2011). Quelle: eigene Zusammenstellung nach IMF (2006, 2012); Odano und Islam (2013)
Mineralölkonzerns nach dem Vorbild der malaysischen Petronas (Gunn 2008, S. 16). Das Unternehmen ist beim Büro des Regierungschefs angesiedelt und untersteht damit der Leitung durch den Sultan.
Der Rentenstaat wirkt in mehrfacher Hinsicht herrschaftsstabilisierend. In der Rentenstaatforschung sind diese Effekte als Besteuerungs-, Ausgaben-, Gruppenbildungsund Repressionseffekte bekannt (Ross 2009). Da der Rentenstaat relativ unabhängig von Steuereinnahmen ist, besteht nicht die Notwendigkeit zur Besteuerung der Bürger. Tatsächlich bezieht der bruneiische Staat seit den 1980er Jahren zwischen 70 und 93 % seiner Einnahmen aus dem Geschäft mit Erdöl und Erdgas (vgl. Abb. 3.1).
Die Rohstoffrente bietet dem Herrscherhaus den finanziellen Spielraum, um die Besteuerung der Bürger zu unterlassen (so gibt es für Privatpersonen keine Einkommenssteuer) und hierdurch dem Aufkommen von Forderungen nach größerer politischer Teilhabe entgegenzuwirken. Entpolitisierend wirken auch großzügige Versorgungsleistungen („Shellfare“; Gunn 2008) für alle Staatsbürger. Hierzu gehören die Subventionierung von Treibstoff, Wohnraum und Grundnahrungsmitteln, kostenfreie Schulbildung (seit 2003 auch für Personen mit dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung), Hochschulstipendien für Staatsangehörige sowie der Zugang zu einer günstigen und qualitativ guten Gesundheitsversorgung (Gunn 1993; Saim 2010)[4].
Hinzu kommt die Schaffung eines großen öffentlichen Sektors (Verwaltung, Sicherheitssektor, Staatsunternehmen), der eine kostenlose medizinische Versorgung, eine im regionalen Vergleich generöse Alterssicherung und höhere Gehälter als der Privatsektor bietet[5]. Dies fördert die Herausbildung von Patron-Klient-Beziehungen und die Entstehung einer Renten-suchenden („rent-seeking“) malaiischen Mittelklasse sowie einer vor allem chinesisch-sprachigen Unternehmerschaft, deren Wohlbefinden vom Fortbestand des Rentenstaats abhängt (Kershaw 2001, S. 29; Gunn 2008, S. 1; Lindsey und Steiner 2012, S. 509). Das erschwert die Bildung von politischen und sozialen Assoziationen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten.
Nicht zuletzt finanzieren die Einnahmen aus dem Ölund Gassektor auch einen herrschaftsstützenden Sicherheitsund Repressionsapparat. Seit der Unabhängigkeit leistet sich das Sultanat, relativ zur Bevölkerungszahl und der nationalen Wirtschaftsleistung, einen der kostspieligsten und größten Sicherheitsapparate in der Region (vgl. Kap. 3.7). Im Globalen Militarisierungsindex (GMI) 2012 des Bonner Instituts für Internationale Konversion (BICC) belegte das Land Rang 14 unter 150 Nationen. Innerhalb der Region weist nur Singapur höhere Militärausgaben pro Kopf auf (BICC 2013; IISS 2014).
Bislang war die Monarchie erfolgreich darin, Forderungen nach politischem Wandel und einer besseren Integration der chinesischen Minderheit in das Staatsgefüge zu unterbinden sowie territoriale Konflikte mit den Nachbarstaaten friedlich zu regeln. Perspektivisch gibt es aber eine Reihe von Herausforderungen, die das Potential haben, den paternalistischen Sozialvertrag zu untergraben.
Erstens ist die Abhängigkeit der nationalen Wirtschaft von der Entwicklung der Exporterlöse für Erdölund Erdgas zu nennen. Wie allgemein in Rentenökonomien (Beck und Schlumberger 1999; Ross 2009; Beck 2007) bestehen auch in Brunei für die Regierung nur geringe Anreize zur wirtschaftlichen Modernisierung und Diversifikation der Wirtschaftsstrukturen. Das dämpft jene sozialen Veränderungen, die nach Ansicht der Modernisierungstheorien das Entstehen emanzipativer Werte und politischer Teilhabeforderungen begünstigen, perpetuiert aber die Abhängigkeit der nationalen Wirtschaft und des Rentenstaats von der Rente[6]. Der Anteil des Ölund Gassektors am GDP sank von 76,1 % im Jahre 1985 (Saunders 1994, S. 165) auf 57.5 % (2000), ist seitdem aber wieder auf 68,3 % gestiegen (vgl. Abb. 3.2).
Zudem werden Spielräume für die Implementierung einer tragfähigen Diversifikationsstrategie durch die hohen Anforderungen an Arbeit, Kapital und Managementfähigkeiten, den rigiden, konservativen und traditionalistischen Charakter des politischen Systems und die Interessen der dominanten Verteilungskoalition eingeschränkt (Cleary und Wong 1994, S.123; Odano und Islam 2013).
Zweitens ist die fehlende Einbindung der (staatenlosen) chinesischen Minderheit in das politische und gesellschaftliche Leben zu nennen. Die aus Gründen der Legitimationsbeschaffung propagierte Islamisierung der bruneiischen Gesellschaft (vgl. Kap. 3.8)
Abb. 3.2 Anteil des Erdöl-/Erdgassektors an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung (GDP), 2000–2011 (zu aktuellen Preisen). Quelle: eigene Berechnungen nach Brunei Darussalam (2010, 2011); IMF (2006, 2012)
geht mit einer weiteren kulturellen Marginalisierung der chinesisch-sprachigen Bevölkerung einher. Diese genießt zwar das Recht auf freie Ausübung der eigenen Religion. Aber die Einführung von Scharia-Gerichten 1998/2000, die Ausweitung ihrer Jurisdiktion auf alle Staatsbürger und dauerhaft im Land Ansässigen ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit (vgl. Kap. 3.5) und die vom Staat (mit geringem Erfolg) geleisteten finanziellen Anreize für den Übertritt zum Islam (Lindsay und Steiner 2012) sind Ausdruck der Ausgrenzung dieser Minderheit aus dem Prozess der Nationsbildung. Diese Entwicklung weist ein beträchtliches Konfliktpotential auf. Ähnliches gilt hinsichtlich der Christen unter den indigenen Volksgruppen.
Drittens ist das Fehlen politischer Teilhabemöglichkeiten für die Bürger legitimationsbedürftig. In Abwesenheit von Demokratie ist die Konstruktion einer malaiischislamischen monarchistischen Nationaldoktrin zum wichtigsten Legitimationsinstrument des Herrscherhauses geworden (Lindsay und Steiner 2012, S. 324–3, 506). Dies ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, da besondere moralische und ethische Erwartungen der Bürger an das Handeln des Sultans und das Verhalten der Mitglieder des Herrscherhauses geweckt werden. Zudem ist diese Legitimationsstrategie anfällig für Herausforderungen durch religiöse Akteure, welche an den Herrschaftsdiskurs andocken, dem aber ihre eigene, radikale und transnationale Vorstellung des Zusammengehens von islamischer Religion und politischer Ordnung entgegenstellen.
- [1] In der Forschung werden als „Kleinststaaten“ meist Staaten mit einer Bevölkerung von weniger als 1 Mio. bzw. weniger als 500.000 Einwohnern bezeichnet (Maass 2009).
- [2] Zu der in der politischen Praxis mitunter schwierigen Abgrenzung von absoluter, konstitutioneller und parlamentarischer Monarchie siehe Friske (2008).
- [3] Historisch gesichert ist die islamische Religion des Sultans für die Zeit ab 1514/1515 (Nicholl 1989; Braighlinn 1992, S. 30; Saunders 1994, S. 38 f.).
- [4] 2011 flossen 8,8 % der Staatsausgaben in das Gesundheitssystem, 13,7 % in die Bildung (Weltbank 2014).
- [5] Die offiziellen Beschäftigungsstatistiken liefern insofern nur ein unvollständiges Bild, da nicht ausgewiesen ist, wie hoch der Anteil der erwerbstätigen Staatsbürger ist, die im öffentlichen Sektor beschäftigt sind. Insgesamt war 2011 rund ein Viertel der Gesamtbeschäftigten in diesem Bereich tätig (Brunei Darussalam 2011; IMF 2012).
- [6] Die bestätigten Rohstoffreserven umfassen gegenwärtig (01.01.2012) 1,1 Mrd. Barrel Erdöl sowie geschätzt 390 Mrd. Kubikmeter Flüssiggas. Nach heutigem Stand der Technik und Förderung reichen sie noch 25 bzw. 40 Jahre. Diese Voraussagen sind ggf. fortzuschreiben, da neue Technologien und die Erschließung neuer Förderstätten die Lebensspanne der Reserven deutlich verlängern könnten (EWG 2013, S. 12).