Zwischenfazit

Das Hexagon der Konfliktregelungskultur ermöglicht es festzustellen, ob sich Europäisierung im Sinne einer Übernahme von formellen und informellen Werten der EU positiv auf die friedliche Regelung von Konflikten zwischen oder innerhalb von Drittstaaten auswirkt. Mit dem Hexagon wird nicht die Idee verfolgt bzw. die „weitgehend implizite und unreflektierte Hypothese (…), dass der Prozess der europäischen Integration als solcher ein Instrument der Konfliktlösung darstelle“111; denn dieser Prozess der europäischen Integration lässt nur allzu oft die Veränderungen in den zu integrierenden Staaten außer Acht. Daher wird hier auf den Ansatz der Europäisierung zurückgegriffen, der europäische Integration eben nicht rein als Elitenprojekt versteht, in dem es schlichtweg darum geht, einen Beitrittsprozess in Gang zu bringen und in diesem Kapitel für Kapitel abzuarbeiten, bis alle Seiten die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes der EU feststellen können. Der Europäisierungsansatz ist ganzheitlicher in dem Sinne, als dass er auch die gesellschaftlichen, die ideellen Transformationsprozesse mit einbezieht und es in dieser Arbeit somit möglich ist, die Übernahme einer europäischen Konfliktregelungskultur durch die Konfliktparteien untersuchen zu können.

Das vorliegende Fallbeispiel ist nicht eindeutig als innerstaatlicher bzw. zwischenstaatlicher Konflikt einzuordnen. Denn auch wenn Kosovo während des Untersuchungszeitraums, in dem das Hexagon als Schablone angelegt wird, noch de jure als Teil Serbiens galt, war es de facto bereits wie ein eigener Staat aufgestellt: Kosovo hatte eine eigene Regierung, einen eigenen Präsidenten und eine eigenen Rechtstaatlichkeit befand sind im Aufbau. Diese Staatlichkeit wurde praktisch in keiner Weise durch Belgrad beschränkt, obwohl Kosovo rechtlich nach wie vor ein Teil Serbiens war. Wenn in den – im Folgenden näher beschriebenen – Verhandlungen Skeptiker davon sprechen, man wolle mit der Unabhängigkeit von Kosovo einen Präzedenzfall schaffen und gleichzeitig Befürworter dagegen halten, Kosovo sei ein Sonderfall und diene daher keineswegs als Präzedenzfall, so ist der letzteren Argumentation durchaus leicht zu folgen. Allein daran, dass sich dieser Konflikt nicht eindeutig als innerstaatlich oder zwischenstaatlich einstufen lässt zeigt, wie einzigartig die Situation war. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Kosovo steht, obwohl Teil des Staates Serbiens, durch die Resolution 1244 unter UN-Protektorat. Kosovo agierte also tatsächlich de facto nur bedingt als eigener Staat – nämlich mit dieser doch enormen Einschränkung durch die Vereinten Nationen. Entsprechend lässt sich argumentieren, dass es sich hier um einen dritten Konflikttypus handelt, dessen Beschreibung sich nicht – wie bei innerund zwischenstaatlichen Konflikten – an der Staatlichkeit festmachen lässt, da sich diese nicht differenziert genug zuordnen lässt. Vielmehr sollte hier auf die in einem Konfliktverhältnis zueinander stehenden Autoritäten Bezug genommen werden: die Regierung und Bevölkerung Serbiens versus der kosovarischen Regierung und Bevölkerung; bei der letztgenannten mit der o. g. Beschränkung durch das Protektorat. Somit handelt es sich um einen „zwischenherrschaftlichen“ Konflikt.

Eine eindeutige Einordnung des Konflikts ist jedoch in dem neuen, modifizierten Hexagon nicht zwangsläufig notwendig: Sowohl innerstaatliche als auch zwischenstaatliche Konflikte lassen sich damit gleichermaßen untersuchen. Ob eine Analyse dieses besonderen Typus anhand des Hexagons ebenfalls gelingen kann, wird Kapitel V entsprechend zeigen.

 
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