Die Troika-Verhandlungen

Die Teilnehmer und ihre Interessen

Im August 2007 stiegen die Konfliktparteien in erneute Verhandlungen ein. Diese wurden von der sog. Troika geleitet, die sich aus Diplomaten aus Deutschland (Wolfgang Ischinger391), aus den USA (Frank Wisner) und

Russland (Alexander Botsan-Chartschenko) zusammensetzte. Weitere 120 Tage sollten dazu dienen, einen Kompromiss, dem beide Konfliktparteien zustimmen würden, auszuarbeiten und am 10. Dezember 2007 dem Weltsicherheitsrat vorzulegen.

Wisner machte mit seinen Worten – die zum Mantra der Verhandlungen werden sollten – „We will leave no stone unturned“392, deutlich, dass jede Möglichkeit diskutiert werden sollte. Auch Ischinger betonte die Ergebnisoffenheit in einem Interview zu Beginn der Gespräche; als er nach der Möglichkeit einer Teilung Kosovos gefragt wird, antwortet er: „Wir haben aber – und das ist neu – in der Troika verabredet, jedes Ergebnis, das die beiden Parteien untereinander frei vereinbaren, zu akzeptieren, jedes Ergebnis.“393 Damit schloss die Troika offenkundig selbst eine Teilung bzw. die spekulative Möglichkeit einer Abtrennung Mitrovicas zugunsten Serbiens bei gleichzeitiger Zustimmung zu Kosovos Unabhängigkeit nicht aus. Entsprechend bewegte sie sich außerhalb des der Kontaktgruppe festgelegten Zehn-PunktePlans, der auch als Rahmen für die Ahtisaari-Verhandlungen gegolten hatte: Punkt 6 sah die territoriale Integrität Kosovos vor und schloss damit eine Teilung kategorisch aus. Diese Position wurde in der offiziellen Sprachregelung beibehalten. So hieß es in der Pressemitteilung zum Verhandlungstreffen am 30. August 2007 in Wien:

“The question of partition has not been on the agenda of either party and it is not on the agenda of the Troika which will continue to be guided by the Contact Group's Guiding Principles which reject partition.”394

Weiterhin unterstrich Ischinger zu Verhandlungsbeginn die europäische Dimension der Konfliktbeilegung mit folgenden Worten:

„Es darf nichts unversucht bleiben, um ein europäisches Problem europäisch zu lösen, sprich einvernehmlich, friedlich, in europäischer Perspektive. Auch wenn die Kompromiss-Chance nicht groß ist, es gibt sie doch.“395

Diese Ansicht machte neben der Aussage, dass europäische Konfliktbeilegung einen friedlichen Weg impliziere, gleichzeitig auch noch einmal deutlich, dass die Frage nicht losgelöst von der europäischen Perspektive der Konfliktparteien zu betrachten sei. Ferner könnte Ischinger zudem mit seiner Aussage unterstrichen haben wollen, dass trotz des Engagements der USA und Russlands die Angelegenheit vor allem eine europäische sei. Der europäische Standpunkt war zuletzt im UN-Report der Weltsicherheitsrats mission zu der Statusfrage vom Mai 2007 dargelegt worden; dieser umfasst folgende Ziele:

“(a) a commitment to building a multi-ethnic Kosovo; (b) creating functional institutions based on local ownership and accountability; (c) a clear intention not to establish an international protectorate; (d) full engagement with Serbia; and (e) continued engagement with Kosovo's regional neighbours.“396

Zwar setzten diese Formulierungen einen Rahmen für die Verhandlungsposition von Ischinger, allerdings waren sie gleichzeitig so vage, dass sie reichlich Spielraum boten. Es wurde keine Option ausgeschlossen, solange diese zu einer Stabilisierung der Region führte. Dies war geopolitisch offenkundig von höherer Relevanz für die EU-Staaten als für die beiden anderen Vermittler der USA und Russlands, die von einer weiteren Destabilisierung des Westbalkans nicht unmittelbar betroffen gewesen wären. Neben der Gewaltvermeidung oder gar militärischen Konfrontation und langfristigen Verbesserung der Sicherheitslage hatte die EU jedoch noch mehr Gründe, den Konflikt schnellstmöglich durch die Beantwortung der Statusfrage zu klären. Eine weitere Verzögerung bedeutete ebenso wirtschaftliche Kosten; die Europäische Union zahlte „letztlich die Zeche, falls ein Staatswesen entsteht, das ökonomisch nicht lebensfähig sein sollte“397, erklärte Ischinger während der Verhandlungen. Ferner wollte man neben Zypern nicht einen weiteren sog. frozen conflict innerhalb Europas, perspektivisch innerhalb einer erwei terten EU, beherbergen. Eine weitere Verzögerung war zudem wenig zweckmäßig, da bereits alles für die EU-Mission EULEX398 vorbereitet war, die jedoch im besten Fall auf Grundlage einer UN-Resolution entsandt werden sollte. Zudem setzte sie voraus, dass sie einstimmig oder mit Enthaltungen von allen EU-Mitgliedsstaaten beschlossen wurde. Somit ging Ischinger in die letzte Verhandlungsrunde mit dem Druck der europäischen Mitgliedsstaaten, die sich zwar einig über die Notwendigkeit einer Lösung waren, nicht aber in deren Ausgestaltung. Besonders jene Staaten, die selbst Minderheitenkonflikte im eigenen Land haben – beispielhaft sei hier Spanien für einen alten Mitgliedsstaat und Rumänien für einen neuen genannt –, äußerten sich kritisch über ein unabhängiges Kosovo. Ferner gab es noch weitere kritische Stimmen innerhalb der EU: Österreich hat eine gemeinsame Grenze mit Serbien und war an guter Nachbarschaftspolitik interessiert. Dem gegenüber standen u. a. die Niederlande, die sich für eine Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal stark machten und keine Zugeständnisse an Konfliktparteien machen wollten, die diese nicht uneingeschränkt zusicherten. Einerseits lässt sich argumentieren, dass besonders die kritischen Haltungen innerhalb der EU, diese nicht zum unbefangenen Vermittler prädestinierten.

„Eine regionale Organisation qualifiziert sich nicht zum Vermittler, wenn nur einer der Kontrahenten an den Entscheidungsprozessen eben dieser Organisation beteiligt ist.“399 beurteilt beispielsweise Axt die Vermittlerrolle der EU im Zypernstreit und verweist darauf, dass Neutralität und Unvoreingenommenheit des Mediators eine wichtige Voraussetzung seien.400 Anderseits konnte die EU vielleicht gerade wegen ihrer Unstimmigkeit, die man positiv auch als verhandlungsoffen bezeichnen kann, glaubhaft vermitteln: In der EU fanden sich für alle Positionen Fürsprecher.401 So kann auf Grund der oben erwähnten Positionen verschiedener Mitgliedsstaaten zwar nicht von einer unvoreingenommenen EU als Mediator gesprochen werden, durchaus aber von einer verhandlungsoffenen. Letztlich war in der Kosovo-Frage auch kein Land direkt betroffen, wie bspw. der EU-Mitgliedsstaat Griechenland in dem zuvor erwähnten Zypernstreit. Die Vielfältigkeit der Erwartungen ließ somit grundsätzlich erst einmal jedes Ergebnis zu. Dadurch grenzte sich die EU von den USA und Russland ab, die unter Umständen nur schwierig nach dem bisherigen Konfliktverlauf noch glaubwürdig – wie oben von Wisner zwar zitiert – von einem ergebnisoffenen Dialog sprechen konnten. Somit konnte die EU bzw. Ischinger gerade aufgrund ihrer eigenen Zerrissenheit nicht nur zwischen den Konfliktparteien vermitteln, sondern stellte auch eine Waage zwischen den verhärteten Positionen von Russland und den USA dar. Ischinger war dadurch angehalten, die Federführung in der Kompromisssuche zu übernehmen. Abgesehen davon hatte die EU für beide Seiten etwas anzubieten: Sie konnte kurzfristige finanzielle Unterstützungen für den Wiederaufbau und darüber hinaus die langfristige Integration in den Wirtschaftsund Währungsraum EU offerieren. Dies strebten – trotz zwischenzeitlich konträrer öffentlicher Statements Kostunicas – beide Konfliktparteien an. Die Troika-Verhandlungen schienen demnach genauso dazu zu dienen, zwischen USA und Russland zu vermitteln wie zwischen den beiden eigentlichen Konfliktparteien. Als Verhandlungsteam der Serben wurden der Außenminister Vuk Jeremic, als Leiter des Teams, sowie der serbische Kosovo-Minister Slobodan Samardzic und – als Vertreter der serbischen Minderheit in Kosovo – Marko Jaksic und Goran Bogdanovic vorgestellt; neben ergänzenden Beratern nahmen teilweise auch der Präsident Boris Tadic und der Ministerpräsident Vojislav Kostunica teil; bis auf Jeremic, der gerade erst sein Amt als Außenminister aufgenommen hatte, waren alle anderen Vertreter bereits bei den Ahtisaari-Verhandlungen dabei gewesen.402 Die kosovo-albanische Seite wurde stets auf höchster Ebene vertreten: angeführt von dem Präsidenten Fatmir Sejdiu und ergänzt durch den Ministerpräsidenten Agim Ceku,Parlamentspräsident Kole Berisha sowie die Oppositionspolitiker Veton Surroi und Hashim Thaci. Dieses sog. Team of Unity hatte bereits an den Gesprächen mit Martti Ahtisaari teilgenommen.

Die Verhandlungen der Troika umfassten insgesamt zehn Treffen mit den Konfliktparteien, wovon sechs Face-to-Face-Meetings waren. Diese Anzahl in einem Verhandlungszeitraum von vier Monaten ist durchaus beachtlich im Vergleich zu der bisherigen Anzahl der direkten Treffen beider Seiten seit 2005. Weiterhin traf sich die Troika – noch vor dem ersten Gespräch mit den Konfliktparteien – mit der Kosovo-Kontaktgruppe am 9. August 2007 in London. Während der laufenden Verhandlungen gab es zudem ein Treffen der Troika mit den Außenministern der Kontaktgruppe, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, dem Generalsekretär der NATO sowie dem Hohen Vertreter für Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik der EU am 27. September 2007 in New York.403 Auftakt waren die Gespräche vom 10. bis 12.

August 2007; unabhängig voneinander besuchte die Troika die jeweilige Konfliktpartei in Pristina bzw. Belgrad. Die erste Zusammenkunft an demselben Ort fand in Wien am 30. August statt; hier wurden die Parteien allerdings getrennt voneinander zu ihren Positionen befragt, ebenso wie auf dem dritten Meeting in London gute zwei Wochen später.404 Ischinger wies bereits in den ersten Verhandlungsrunden auf den Grundlagenvertrag von 1972 zwischen der damaligen DDR und der Bundesrepublik Deutschland hin und betonte damit erneut, dass es darum ging, neue Wege und Lösungen aus der Sackgasse der verfestigten Positionen zu finden. Auch schlug er vor, man solle sich in den Gesprächen zunächst auf ganz „praktische Dinge“ verständigen und dabei die Statusfrage zunächst ausklammern, ein Vorschlag, der die kosovo-albanische Seite nicht überzeugte, war das aus ihrer Sicht doch gerade das Kernelement der Verhandlungen.405 Als am 28. September das erste Mal gemeinsame Gespräche geführt wurden, bekamen beide Seiten die Möglichkeit, ihre Position der anderen Seite sowie der Troika darzulegen; ebenso gab es jeweils Zeit, auf die Darlegung zu antworten bzw. Fragen zu stellen. Derweil ermunterte die Troika die Konfliktparteien dazu, ihren Standpunkt so darzulegen, „that it would appeal to the other side“406. Während in offiziellen Dokumenten von einer kooperativen Atmosphäre gesprochen wird, in denen jede Seite ihre „Visions“ darlegt407, fiel das Fazit des beobachtenden Spiegel-Journalisten Gerhard Spörl weniger positiv aus:

„Wie befürchtet, entstand daraus ein Austausch der sattsam bekannten Maximalpositionen. Die Kontrahenten legten ein Zeugnis ihres Unwillens ab, miteinander zu verhandeln. Diplomatie kann sich zur Übung in Langmut auswachsen.“408

Grund für die positive Einschätzung könnte die Bereitschaft der beiden Parteien gewesen sein, einer gemeinsamen Erklärung, der sog. New York Declaration, zuzustimmen. Nachdem bereits eine solche Erklärung am 30. August in Wien angenommen worden war, stimmten die Verhandlungsparteien hiermit erneut zu, sich ernsthaft in die Verhandlungen einzubringen und anzuerkennen, dass jegliche Akte der Gewalt, der Provokation und Einschüchterung

die Stabilität und Sicherheit in der Region aufs Spiel setzen würden.409 Im Folgenden fanden fünf weitere Face-to-Face-Meetings in Brüssel, Wien und Baden (Österreich) statt, die jeweils einen direkten Austausch sowie Gesprächsphasen zwischen der Troika mit nur je einer Seite vorsahen. Das letzte dieser gemeinsamen Treffen ereignete sich vom 26. bis 28. November; ein letztes Treffen der Troika mit den Einzelparteien wurde am 3. Dezember 2007 ausgetragen. Die finalen gemeinsamen Verhandlungstage im November vermochten keinen gemeinsamen Nenner mehr zu erzeugen. Nichtsdestotrotz konnte man „atmosphärisch“ eine Annäherung verbuchen: Bis auf Kostunica, der es vorzog allein zu sein, verbrachten alle anderen Teilnehmer der Verhandlungen, unter ihnen die jeweiligen Präsidenten Boris Tadic und Hashim Thaci, in guter Stimmung beim gemeinsamen Abendessen und privatem Small-Talk.

Der auf drei Seiten knapp gehaltene Report der Troika zuzüglich eines Eingangsstatements des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon und sieben Anhängen (insgesamt 13 Seiten) wurde dem Weltsicherheitsrat am 10. Dezember 2007 vorgelegt. Das Fazit des Reports ist ernüchternd:

“After 120 days of intense negotiations, however, the parties were unable to reach an agreement on Kosovo's status. Neither side was willing to yield on the basic question of sovereignty.”411

Damit war nach Ahtisaari auch die Troika an der Statusfrage gescheitert. Eine Empfehlung enthält der Report nicht. Einerseits war dies auch nicht der Auftrag der Troika, andererseits mag es auch daran liegen, dass die Troika schlichtweg uneins über die folgenden Schritte war: Für Brüssel und Washington bedeutet das Ende der 120 Tage auch ein Ende der Verhandlungen, beide rechnen mit einer Unabhängigkeitserklärung Kosovos. Weitere Verzögerungen könnten zu einer Destabilisierung führen. Russland hingegen hatte erwogen, die Verhandlungen erneut fortzusetzen.412 Während der Verhandlungen waren verschiedene Lösungsansätze diskutiert worden, die im folgenden Kapitel näher ausgeführt werden sollen.

 
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