Die roten Farbflächen

Die linke Bildfläche zeigt ein helles, intensives Orange-Rot mit körniger Oberfläche. Das Orange-Rot dieses Bildteils enthält alle Abtönungen von einem hellen, knalligen Orange über ein Rot-Orange und Ocker bis zu einem stumpfen braunschwarzen Orange. In den Rissen, Falten, Poren und Vertiefungen der Oberfläche erkennt man, dass die Farbe teilweise in mehreren Schichten übereinander aufgetragen wurde. Hinzu kommt wieder der Gegensatz der Oberflächenstruktur. Eine unstrukturierte Oberfläche wird neben eine körnige Struktur gesetzt.

Das Rot des Bildes erreicht insgesamt auf der linken Seite seine größte Intensität, zum rechten Bildrand hin nimmt die Intensität, die Leuchtkraft der Farbe Rot ab. Auch an der rechten Seite des Bildes arbeitet der Künstler mit den Variationen der Oberflächenstruktur, auch hier sind Falten, Wellen, Risse und Vertiefungen der Farbe zu sehen.

Im Gegensatz zum oberen Rand wird das Bild am unteren Rand nicht ganz von Schwarz begrenzt. Dreimal erreichen rote Farbflächen den unteren Bildrand. Dadurch werden die schwarzen Flächen zu unregelmäßigen schwarzen Bögen.

Als Schlusspunkt der Leserichtung trägt die rechte, untere Eck auf schwarzem Grund die weiße Signatur: Schumacher 65.

Probleme der Paraphrasierung

Die Beschreibung des „Großen roten Bildes“ erweist sich als schwierig, da das Bild keine wiedererkennbaren und damit begrifflich fassbaren Elemente enthält.

Der Versuch der begrifflichen Erfassung stößt immer wieder an eine Grenze: Für das, was das Bild zeigt, gibt es keine sprachliche Entsprechung. Diese Erfahrung ist nicht neu: So bemerkt bereits Arnold Gehlen, dass der Kommentar eines informellen Bildes unscharf wird und dahin gelangt „wo er sich in reine Rhetorik auflöst, weil das Bild objektiv keine sachlich umgrenzbaren Worte hergibt, da es keine beschreibbaren Elemente mehr enthält – mit welchen Worten wollte man ein tachistisches Bild unverwechselbar und identifizierbar beschreiben?“(Gehlen 1960, S.163). Die sprachliche Bezeichnungsfunktion reicht nicht aus, wenn sie sich auf das „Was“ des Bildes, also auf das „Gegenständliche“ bezieht, denn bei dieser Vorgehensweise wird das Bild zum kommentierten Objekt. Der Kommentarisierung entzieht es sich und somit scheint die Bezeichnungsfunktion der Sprache für das Dargestellte nicht ausreichend zu sein. Dies ändert sich dort, wo sich die sprachliche Erfassung auf das „Wie“ und „Womit“, also auf den Prozess bezieht. Dennoch muss von dem, was ästhetisch erfahrbar ist, ausgegangen werden, denn „das Kunstwerk ist grundsätzlich ästhetischer Natur“ (Busch 1987, S. 23) und es transportiert seine Mitteilung über die Sinne. Den Charakter der ästhetischen Mitteilung bestimmt Umberto Eco mit den Begriffen „Ambiguität“ und „Autoreflexivität“. Damit kommt zur ästhetischen Natur des Kunstwerks eine bedeutsam erscheinende Mehrdeutigkeit hinzu, die zugleich auf sich selbst verweist. Oevermann postuliert, dass diese Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit sprachlich fassbar ist. Im Unterschied zur Beschreibung und zum Kommentar scheint dies im Begriff der Paraphrase möglich zu sein, da sie einen affektiveren Zugang ermöglicht. Dies zeigt sich in verschiedenen Teilen der Paraphrase. Die Teile, die zur Beschreibung gerieten, sind nicht präzise, z. B. die Lagebeschreibungen („am oberen Rand“) oder vage Gestaltbeschreibungen („Farbfleck“). Eine Änderung ist dort festzustellen, wo durch Umschreibung, nicht durch Beschreibung, auf das Bild eingegangen wird, nämlich dort, wo sich die Paraphrase auf die Farbintensität oder die Oberflächengestalt der Farbe bezieht. Damit ist die Richtung der weiteren Explikation vorgegeben: Der erkennbare Werkprozess und die dadurch erzielten Wirkungen müssen mit einbezogen werden. Natürlich bleibt auch bei diesem Vorgehen mehr als ein „Rest“, der auf die „Offenheit“ des Kunstwerks verweist (Eco 1998, S. 72-85).

 
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