Bewertungsschema Linkage

Als Indikatoren für die Erfüllung der Linkage-Dimensionen werden Organisationsziele, Aussagen zum Stellenwert der Strategien, Zielgruppen und Aktivitäten sowie insbesondere tatsächliche Bemühungen und bevorzugt genutzte Kanäle berücksichtigt. Diese sind hinsichtlich des Linkage-Bedarf des EU-Systems, unterschiedlich zu werten.

Es stellt sich die Frage, wann die über NGOs vermittelte Linkage bzw. die von ihnen zu deren Umsetzung geschaffenen Voraussetzungen, als gut zu beurteilen sind? Unter Berücksichtigung der vielfältigen Funktionszuschreibungen und Erwartungen erbringen NGOs die bestmögliche Linkage-Leistung, wenn sie Bemühungen verfolgen, über offene bottom-up Prozesse innerorganisatorischer Willensbildung aggregierte Interessen in Politikprozesse einzuspeisen, d.h. sie die Mitgliederund Basisinteressen in einem substanziellen Maße berücksichtigen, darüber hinaus die verschiedenen Sozialisierungsund Mobilisierungsaspekte umsetzen und versuchen, sowohl die Transparenz von Politikprozessen zu erhöhen, als auch hinreichende Transparenz, was ihre eigene Organisation anbelangt zu schaffen und dies nicht nur für ihre Mitglieder, sondern auch für Basis und Öffentlichkeit.

Unter Bezugnahme auf diese Explikation werden die Interviewaussagen und die Inhalte der Dokumente und der Websites für jeden Indikator betreffend der Zuträglichkeit für die Erfüllung des Linkage-Bedarfs in der EU eingeschätzt. Die Vorgehensweise entspricht der, auf den subjektiven Einschätzungen des Forschers beruhenden, subjektiven Messung von Variablen, wie sie etwa von Gibson und Römmele (2009: 270) praktiziert wird.

Vor dem Hintergrund der verschiedenen Stakeholder und Zwecke der NGO-Kommunikation, spielen dabei neben qualitativen Abstufungen, etwa in Hinsicht auf die Art der organisationsinternen Entscheidungsfindungsverfahren, Faktoren, wie Reichweite der Maßnahmen, Interaktivität, Niederschwelligkeit, aber auch prinzipielle Offenheit und Aktualität der Angebote eine Rolle. Zugleich sind Optionen des persönlichen Kontakts von besonderem Wert, um die Menschen zu erreichen. So gründet für Rek (2007: 167) die schwierige Kommunikation zwischen nationaler und EU-Ebene darin, dass es sich überwiegend um virtuelle Kommunikation handelt. Die Mitglieder der NGOs sind in verschiedenen Ländern lokalisiert; oft kennen sie sich untereinander und auch das EU-Sekretariat nicht persönlich. In Folge ist es für die NGOs schwieriger, sie zu mobilisieren. Der persönliche Kontakt und die unmittelbare Erfahrung des EU-Systems sowie der Arbeit der NGO, z.B. durch Seminare oder Exkursionen, wird demnach als besonders zuträglich für die Beziehung zu und die Kommunikation mit Mitgliedern und Basis gesehen (ebd). Indessen zeigen auch webbasierte Kanäle, dank ihrer Organisationspotenziale und Reichweite, nicht zu unterschätzende Möglichkeiten zur Linkage-Realisierung (siehe Kapitel 7.7), weshalb deren Nutzung positiv zu werten ist.

Mit Verweis auf Poguntke (2000: 165), welcher das Erfordernis der Erfassung der Anzahl und Art der Zugangspunkte zur Mitgliedschaft für die möglichst genaue Messung der Linkage-Güte formuliert, wird basierend auf theoretischen Vorüberlegungen zu den Vorund Nachteilen der einzelnen Kommunikationskanäle und -maßnahmen, ein Bewertungsschema entwickelt, um die Spezifika bestimmter Aktivitäten, Kanäle und Vorgehensweisen angemessen zu berücksichtigen. Mittels diesem wird anhand der durch Experteninterviews sowie Dokumentenund Website-Analyse gewonnenen Daten systematisch überprüft, inwieweit die NGOs die Voraussetzungen guter Linkage realisieren, mit den verfolgten kommunikativen Strategien ihre Rolle als intermediärer Akteur und Linkage-Agent erfüllen und im Zuge dessen einen Beitrag zur Minderung legitimatorischer und demokratischer Defizite im EU-System leisten.

Demnach sind Aussagen, etwa zum großen Wert von Transparenz oder Mobilisierung und deren Nennung als explizite Organisationsziele, geringer zu bewerten als konkrete Bemühungen in diesen Bereichen, da solche Aussagen nicht zwangsläufig bedeuten, dass die NGO in dieser Beziehung aktiv ist. Gleichermaßen sind Abstufungen, hinsichtlich der Zielgruppen bzw. der „Offenheit“ der Maßnahmen vorzunehmen. Sind der Wissensvermittlung und Komplexitätsreduzierung dienende Veranstaltungen und Informationen nur den Mitgliedern oder prinzipiell jedem Interessierten zugänglich? So ist die Ausdehnung bzw. Fokussierung der Maßnahme auf Basis und breite Öffentlichkeit, mit Referenz auf die Erwartungen an NGOs bzw. den Linkage-Bedarf des EU-Systems, höher zu bewerten als die Konzentration auf die Mitglieder. Entsprechend erfahren auch die Adressatenkreise der Aktivitäten und Informationen eine unterschiedliche Bewertung. Richten sich die NGOs an die Mitglieder wird dies mit (++) gewertet, werden (zudem) Basis und/oder Öffentlichkeit adressiert (+++). Weitere Bewertungskriterien der Kanäle, um die verschiedenen Zielgruppen – von besonderem Interesse Mitglieder, Basis und Öffentlichkeit – zu erreichen, sind:

(1) der „Kontaktmodus“; persönlich (etwa im Rahmen von Veranstaltungen) oder unpersönlich in Gestalt von Website, Newsletter und Publikationen sowie vermitteltet durch die Massenmedien – wobei es sich bei Ersteren, um von der NGO steuerbare Kommunikationsinhalte handelt, eine Kontrolle, die im Falle der Massenmedien nicht gegeben ist. (2) die „Interaktivität“ bzw. die Existenz einer Feedback-Option, wie sie bei persönlichen Treffen, aber auch in Telefonaten, E-Mail-Korrespondenzen und Social Media per se gegeben ist oder auf der Website integriert werden kann, (3) die „Reichweite“ des gewählten Kanals und (4) die „Niederschwelligkeit“ des konzipierten Beteiligungsangebotes oder Artikulationskanals. Danach sind bspw. bei Veranstaltungen ausgegebene Feedback-Formulare, in Bezug auf ihre Reichweite schlechter zu bewerten, als entsprechende Optionen auf der Website, da Letztere prinzipiell jedem Menschen mit Internet-Zugang die Beteiligung erlauben [1].

Persönliche Kommunikation wird als besonders effektiv angesehen. Derartige Kontaktoptionen werden deshalb höher bewertet (++), als jene, die nicht den direkten Face-to-Face-Kontakt beinhalten (die höhere Wertung, etwa der Social Media (+++) ergibt sich durch die Faktoren Interaktivität und Niederschwelligkeit). Eine qualitative Abstufung der verschiedenen persönlichen Kontaktoptionen erscheint wenig sinnvoll, da im Rahmen jeder Veranstaltung Inhalte vermittelt werden können, die einer oder allen Linkage-Dimensionen zuträglich sind. Wie bereits erwähnt, ist jedoch auch die Zahl der Kontaktpunkte entscheidend (ebd.), denn eine höhere Anzahl erlaubt prinzipiell ein höheres Maß an Interaktion und eröffnet den Anhängern mehr Artikulationsmöglichkeiten: Findet persönlicher Kontakt nur bei jährlichen Vollversammlungen (eine persönliche Kontaktoption (++)) oder auch in Form (regelmäßiger) Seminare, Konferenzen und Veranstaltungen, welche allen Mitgliedern offenstehen (zwei und mehr persönliche Kontaktoptionen (+++)) statt? Nur die Existenz von Arbeitsgruppen, in die (alle) Mitglieder permanent involviert sind und welche die strategische wie programmatische Ausrichtung der NGO entscheidend prägen, wird wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Linkage-Leistung extra gewertet (+). Selbiges gilt für Besuche bei den Mitgliedern vor Ort (+).

PMs und Interviews bzw. Artikel in Zeitungen sind, aufgrund mangelnder Interaktivität und Kontrolle über die Inhalte, nicht die optimalen Kommunikationsmaßnahmen, um die Mitglieder zu erreichen (+). In Anbetracht der hohen Reichweite (++) sind sie für Basis und Öffentlichkeit wesentlich geeigneter, zumindest insofern als es sich bei den Medien, die diese publizieren, nicht nur um Brüsseler Medien handelt; in diesem Fall wird ein Punkt abgezogen.

In gleicher Weise fließt in die Bewertung ein, ob es sich bei dem von der NGO gewählten Kanal um ein „Push-“ (++) oder ein „Pull-Medium“ (+) [2] handelt. So zeichnet sich die Website als Kanal durch eine hohe Reichweite aus. Allerdings handelt es sich, im Gegensatz zum Newsletter, um ein Pull-Medium, außerdem ist die Interaktivität nicht per se gegeben, weswegen sie zur Ansprache von Basis und Öffentlichkeit mit (++) sowie zur Mitgliederansprache mit (+) gewertet wird.

Des Weiteren werden die „Kontaktfrequenz“ – d.h. ob die Zielgruppen regelmäßig, etwa über Möglichkeiten politischer Einflussnahme auf dem Laufenden gehalten werden oder nur punktuell (im letztgenannten Fall wird ein Punkt abgezogen) – sowie die „Aktualität“ der verfügbaren Inhalte berücksichtigt. Eine qualitative Abstufung wird ebenfalls bezüglich der Frequenz der Umfragen zum Zweck der Interessenaggregation oder der Erfassung der Mitgliederzufriedenheit vorgenommen. Werden diese regelmäßig durchgeführt (++) oder lediglich sporadisch (+)?

Im Einzelfall können die Bewertungskriterien „kollidieren“. So ist eine von der NGO organisierte Exkursion nach Brüssel zum Zweck der Aufklärung über die Funktionsweise des EU-Systems, die jedem Interessierten offensteht, als sehr gut in puncto „Kontaktmodus“ und „Offenheit“ zu werten. Indessen ist sie wenig niederschwellig, da sie eine mit Kosten verbundene Reise erfordert. Für den Fall, dass es sich dabei um die einzige persönliche Kontaktoption handelt, wird sie daher mit (+) gewertet.

Auch sind je nach Linkage-Dimension bestimmte Kriterien mehr oder weniger relevant. So ist in der Interessenaggregation die Tatsache, dass die Mitgliedermeinung regelmäßig erhoben wird, wichtiger als der gewählte Kontaktmodus. Demgemäß werden Vollversammlungen als Instrument der Interessenaggregation nur mit (+) bewertet, da sie in der Regel nur jährlich stattfinden. Als Mittel der Responsivität, also der Option, die Arbeit der NGO zu kontrollieren und Repräsentanten gegebenenfalls abzuwählen, sind sie durchaus angemessen und mit (++) zu werten. Ebenso sind Positionspapiere und politische Erklärungen effektive Instrumente der Responsivität (+++), zur Interessenvermittlung aber nur eine von vielen möglichen, wirksamen Maßnahmen (+).

Daraus ergibt sich folgendes Bewertungsschema [3].

Indikator/Kanal Mitglieder Basis/Öffentlichkeit

Benennung als Kommunikationsziel

+

+

Aussagen Bedeutung Aspekt/Zielgruppe

+

+

Tatsächliche Aktivitäten/Informationen

++

+++

Persönl. Kontakt: eine Option

++

++

Persönl. Kontakt: zwei und mehr Optionen

+++

+++

Arbeitsgruppen

+

Interviews/Artikel in Zeitungen/PMs/pol Erklärungen

+

++

Handlungsaufruf per E-Mail-Abonnement/RSS Feed

+

++

Publikationen/Hintergrundpapiere/Jahresbericht online

+

++

Newsletter

++

+++

Website

+

++

Intranet/Mitgliederbereich Website

+++

Social Media

+++

+++

Telefon/Skype

++

E-Mail

+++

++*

Tabelle 7 Auszug Bewertungsschema Linkage

* gilt nur für Basis

Neben den Kommunikationskanälen erfordern weitere Indikatoren eine abstufende Bewertung. Zwar hat die Mitgliederanzahl als Messgröße kaum Aussagekraft, die Mitgliedschaftsoptionen hingegen schon. Jene NGOs, die natürlichen Personen die Mitgliedschaft gestatten, haben, für den Fall, dass es sich dabei nicht allein um die Repräsentanten ihrer Mitgliedsorganisationen handelt, durch diese Organisationsstruktur direkten Kontakt zur Basis, was als sehr gut (+++), in Bezug auf ihre gesellschaftliche Verwurzelung zu werten ist. Die zur angemessenen Einschätzung der Leistungen in der Interessenvermittlung operationalisierten Indikatoren, wie Beratung politischer Entscheidungsträger, Bereitstellung von Informationen für die Medien, Teilnahme an Konsultationen, oder Suche nach Alliierten, gehen hingegen jeweils mit (+) in die Wertung ein, da für deren Wirksamkeit nur sehr beschränkt qualitative Abstufungen vorgenommen werden können.

Bewertungen hinsichtlich der Bedeutung der jeweiligen Zielgruppe, den bevorzugt genutzten Kanälen, um die Mitglieder – als erste Linkage-Stufe – sowie Basis und Öffentlichkeit – als zweite Linkage-Stufe – zu erreichen und der Existenz von Mechanismen, die durch die Mitglieder geleistete Weiterleitung der Inhalte, Botschaften und Materialien an ihre Basis sicherzustellen, werden unter „Linkage MG“ bzw. „Linkage B/Ö“ gefasst [4]. Obwohl die Mitglieder und Unterstützer der einzelnen Mitgliedsorganisationen, den untersuchten (Dach)Or-

ganisationen, was Positionen und Anliegen betrifft, wenigstens in Teilen höchstwahrscheinlich näher stehen als die Öffentlichkeit, unterscheiden die NGOs in den alltäglichen Kommunikationsmaßnahmen in den seltensten Fällen zwischen diesen beiden Stakeholdern. In deren Zusammenfassung zu einer Kategorie wird folglich der Organisationsrealität Rechnung getragen.

Das zugrundeliegende Bewertungsschema umfasst dementsprechend neben den sechs Linkage-Dimensionen “Interessenvermittlung“, „Interessenaggregation“, „Responsivität“, „Sozialisierung“, „Mobilisierung“ und „Accountability“, zusätzlich die Kategorien „Linkage MG“, „Linkage B/Ö“ und „Aktualität“.

Für die jeweiligen Kategorien ergeben sich folgende Höchstpunktzahlen:

Kategorie Höchstpunktzahl

Interessenvermittlung

40

Interessenaggregation

55

Responsivität

45

Sozialisierung

55

Mobilisierung

50

Accountability

60

Linkage MG

35

Linkage B/Ö

50

Aktualität

10

Gesamt

400

Tabelle 8 Höchstpunktzahlen Bewertungsschema Linkage

Bei Doppelnennungen – wie z.B. regelmäßigen und unregelmäßigen Umfragen, je nach Thema zu dem die Mitgliedermeinung erfasst wird – wird ausschließlich die zu einer besseren Bewertung führende Angabe berücksichtigt. Die Einbeziehung beider Angaben würde der jeweiligen Maßnahme im Vergleich unverhältnismäßig viel Gewicht verleihen.

Findet nach eigenen Aussagen bspw. kaum Mobilisierung oder Sozialisierung der Mitglieder statt, ist das, insofern als diese ausbleibt, weil sie bereits aktiviert und informiert sind und dererlei Informationen nicht wünschen, nicht negativ zu werten. Dagegen wird bei mangelnder Performanz aufgrund fehlender Kapazitäten sowie von den NGO-Vertretern formulierten Einschränkungen, wie

„sehr selten“ oder „zum Teil“, wie auch bei der „Kontaktfrequenz“, je ein Punkt abgezogen (-). Punktabzug gibt es ebenfalls, etwa für den Fall, dass die NGO keine Strategie der Basisoder Öffentlichkeitsansprache hat, obgleich sie diese zu ihren primären Zielgruppen zählt oder sie sich, ohne entsprechende Maßnahmen, die Weiterleitung ihrer Botschaften und Inhalte zu fördern, diesbezüglich lediglich auf die Mitglieder verlässt.

  • [1] Wobei diese beiden Feedback-Optionen meist grundsätzlich unterschiedlichen Zwecken dienen
  • [2] Im ersten Fall werden die Inhalte direkt vom Sender gesteuert; der Adressat empfängt ohne stetige Eigeninitiative bestimmte Inhalte (z.B. Newsletter; TV). Pull-Medien hingegen zeichnen sich dadurch aus, dass eine Nachricht nur als Antwort auf eine Anfrage gesendet oder die Information vom Empfänger aktiv gesucht und selektiert wird (z.B. Website)
  • [3] Das vollständige Schema findet sich im Anhang
  • [4] Die „Weiteren Indikatoren“ werden primär den beiden Kategorien „Linkage MG“ und „Linkage B/Ö“ zugeordnet. Um die Aussagen der Interviewpartner bei eventuellen Widersprüchen hinterfragen zu können, wird die Existenz der Indikatoren „Bereitstellung von Material, das die Mitgliedsorganisationen an ihre Mitglieder leiten können“ und „Mechanismen, welche die Weiterleitung der Inhalte fördern“ sowohl allgemein, als auch für die Linkage-Dimensionen Sozialisierung, Mobilisierung und Accountability abgefragt. Da die Aussagen zahlreicher NGO-Vertreter verdeutlichen, dass es für diese Prozesse meist kein Standardvorgehen gibt, sondern die Existenz eines Prozederes vom Inhalt bzw. dem Zweck der Information abhängig ist, werden beide Indikatoren in der Bewertung jedoch den einzelnen Dimensionen mit (++) zugewiesen. Wegen der Relevanz dieser Aspekte für die Linkage-Realisierung wird die allgemeine Intention, Basis und Öffentlichkeit über die Mitglieder zu erreichen, zudem noch einmal gesondert mit (+) unter „Linkage B/Ö“ gewertet. Gleiches gilt, aufgrund der Vielzahl an allgemeinen Inhalten und organisationspezifischen Themen, für Mechanismen, die Weiterleitung sicherzustellen
 
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