Schlussbemerkung: Das „Große rote Bild“ und die Tradition der Romantik
Robert Rosenblum beschreibt in seinem Buch „Die moderne Malerei und die Tradition der Romantik“ die Anliegen und die Bildwelten der „nordischen“ Romantiker, zu denen er Künstler wie Friedrich, Turner, van Gogh, Ernst und Klee zählt (Rosenblum 1981, S.11ff). Das Anliegen der „nordischen“ Romantiker war es, die Erfahrung von Göttlichkeit in einer säkularen Welt zu ermöglichen, jedoch ohne die traditionelle christliche Ikonographie in Anspruch zu nehmen. Religiöse Erfahrungen sind bei den „nordischen“ Romantikern im Erleben der Landschaft möglich und auf die Darstellung der Landschaft bezogen. Im Erleben der Natur und ihrer Darstellung spielt das Moment des Erhabenen, der ästhetischen Überforderung des Betrachters, eine wichtige Rolle. Das Sublime lässt den Betrachter von Natur und ihrer Darstellung im Bild die Ahnung von Transzendenz erleben. Die Künstler, die an die Bildwelt der Romantiker anknüpften und sie fortführten, deren Zielsetzung es aber war in der Darstellung der Natur – ob mit oder ohne religiöse Motive – transzendentale Geheimnisse zu enthüllen, ordnet Rosenblum der „Transzendentalen Abstraktion“ zu. Er lässt diese Richtung mit Mondrian beginnen und führt sie bis zu den „Abstrakten Expressionisten“ fort (Rosenblum 1981, S. 206).
Wie steht das Werk Emil Schumachers in dieser Tradition?
Am Beispiel des „Großen roten Bildes“ werden die Beziehungen des Bildes zur
„Transzendentalen Abstraktion“ aufgezeigt. Doch hat dieses Vorgehen nichts mehr mit dem Konzept der Objektiven Hermeneutik gemein, vielmehr steht es diesem Konzept diametral gegenüber. Denn mit diesem Vorgehen werden nicht mehr die Strukturen eines Werks gesucht und analysiert, vielmehr wird das Werk mit seinen Strukturen in den kunsthistorischen Kontext gestellt, d. h. es wird als ein Besonderes in ein Allgemeines subsumiert.
Die Rückführung der Farbe auf ihre Herkunft, die Mineralität, erinnert an den Wunsch der Romantiker nach dem „Ursprung“. Im „Großen roten Bild“ wird die Farbe radikalisiert zur mineralischen Materie. In dieser Materie finden Bewegungsprozesse statt, die durch ihre Gleichgewichtsstörung geologischen Metamorphosen entsprechen. Die Möglichkeit der Parallelität beruht darauf, dass die Farbe als mineralische Materie, die den Naturgesetzen unterliegt, aufgefasst wird und dass dadurch in ihr und auf dem Bild ähnliche Prozesse stattfinden können wie in den Gesteinen der Erdkruste. Doch nach der Explikation und dem Erkennen der Strukturen des Bildes ist deutlich, dass weder symbolisiert noch analogisiert wird, sondern dass im Bild die Farbmaterie zum Bildmaterial wird.
Im „Großen roten Bild“ werden nicht nur empirisch erfahrbare Naturkräfte dargestellt, sondern es kommt, siehe Ebene 3, zu einer Interaktion mit ihnen. Künstlerische Dynamik und Eigendynamik der Farbe interagieren: Nicht mehr die Naturerkenntnis ist das Ziel – ihr würde das Abbild der Naturkräfte entsprechen – auch nicht mehr der romantische Dialog mit der Natur, sondern die Interaktion des Künstlers mit ihr. In dieser Interaktion begreift sich der Künstler den formenden Kräften der Natur als gleichwertig.
Damit kann das „Große rote Bild“ einmal als Fortschreibung der Landschaft begriffen werden, da in ihm die Landschaft mit ihrer mineralischen Basis neu definiert wird und dabei die Ursprünglichkeit der Materie und ihre unkontrollierbare Eigendynamik thematisiert werden. Diese Sicht knüpft an romantische Bilder des Entstehens und der Zerstörung durch elementare Kräfte an. Die autonome Farbe wird zur Metapher für die Dynamik der Naturkräfte, deren Formbildungen zu „formlosen“ und damit vieldeutigen Formen führen. Während den Bildern der Romantiker noch ein Konzept, eine „Komposition“ zugrunde lag, ist dies im „Großen roten Bild“ nur noch in Rudimenten der Fall. Aus dem freigesetzten Werkprozess sowie der Formlosigkeit und der Eigendynamik der Farbformen ergibt sich die Distanz des Bildes zu romantischen Werken. Die Autonomie des Werkprozesses und der Malmaterie verweisen auf den neuen Status des Werks, auf seine Autonomie.