Der Künstler in seiner Zeit – Biographie und Texte

Kunst ist kein Resultat der Künstlerbiographie, und Bilder sind keine Übersetzungen von Texten in das nonverbale Medium. Dennoch müssen Biographie und wichtige schriftliche Äußerungen des Malers Beckmann in den Blick genommen werden, um weiteres Material für die Interpretation zu gewinnen. Um einseitige Herleitungen kann es nicht gehen. Zwar haben zentrale Texte Beckmanns immer wieder dazu gedient, in der Forschung als Bilderklärung herangezogen zu werden (vgl. Fischer 1972; Erpel 1985), doch wird bei einem solchen Verfahren übersehen, dass Texte zunächst selbst der Deutung bedürfen und deshalb in Bezug auf Bilder nur mittelbaren Erklärungswert haben. „Auch Beckmanns Texte schaffen im Grunde mehr Rätsel, als sie lösen helfen“ (Belting 1984, S. 16).

Das „Selbstbildnis mit Saxophon“ fällt in die Lebensphase Beckmanns, die durch privates Glück und beruflichen Erfolg geprägt ist. Und das in einem Maße, wie es der Künstler weder zuvor erlebte noch später je wieder erfahren sollte. Seit 1917 in Frankfurt am Main beheimatet, kann Beckmann vor allem seit Mitte der zwanziger Jahre seine Situation nachhaltig festigen (vgl. Reimertz 1995, S. 69 ff.; Spieler 1994, S. 76 f.; Schneede 1993, S. 13; Belting 1984, S. 13 f.). 1925 heiratet der Maler seine zweite Frau Mathilde „Quappi“, wird an die Städel-Schule berufen, findet in Reinhard Piper einen verlässlichen Verleger und mit I. B. Neumann einen Kunsthändler, der mit Sitz in New York, München und Berlin die Vertretung Beckmanns übernimmt. 1928 wird in Mannheim eine große Beckmann-Retrospektive ausgerichtet, Museen tätigen Ankäufe seiner Bilder. Der „Beckmannconcern“ (vgl. Schneede 2009, S. 151-153) kommt auf Touren. Das steigende Einkommen erlaubt es dem Maler, zwischen 1929 und 1932 die Winter jeweils in einer Pariser Wohnung zu verbringen. Höhepunkt des Ruhms: 1932 richtet die Berliner NationalGalerie einen Beckmann-Saal ein. Der Maler scheint als Klassiker der Moderne schon zu Lebzeiten anerkannt zu sein. Gleichzeitig bescheinigt die Kunstkritik die Klassizität Beckmanns (vgl. Belting 1984, S. 14).

Doch der Ruhm währt nicht lange. Gleich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wird Beckmann aus der Städel-Schule entlassen, 1936 der Saal in der National-Galerie geschlossen, nachdem auch Beckmann-Ausstellungen an anderen Orten unterbunden worden waren – ein abrupter Wandel für einen Künstler, der 1928 noch den „Reichsehrenpreis Deutscher Kunst“ erhalten hatte (vgl. Reimertz 1995, S. 144). 1937 emigriert Beckmann nach Amsterdam, übersiedelt 1947 in die USA und stirbt dort 1950.

So verengen sich für Beckmann öffentliche Anerkennung und wirtschaftlicher Erfolg auf wenige Jahre. Zwar hat der Maler genau in dieser Zeit einen neuen Führungsanspruch für die Kunst im öffentlichen Leben reklamiert, diese Haltung jedoch gleichzeitig relativiert und später ganz zurückgenommen. Selbst auf dem Gipfel seines Ruhms schien sich der Maler den Möglichkeiten seiner Kunst zur Wirksamkeit in die Politik hinein nicht sicher zu sein. Beckmanns berühmteste und anspruchsvollste Schrift „Der Künstler im Staat“ datiert nicht zufällig aus dem Jahre 1927, als auch das „Selbstbildnis im Smoking“ entstand. Bezeichnenderweise hat Beckmann das Pathos dieser Schrift mit dem kurzen Text „Die soziale Stellung des Künstlers“ gleich wieder ironisiert (vgl. Belting 1984, S. 36-38). Auffällig auch, dass die erste Schrift noch im Entstehungsjahr in der „Europäischen Revue“ veröffentlicht wurde, während der zweite Text erst 1984 von dem Sohn des Malers, Peter Beckmann, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde. Die antithetische Stellung dieser Texte (vgl. Schneede 1993) liefert zwar keine Bilderklärungen, bezeichnet aber einen Bezugsrahmen für die unterschiedlichen Selbstinszenierungen Beckmanns in seinen Selbstbildnissen.

Als „bewusster Former der transzendenten Idee“ wird der Künstler gleich im ersten Satz von „Der Künstler im Staat“ (Beckmann 1984a, S. 116-121; auch in Beckmann 1993, S. 55-57) eingeführt. Nur vom Künstler könnten die „Gesetze einer neuen Kultur ausgehen“ (Beckmann 1984a, S. 116), was Künstler und Staatsmann zu „Komponenten“ (ebd., S. 118), also zu gleichberechtigten Partnern macht. Der Künstler wird nach Beckmann zur zentralen Figur im öffentlichen (auch politischen) Raum durch seine Fähigkeit, eine neue Sinnstiftung vorzunehmen. Es gehe nicht mehr darum, gegen Gott zu kämpfen, sondern darum, in Zeiten „öder Leere“ (ebd., S. 119) ein „neues Glaubenszentrum“ (ebd.) zu schaffen. Als Priester, der sich der „eleganten Beherrschung des Metaphysischen“ (ebd.) verschrieben habe, solle der Künstler danach streben, selbst einen gottähnlichen Status einzunehmen. Die neue soziale Hierarchie nach Beckmann: Wer die „größere Summe von Gleichgewicht“ (ebd.) erreicht habe, solle ganz oben stehen. Oberstes Ziel einer neuen Staatsform: Mit der Befreiung aus der „schlamasselhaften Sklaven-existenz“ (ebd., S. 120) sollen die Menschen zu Selbstverantwortung und „gemeinsamer Liebe“ (ebd., S. 121) finden.

Beckmanns Text dokumentiert eine neue Verbindung von Kunst und Leben, die der Künstler für kurze Zeit herstellen zu können glaubte. Gerade einmal ein Jahr später äußerte sich der Maler schon ganz anders. „Ich bin Maler und nach einem sehr unsympathischen Sammelbegriff: Künstler. Jedenfalls irgendwie deplaciert. Deplaciert also auch in der Politik“ (ebd., S. 126), hieß es im Dezember 1928 in der Antwort auf eine Umfrage.

Wie wenig Beckmann denn doch an eine neue Stellung des Künstlers in der Gesellschaft glaubte, dokumentiert der kurze Text „Die soziale Stellung des Künstlers“ (Beckmann 1993, S. 53 f.), der den Aufsatz „Der Künstler im Staat“ regelrecht persifliert. Und das im gleichen Entstehungsjahr 1927. Hier wird der Künstler nicht als Mittelund Orientierungspunkt einer Gesellschaft, sondern als Außenseiter und Fremdling definiert. „Religion, Politik und Leben sind dem Künstler fremd“ (ebd., S. 53), heißt es in einem der zehn pointiert formulierten Paragraphen des Textes. Beckmann empfiehlt dem Künstler, „Respekt vor Geld und Macht“ (ebd.) zu haben, warnt vor dem „zu kräftigen Rückgrat“ (ebd.) und persifliert den Bürger („das von kosmischen Gewittern durchraste Gehirn des Sektfabrikanten“). Hier ist der Künstler nicht mehr Hohepriester neuer Sinnstiftung, sondern Clown: Seine Aufgabe sei es, die „Welt mit buntem Blütenstaub zu überschütten“, für „Erheiterung und Ergötzung der Mächtigen“ (ebd.) zu sorgen. Er soll ein „geschätztes und nicht störendes Element im Staatswesen“ (ebd., S. 54) sein. Erst Repräsentant, dann Außenseiter – die Texte Beckmanns belegen die schwankende Selbsteinschätzung eines prominenten Malers, seine Unfähigkeit, auch auf der Höhe des Ruhms eine Funktion seiner Kunst für das Leben zu definieren. Selbst diesen Versuch hat Beckmann später nicht mehr unternommen. In „Über meine Malerei“ (Beckmann 1984a, S. 134-142) von 1938 hält Beckmann zwar an der Erkenntnisleistung von Kunst fest, bezieht diese jedoch auf eine allgemein-philosophische Sicht vom „ewig wechselnden Welt-Theater“ (ebd., S. 136).

 
< Zurück   INHALT   Weiter >