Ende eines Auftritts – der Abgesang auf die Goldenen Zwanziger
Es gehört zu den Vereinseitigungen der Beckmann-Forschung, Motive von Bildern des Malers immer nur in einer übertragenen, mittelbaren Bedeutung verstehen zu wollen. Das Blasinstrument stelle das „wichtigste Dingsymbol im Werk Beckmanns“ (Fischer 1972, S. 81) dar, wird zum Beispiel festgestellt und damit die ganze konkrete Bedeutung des Motivs unterschlagen. Wer jedoch die Malweise des Bildes und damit seinen zentralen Modus der Mitteilung (nämlich den optischen) ernst nimmt, kann nicht an der Beobachtung vorbei, dass alle Wirklichkeit im Bild als doppeldeutige Wirklichkeit erscheint. Solche Mehrdeutigkeit ist keine Schwäche, die durch Interpretation zugunsten einer eindeutigen Bedeutung aufgelöst werden müsste, sondern Ausweis einer Komplexität, die in der Bilddeutung realisiert werden muss.
Deshalb soll hier auch noch einmal daran erinnert werden, dass die Inszenierung des Künstlers im „Selbstbildnis mit Saxophon“ nicht nur als herrschaftliche Pose verstanden werden kann, sondern zugleich auch eine ausgesprochen skeptische Selbsteinschätzung des Künstlers Beckmann und seiner Zeit bereithält. Darin ähnelt Beckmanns Bild dem rätselhaften „Gilles“ von Antoine Watteau, der mit seiner Darstellung des traurigen Narren aus der italienischen Stegreifkomödie bereits das Thema des einsamen und isolierten Künstlers ins Bild gebracht hatte. Anders als auf vorher entstandenen Bildern gleichen Sujets findet sich der Clown im „Gilles“ (Gowing 1994, S. 507; vgl. Posner 1984, S. 263-267) als von seiner Umgebung abgehobene Ganzfigur in starrer Frontalität zum Betrachter. Keine Spur mehr von Lautenspiel und fröhlichem Gauklertreiben wie auf den anderen Bildern mit der Thematik „Komödianten“, die Watteau zuvor malte. Nun erscheint der Spaßmacher als Zeichen für das isolierte, melancholische Individuum, eher resignierter Philosoph als ausgelassener Possenreißer. Deshalb ist die Gestalt des „Gilles“ in der Watteau-Forschung auch mit dem Bildmotiv des „Ecce homo“, etwa in Radierungen Rembrandts, verglichen worden.
Von dieser Sicht her fällt auch ein neues Licht auf Beckmanns Saxophonisten und die gotischen Stilmittel, mit denen die Figur (zum Teil) gestaltet ist. Der einsame Künstler als Schmerzensmann – im Rückblick auf Watteau wird auch diese Bedeutungsschicht in Beckmanns Selbstdarstellung sichtbarer. Beckmann präsentiert sich in seinem Selbstbildnis jedenfalls nach dem großen Auftritt in einem Augenblick, als die Verkleidung abgelegt, die Schminke entfernt ist. Das Saxophon weist die Gestalt wie ein Attribut zwar noch als Künstler aus, doch der Musiker hat aufgehört, in das Instrument zu blasen. Die letzten Klänge sind verklungen und dies bei einem Instrument, das mit seinem lauten, schrillen Sound nicht nur den er- regten, aufgepeitschten Rhythmus des Jazz prägte, sondern in seiner Extravaganz auch zum Signum einer ganzen Epoche wurde.
Dieser Bezug des Saxophons zur eigenen Zeit muss auch Beckmann bewusst gewesen sein. Der Maler demonstriert mit dem Instrument seinen Anspruch, Kunst zu machen, die sich thematisch auf der Höhe ihrer Zeit befindet. Zugleich erscheint diese motivische Einbindung des Instruments – an die dominierende Stellung in Dix' „Großstadt“ sei hier erinnert – als Beleg für den unverkennbar resignativen Zug des Bildes. Nach dem Karrierehoch wenige Jahre zuvor hat sich der Horizont für Beckmann um 1930 verdüstert. Für den Künstler ist die Zeit des ausgelassenen Theaters, des flirrenden Entertainments vorüber. Nach der Vorstellung bleibt nur der einsame Mime zurück, der seiner Situation voller Nüchternheit gegenübersteht. Die Illusionen scheinen verabschiedet und durch den klaren Blick ersetzt. Auch so lässt sich die Pose des Saxophonisten verstehen und als kritischen Kommentar zur eigenen Zeit deuten, die in Deutschland längst durch zunehmende soziale Probleme und unversöhnliche politische Gegensätze der politischen Kräfte gekennzeichnet war.
Im Medium des Selbstbildnisses liefert Beckmann so auch den Abgesang auf die glanzvolle Epoche der Goldenen Zwanziger und damit auf die erfolgreichste Zeit seines eigenen Lebens. Bis zum Beginn der Demontage seiner beruflichen und sozialen Situation durch die Nationalsozialisten sollten nur noch drei knappe Jahre vergehen. Wie sehr die beginnenden Anfeindungen von rechts den Künstler schon zu dieser Zeit beeindruckt haben müssen, belegt die Tatsache, dass Beckmann gleich 1933 seinen Wohnsitz von Frankfurt nach Berlin verlegte, um sich in erhoffte Anonymität flüchten zu können. Das „Selbstbildnis mit Saxophon“ ist auch Dokument für den prophetischen Blick in eine düstere Zukunft.