Resümee

Beim Betrachten der Kartoffelmaschine mag man zunächst an die Erde denken, die um die Sonne kreist bzw. an die Entdeckungen Kopernikus'; Galileis und Newtons. Es stellt sich angesichts dieser Installation also die Frage nach der Erkenntnis und wie wir diese gewinnen.

Das Werk von Sigmar Polke macht auf den ersten Blick einen eher anspruchslosen, roh zusammengezimmerten Eindruck. Erst bei näherem Hinsehen entdeckt man, dass die ästhetischen Kräfte, die hier wirken, doch mannigfaltiger als zunächst angenommen sind. Das tritt besonders zutage, wenn die Mikrostrukturen einer genaueren Betrachtung unterzogen werden (siehe 1.3). Die Mikrostruktur steht in großem Gegensatz zur eher simpel und wenig organisiert erscheinenden Makrostruktur. Bei der oberflächlichen Betrachtung spielt sich schnell die Funktion in den Vordergrund, nämlich dass sich hier eine Kartoffel um eine andere dreht. Das erscheint zunächst banal und dann auf der anderen Seite witzig. Soll hier etwa der Museumsbesucher veralbert werden? Es stellt sich die Anmutung ein, dass es sich hier um eine Art Spielzeug handelt, und die Besucher sind versucht, den Anschaltknopf zu bedienen ... was natürlich das Museumpersonal dann sofort unterbindet oder, wie es in einem anderen Fall war: das Gerät war wegen des fehlenden Treibriemens außer Funktion.

Die dann eintretende Enttäuschung führte dazu, das zunächst nicht funktionierende Objekt einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Hier liegt eine Chance, die sehr differenzierten Mikrostrukturen zu entdecken. Es wird dann u. a. bemerkt, dass die Installation sehr kontrastarm gehalten ist, dass sich der farbige Charakter innerhalb einer Farbfamilie bewegt und dass sich zwischen Gestell und Kartoffeln lediglich ein Helldunkelkontrast ereignet. Ein Student fragte: „Warum ist die Installation nicht wenigstens bemalt?“ Im Gespräch stellt sich dann heraus, das eine wie auch immer geartete Bemalung den Charakter des Werkes vollkommen verändert hätte. Es ist also nicht ‚egal', welche Farbqualitäten wir hier vor uns haben. Die ästhetische Botschaft ist hochsensibel und keineswegs roh oder ulkig.

Setzt man jetzt den Mechanismus in Gang und bringt man die eine Kartoffel in Rotation, gerät die Erdfrucht dann in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Gedanken kreisen im wahrsten Sinne des Wortes um die Kartoffel als kreisverwandtes ästhetisches Objekt und um die Kartoffel als Nahrungsmittel.

Es wird bemerkt, dass für diese Installation die Rundform gut geeignet ist und dass das Umeinander-Kreisen sozusagen der Reflexion der Kartoffel über sich selbst entspricht. Hier stellen sich jetzt Schlaglichter aus der eigenen Biografie ein, die Erinnerungen an das Kartoffelessen oder an das Kartoffelsammeln auf dem Acker, das Rösten von Stockkartoffeln am Lagerfeuer und der Geruch vom Aufbrechen der verkohlten Schale, bevor das Innere verspeist werden kann. Jeder wird seine eigene Geschichte dazu erzählen können. Wir erinnern uns an historische Daten, z. B. dass Friedrich der Große in Preußen die ja eigentlich in Amerika beheimatete Erdfrucht als Volksnahrungsmittel einführte. Die Kartoffelsuppe als Mahlzeit für das einfache Volk wird hier ebenso gegenwärtig wie die Redensart, jemand sei ‚Dumm wie Kartoffelbrei' oder ein ‚Kartoffelkopp'. Das frühexpres-sionistische Werk der ‚Kartoffelesser' von Vincent van Gogh fügen wir aus unseren Erinnerungen hinzu. Beim näheren Nachforschen wird man dann auf das Bild ‚Kartoffelköppe' von Polke stoßen, auch auf das Kartoffelhaus. Spätestens jetzt wird deutlich, dass der Künstler sich schon lange, bevor er besagte Kartoffelmaschine erdachte, sich mit diesem Gemüse auseinandergesetzt hat. Sein spezieller Anteil an Gehalten der Parodie in seinem Werk macht deutlich, dass die Auswahl der Kartoffel für die Maschine einer Logik folgt, die schon in der Frühzeit seines Werkes angelegt ist. Dass es hier um die Auseinandersetzung mit dem Menschen in der technisch-technologischen Gesellschaft geht, erklärt sich aus seinem umfassenden und ständigen Wandlungen unterworfenem Werk – das Leitmotiv der Kartoffel ist geblieben. Es macht also schon Sinn, dass hier die Kartoffel nicht um irgendein anderes Objekt kreist, sondern quasi um sich selbst. Die Metasprache bringt es hervor: Wenn der Mensch ständig um sich selbst kreist, dann ist der absolute Stillstand in der Gesellschaft erreicht. Der aus der Spurensicherung entlehnte pseudowissenschaftliche Aufbau unterstützt diese introspektive Aussage ebenso wie das meditative Element, das beteiligt ist, wenn der Gegenstand sich nach Drücken des Schalters in Bewegung setzt. Je länger die Kartoffel sich dreht, desto mehr wird klar, dass wir es als Teile dieser Gesellschaft es sind, um die es geht. Die abschließende Frage ist also: Was dreht sich bei dir um was, und führt die meditative Betrachtung zu einem Ergebnis, oder rotierenden die Gedanken über mich und die gesellschaftliche Wirklichkeit nur um sich selbst?

Eine Information, die sich scheinbar am Rande bewegt, aber andererseits der bisher beschriebenen Bedeutung dieses Objektes einen bemerkenswerten Hintergrund verleiht, ist, dass es sich hier um eine Auftragsarbeit handelt, die in erster Linie Geld einbringen sollten, um Schäden, die bei einer Ausstellung entstanden waren, zu kompensieren.

Die grundsätzliche Überlegung Polkes, dass neben dem logisch-wissenschaftlichen Denken die Organisation ästhetischer Prozesse eine entscheidende Konstituente ist, um Welt zu begreifen – und auch Strategien für die Bewältigung der mannigfaltigen Probleme, vor denen unsere Gesellschaft steht, zu entwickeln – wird aus dieser Installation deutlich.

Die naturwissenschaftliche Vorgehensweise kann einerseits zu großen und bedeutenden Entdeckungen führen, sie allein aber wird, wenn sie nicht durch andere Instanzen kontrolliert wird, zu Stillstand und Verharrung führen.

 
< Zurück   INHALT   Weiter >