Bildhermeneutik Zwei alternative Modelle
Das Verfahren der kunstgeschichtlichen Hermeneutik Oskar Bätschmanns
Roswitha Heinze-Prause
Die kunstgeschichtliche Hermeneutik befasst sich – so Oskar Bätschmann (1988) – mit der begründeten Interpretation von Werken der bildenden Kunst. Ihr Gegenstandsbereich ist identisch mit dem des Faches Kunstgeschichte. Die kunstgeschichtliche Hermeneutik umfasst die Theorie der Interpretation von Werken der Bildenden Kunst, die Entwicklung von Methoden der Auslegung und ihrer Validierung und die Praxis des Interpretierens. Auf Methoden, d. h. begründete und überprüfbare Verfahren und ihre ständige Kritik, kann ein wissenschaftliches Fach wie die Kunstgeschichte nicht verzichten. Die Methodenreflexion reicht allerdings nicht aus, weil die Verfahren auf Voraussetzungen, Gegenstandsbestimmungen und Zielsetzungen beruhen, die selbst der ständigen Überprüfung bedürfen. Mit letzterem beschäftigt sich die Theorie der Interpretation. Die Entwicklung von Methoden und die Theoriebildung können nicht unabhängig von der Praxis des Interpretierens reflektiert werden. Das praktische Vorgehen liefert nicht nur Materialien für die Reflexion, es ist nicht nur Anwendung von Methoden gemäß der Theorie, vielmehr ist die Praxis stets auch eine Überprüfung der Methoden und der Theorie.
In der Interpretation betrachten wir – so Bätschmann (1988) – die Werke als sie selbst. Das heißt: Die Interpretation fragt nach dem, was die Werke sichtbar macht durch ihre Materialien, Farbigkeit, Zeichnung, Komposition, Inhalten; d. h. durch die vielfältigen Beziehungen der formalen und inhaltlichen Momente. Die Werke in der Interpretation als sie selbst zu betrachten, bedeutet allerdings nicht einen Ausschluss von Kontext und historischer Erklärung. Die Fragestellungen müssen in der Interpretation aufeinander bezogen werden. Kontext und historische Erklärung antworten nämlich auf andere Fragen als die der Interpretation, aber diese benötigt die anderen Antworten sowohl zur Produktion von Ideen als auch zu ihrer Begründung.
Das Darstellungsmittel der kunstgeschichtlichen Interpretation ist die Sprache, die Auslegung ist das sprachliche Produkt der interpretierenden Subjekte. Interpretationen werden gesprochen oder geschrieben, die Werke der bildenden Kunst sind aber gezeichnet, gemalt; die Schrift ist nicht ihr Darstellungsmittel. Diese Unterschiedlichkeit der Darstellungsmittel wird häufig verwischt mit einer Reihe von Metaphern: Wir sprechen vom Lesen der Bilder als wären sie Texte. Mit der Metaphorik vom Sprechen der Werke äußern wir den Wunsch – Bätschmann (1988) –, die an uns gerichtete Botschaft der Werke zu entziffern und zu hören, ihren „Appell“ zu erfahren. Die Gefahr besteht, dass durch diese Metapher der Blick für die Verschiedenheit der Werke getrübt wird. Interpretation ist ein wissenschaftliches Produkt, das von anderen Subjekten als den Urhebern der Werke hervorgebracht wird, das in einem anderen Medium als die Werke dargestellt wird und das in einem historischen Abstand zu Urhebern, den Auftraggebern und der Funktion der Werke steht, die durch ihr physische Präsenz unserer Anschauung und unserer Erfahrung zugänglich sind.