Übergeordnete Ziele

Wer Ziele für die Politische Bildung formulieren möchte, muss sowohl die Politik wie die Bildung im Blick haben, sowohl das Gemeinwesen wie den Bürger. Denn die Bürger müssen zu ihrem Gemeinwesens passen und das Gemeinwesen zu ihnen. Der individuelle und der kollektive Prägungsprozess müssen kompatibel sein. Beide Prägungen stellen die Weichen in die Zukunft. Wenn Weichenstellungen nicht koordiniert sind, kann ein Zug entweder schnell entgleisen oder aber überall ankommen, nur nicht dort, wo er hinfahren soll. Im Prinzip könnte eine Erörterung der Ziele der Politischen Bildung sowohl auf der Seite der Bürger wie auf der Seite des Gemeinwesens beginnen. Letzteres aber liegt näher, weil das Gemeinwesen älter und grundlegender ist als der einzelne Bürger.

Das menschenwürdige Gemeinwesen

Die Ziele des Kriegerstaates Spartas waren andere als die des Handelsund Kulturstaates Athen. Deshalb wurden auch die Nachkommen unterschiedlich auf das Leben im Gemeinwesen vorbereitet, auch wenn die Bedingungen der Sklavenhaltergesellschaft beiden Staaten die groben Strukturen vorgaben. Vergleicht man die Vorstellungen von den Zielen des Gemeinwesens, die sich in der griechischen und römischen Antike und später im christlichen Abendland herausgebildet hatten, mit denen der Neuzeit, vor allem seit der Aufklärung und seit ihrer Konkretisierung im Liberalismus, so können mindestens drei Entwicklungen festgehalten werden: Erstens wurden aus den räumlich begrenzten, also relativ überschaubaren Stadtstaaten weit ausgreifende Flächenstaaten. Zweitens wurde innerhalb dieser Flächenstaaten die Idee der prinzipiellen Gleichheit der Rechtsstellung aller Bürger begründet. Und drittens etablierte sich die Vorstellung eines relativ eigenständigen Funktionsbereiches innerhalb des Gemeinwesens, nämlich der Wirtschaft, in der nicht mehr das Zoon politikon, sondern der Homo oeconomicus (wortwörtlich: der wirtschaftliche Mensch) den Ton angab: ein Mensch, von dem nicht die weitgehende Identifikation mit seinem Gemeinwesen, sondern eher der konsequente Egoismus, die emotionslose, rein individuelle Kalkulation von Kosten und Nutzen erwartet wurde bzw. wird. Die Liberalen glauben nämlich, im Marktmechanismus ein Regelungssystem gefunden zu haben, das aus dem Egoismus der Einzelnen mit Hilfe der „unsichtbaren Hand“ des Marktes Wohlstand für alle hervorzubringen imstande sei (vgl. Kap. 6.2 und 6.5). Der Bereich des Zoon politikon schrumpft in diesem liberalistischen Verständnis somit auf jenen Teil des Gemeinwesens zusammen, in dem es um die Setzung, Ausführung und Überwachung der allgemein verbindlichen Regeln geht.

 
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