Kritische didaktische Akzente I: Ausmaße von Ungleichheit
Ein erster Akzent bei der Planung eines Bildungsprojekts könnte dort gesetzt werden, wo es um die sinnliche Begegnung mit diesem Themenfeld geht. Hier ist das Maß der Sozialen Ungleichheit eine echte Herausforderung für das Verstehen des Phänomens. Wie reich sind die Reichen wirklich? Gelegentlich hören wir von sechsund siebenstelligen Jahreseinkommen, von zehnund elfstelligen Gesamtvermögen. Das sprengt unsere Vorstellungskraft. Beginnen wir also bei einer griffigeren Größe: dem Einkommen pro Stunde. Wieviel verdient jemand eigentlich in der Stunde? Vielleicht zehn, zwanzig, fünfzig oder hundert Euro? Das jedenfalls sind in Deutschland die normalen Bruttoeinkommen. Putzfrauen oder Wachdienstler liegen darunter, Showmaster, Rennfahrer, Bundeskanzler und Konzernvorstände darüber. Letztere erheblich, denn wenn man die Jahresgehälter von Vorstandsvorsitzenden durch die durchschnittlichen Arbeitsstunden pro Jahr teilt, kann man schnell auf das Zehnfache des deutschen Bundeskanzlers kommen. Stundeneinkommen von 2000 bis 3000 € sind in diesen Kreisen ein guter Durchschnitt. Aber interessant wird es erst, wenn Einkommen nicht mehr aus eigener Arbeit, sondern aus Vermögen fließt. Nehmen wir zum Beispiel den reichsten Deutschen, Karl Albrecht, der rechnerisch über ein Stundeneinkommen von 300.000 € verfügt. Diese Zahl ergibt sich, wenn man sein Vermögen zu bescheidenen vier Prozent anlegen würde. Allerdings ist dies das Bruttoeinkommen, von dem noch etliche Prozent Steuern bezahlt werden müssen und wohl auch meist bezahlt werden.
Ähnlich könnte man Vermögen und Schulden, private wie öffentliche, die ja in Billionen gemessen werden müssen, von den Lernenden optisch darstellen lassen. Das gesamte Nettovermögen der Deutschen beläuft sich auf über zehn Billionen Euro. Um begreiflich zu machen, was eine Billion Euro bedeutet, schlägt der Frankfurter Mathematikdidaktiker Matthias Ludwig folgendes Gedankenexperiment vor: Wir nehmen die Commerzbank-Arena in Frankfurt, die 105 m lang und 68 m breit und bis zur obersten Sitzreihe 30 m hoch ist, organisieren 150 Personen, die Bündel mit je 100 Fünf-Euro-Scheinen stapeln müssen. Wenn sie fertig sind, haben wir genau eine Billion Euro vor uns. Die Stapelarbeit dauert 20 Jahre [1].
- [1] SZ 24./25./26.12.2012