Kritische didaktische Akzente III: Überwindung der Ungleichheit

Die Frage der Überwindung von Ungleichheit hängt eng mit der Frage nach ihren Ursachen zusammen[1]. Naheliegend ist es zunächst, an jenes Instrumentarium zu denken, das bisher am häufigsten verwendet wird, um die Marktwirtschaft mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes zu verbinden: die Umverteilung durch Abgaben und Steuern. Ein kurzer Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des Sozialstaates zeigt den Reformbedarf. Man bedenke, wie sehr sich nämlich die wirtschaftlichen Grundlagen, aus denen der Sozialstaat finanziert wird, seit seinen Anfängen in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts geändert haben. Im Verlaufe dieser Zeit wurde ein immer geringerer Teil der Werte der Waren und Dienstleistungen durch die lebendige Arbeit der Menschen, ein immer größerer Teil durch die tote Arbeit der Maschinen hervorgebracht. Es läge also auf der Hand, auch die Finanzierung des Sozialstaats verstärkt über den Faktor Kapital zu organisieren, also über Steuern und Abgaben der Eigentümer der Maschinen oder direkt über Anteile der Wertschöpfung (vgl. Kap. 6.2). In eine ähnliche Richtung gehen die Vorschläge einer drastischen Erhöhung der Erbschaftssteuer, einer Vermögenssteuer oder wenigstens einer deutlichen Erhöhung des Spitzensteuersatzes der Einkommenssteuer. Andere Vorschläge zur Begrenzung der Sozialen Ungleichheit setzen eine Stufe tiefer an und zielen auf staatliche Eingriffe in die Einkommensstruktur. Vorgeschlagen werden Unterund Obergrenzen für Einkommen, also einerseits Mindestlöhne, andererseits Einkommenshöchstgrenzen, die hauptsächlich Managerbezüge, Bonuszahlungen und vor allem Einkommen aus Vermögen betreffen sollen.

Der Großteil der Vermögenseinkommen beruht auf dem Zinseszins-Effekt, also auf einer spezifischen Eigenschaft unseres Geldsystems. Deshalb wird von Kritikern unseres Geldsystems vorgeschlagen, ein so genanntes Freigeld einzuführen: Geld, das nicht nur keine Zinsen abwirft, sondern sogar an Wert verliert („rostet“), wenn man es dem Geldkreislauf entzieht. Ein solches Freigeld würde, so die Überzeugung, die Soziale Ungleichheit erheblich begrenzen. Ein nicht zinstragendes Geld würde für die überwiegende Mehrheit der Menschen den Lebensunterhalt billiger machen, weil dann die in allen Preisen enthaltenen Zinsanteile wegfielen. Eine Minderheit der Gesellschaft hätte bei der Einführung eines solchen Freigelds freilich den Nachteil, aus Geldvermögen kein Einkommen mehr beziehen zu können und das Privileg verlieren würde, Geld für sich „arbeiten“ lassen zu können.

Für eine Kritische Politikdidaktik gilt grundsätzlich, dass Fragen der sozialen Ungleichheit nicht ohne Bezug auf die Verfügung über die Produktionsmittel geklärt werden können. Wenn nämlich, so die zugrunde liegende Überzeugung, Menschen nur leben können, wenn sie die Mittel zum Leben produzieren können, dann bedeutet die Verfügung über diese Mittel nichts Geringeres als die Verfügung über die Möglichkeit zu leben – oder nicht. Eine Möglichkeit der Verfügung über Produktionsmittel, die sich geschichtlich herausgebildet hat, ist das private Eigentum an ihnen. Aber es gibt auch andere Eigentumsformen. In dem Maße, in dem sich das private Eigentum an den Produktionsmitteln vor allem in Großbetrieben als hinderlich für die menschenwürdige Weiterentwicklung des Gemeinwesens herausstellen, müssen alternative Eigentumsformen stärker in Betracht gezogen werden: das Stiftungseigentum, bei dem es zwar einen privaten Eigentümer gibt, der aber keine Gewinne erzielen darf, das genossenschaftliche Eigentum, bei dem die Arbeitnehmer selbst Eigentümer ihres Betriebes sind, und das öffentliche Eigentum, bei dem eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (Kommune, Bezirk, Land, Bund) das letzte Wort hat, das Eigentum also im Grunde vollständig der demokratischen Kontrolle unterliegt.

  • [1] Als Überblick z. B. Huster/Boeckh/Mogge-Grotjahn 2008
 
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