Dauerhaftigkeit der Organisation

Neben Ressourcen identifizieren Altides und Kohler-Koch (2009) die Etabliertheit der Organisation als Einflussfaktor ihrer kommunikativen Performanz zur Verbesserung der Accountability europäischen Regierens. Auch dieses Ergebnis kann nur bedingt auf die untersuchten NGOs übertragen werden.

Wie die Tabellen 20 und 21 verdeutlichen, hängt das Alter bzw. die Etablierung auf EU-Ebene nur sehr schwach mit der Accountability-Leistung zusammen. Im Vergleich der Daten in Abhängigkeit des Alters der NGOs – gemessen am Zeitpunkt der Einrichtung der EU-Repräsentanz sowie, falls divergierend, dem Jahr der Organisationsgründung – scheint das Alter, als Determinante der Linkage-Leistung, trotz allem nicht zu vernachlässigen.

Die Kategorisierung des Alters erfolgt unter Bezugnahme auf die für viele NGO-Gründungen relevanten EU-Verträge [1]. Auch die Gründung etlicher der untersuchten NGOs kann, gestützt durch die Aussagen der Interviewpartner, als unmittelbare Reaktion auf die EU-Verträge, d.h. auf zunehmende Kompetenzen der EU-Organe und verbesserte Einflussmöglichkeiten für NGOs, gesehen wer den – sie wurden direkt auf EU-Ebene etabliert. Andere wurden auf nationaler Ebene gegründet und riefen erst Jahrzehnte später ein (gemeinsames) EU-Büro ins Leben; was für eine im Vergleich stärkere Verwurzelung in ihrer, im jeweiligen Staat zu verortenden, gesellschaftlichen Basis spricht.


rs

Alter EUBüro

Alter NGO

Intagg

Mob

Soz

Resp

Acc

Intver

Link MG

Link B/Ö

Alter

EU-Büro

1,000

.

,604**

,002

,274

,121

,365

,057

,110

,322

,174

,232

,111

,321

,121

,305

-,051

,415

,509*

,011

Alter

,604**

1,000

,293

,294

-,157

-,081

-,084

-,326

,005

,473*

NGO

,002

.

,105

,104

,254

,368

,362

,081

,491

,018

Tabelle 20 Korrelationen Alter Linkage-Dimensionen

** Die Korrelation ist auf dem 0,01 Niveau signifikant (1-stg).

* Die Korrelation ist auf dem 0,05 Niveau signifikant (1-stg).

Dieser Argumentationsgang wird durch den statistisch signifikanten Zusammenhang von „Alter NGO“ und „Linkage B/Ö“ untermauert. Trotz positiver Korrelation lässt sich die Schlussfolgerung aber nicht verallgemeinern. So wurde etwa NGO17 im Jahr 1986 gegründet, hat seit 1997 ein EU-Büro und weist trotzdem eine geringe Basisorientierung bzw. eine niedrige Wertung für „Linkage B/Ö“ auf. Selbiges trifft auf NGO7 zu.

Wie die in Tabelle 20 dargestellten Korrelationen veranschaulichen, sind in diesem Zusammenhang in der Tat zwei Faktoren zu differenzieren: Zum einen der Gründungsort, zum anderen das Alter der NGO. So erbringen die direkt auf EUEbene etablierten NGOs, eine deutlich bessere Gesamt-Linkage-Leistung als jene, die auf nationaler Ebene gegründet wurden (205 vs. 182 Punkte). Außerdem erzielen jene neun, die nach 1992 ins Leben gerufen wurden, mit 200 Punkten eine etwas bessere durchschnittliche Gesamt-Linkage-Wertung, als die noch vor der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht gegründeten (198 Punkte); obgleich diese Tendenz nicht für alle Dimensionen bestätigt werden kann. Im Vergleich der acht NGOs, die ihre EU-Repräsentanz vor 1992 gründeten, mit jenen zwölf, die diese nach 1992 etabliert haben, zeigt sich, dass Erstere in allen Dimensionen signifikant besser abschneiden und unverkennbar eine höhere Linkage-Leistung erbringen. Dabei sind diese NGOs vorwiegend deckungsgleich mit jenen, die direkt auf EU-Ebene gegründet wurden, weshalb die Faktoren diesbezüglich kaum voneinander zu trennen sind.

Folglich kann die in Kapitel 7.5 aufgestellte These zur Kausalität des Zeitpunkts der Einrichtung des EU-Büros und der Festigung bestimmter Interaktionsformen mit relevanten Stakeholdern bestätigt werden, wobei diese um die Mitglieder ergänzt werden müssen. Dafür sprechen nicht nur die in Tabelle 21 dargestellten Werte.

Tabelle 21 Durchschnittswerte Linkage nach Alter

Daneben ist „Alter EU-Büro“ sogar in stärkerem Maße als „Alter NGO“ statistisch signifikant positiv mit „Linkage B/Ö“ korreliert, was für eine Entwicklung spricht, wie sie von mehreren NGO-Vertretern skizziert wurde:

Zunächst räumten die NGOs der Etablierung auf EU-Ebene und der Adaption an die Kontextfaktoren Priorität ein. Die Entwicklung von Interessenvermittlungsstrategien, der Aufbau und die Stabilisierung des Kontakts mit politischen Autoritäten und Partnern sowie die entsprechende Ressourcenallokation standen im Vordergrund. Je weiter fortgeschritten diese Adaption ist, desto etablierter sind der Kontakt sowie die Interaktionsformen mit Entscheidungsträgern und Partnern, aber auch mit Mitgliedern, sodass nun im nächsten Schritt nicht nur die vertikale Kommunikation mit der Basis in Angriff genommen wird, sondern z.T. auch größere Öffentlichkeitsorientierung an Bedeutung gewinnt. Je länger die EU-Repräsentanz besteht, desto mehr haben sich NGOs an die Gegebenheiten auf EU-Ebene angepasst und desto besser ist die Linkage-Leistung für Mitglieder, Basis und Öffentlichkeit. Der sehr schwache Zusammenhang zwischen Alter und Güte der Mitgliederkommunikation (siehe Tabelle 20) widerspricht dieser Argumentation auf den ersten Blick; lässt sich aber dadurch erklären, dass die Mitglieder für alle NGOs zu jeder Zeit der Existenz der Organisation eine bzw. die Hauptzielgruppe waren und sind. Dessen ungeachtet merken zahlreiche NGO-Vertreter an, dass sich für gewünschte Themen und Kontaktfrequenz seitens der Mitglieder erst gewisse Routinen etablieren mussten. Ferner spielt der Faktor Zeit für die Vertrautheit mit den Wünschen der Mitglieder eine große Rolle, weswegen den NGO-Mitarbeitern – so der Tenor – ihre Arbeit heute im Vergleich wesentlich leichter fällt.

Für die Entwicklung von organisatorischer und direkter Linkage über die Zeit, sind die Interviewaussagen eindeutig: Danach hat sich die direkte Linkage aufgrund der technischen Entwicklungen verbessert. Dagegen zeichnet sich nicht ab, dass sich in älteren NGOs, wie bei Parteien (Poguntke 2000), der Fokus von organisatorischer auf direkte Linkage verschiebt. Die Mitgliedsorganisationen waren und sind sowohl für Interessenaggregation, als auch für Mobilisierung und Sozialisierung zentrale Mittlerorganisationen und die substanzielle Verbindung zur Basis. Ein Bedeutungsverlust der Mitglieder, wie er für Parteien konstatiert wird (siehe Kapitel 4.3), ist nicht evident – dies gilt für ältere wie jüngere NGOs. Ebenfalls ist nicht zu erkennen, dass Letztere verstärkt auf direkte Linkage setzen. Im Gegenteil, mit einer Ausnahme wurden alle sieben NGOs, die persönliche Kontaktoptionen für Basis und Öffentlichkeit anbieten, vor 1989 gegründet.

  • [1] 4= vor 1992; 3= 1993-1998 (nach Maastricht); 2= 1999-2002 (nach Amsterdam); 1= 2003-2006 (nach Nizza); 0= 2007-2010 (nach Lissabon)
 
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