Solidaritätsbrüche durch moralische Unternehmen. Grenzverschiebungen im System und Sozialraum der Tafeln
Stefan Selke
Transformation armutsökonomischer Angebote
Tafeln sind Freiwilligenorganisationen, die seit rund 20 Jahren (meist) gespendete Lebensmittel an bedürftige Menschen ausgeben. Die Grundidee der Tafeln bestand lange Zeit darin, noch verzehrfähige aber nicht mehr marktgängige Lebensmittel an Bedürftige umzuverteilen. [1] Nach Erwerbslosen, MigrantInnen, Kindern und RentnerInnen nimmt nun eine weitere armutsgefährdete Gruppe Tafeln in Anspruch – Studierende. [2] Gleichzeitig klagen immer mehr Tafeln über einen Mangel an Lebensmittelspenden. „Ausgabestopps“ und die Begrenzung der „KundInnen“anzahl sind notwendig, da schlicht nicht ausreichend Lebensmittel für die stetig wachsende Nachfrage vorhanden sind.[3]
Das System der Tafeln entspringt der Idee einiger wohltätiger Damen, die begannen, nach dem Vorbild einer Lebensmittelhilfe aus New York Lebensmittel von Supermärkten einzusammeln. 1993 wurde in Berlin die erste Tafel gegründet (Werth 2004). Einige Jahre später gründete sich der „Bundesverband Deutsche Tafel e. V.“, der heute als die Lobbyvertretung der „Tafelmarke“ gilt. Mittlerweile sind aus der wohltätigen Aktion ein riesiger „Sozialkonzern“ und zugleich ein moralisches Unternehmen entstanden. Vor diesem Hintergrund beleuchtet dieser Beitrag die Rolle der Tafeln im bundesdeutschen Wohlfahrtsmix auf der Systemund Praxisebene, um grundlegende Verschiebungen innerhalb der Solidaritätsmatrix aufzuzeigen.
- [1] Zu einer ausführlichen Erläuterung der Tafel-Idee sowie ihrem zwischenzeitlich erfolgten Wandel vgl. Lorenz 2012; Selke 2009, 2010, 2013a sowie von Normann 2003
- [2] spiegel.de/unispiegel/wunderbar/armut-tafel-wattenscheid-hat-studenten-als- kunden-a-939006.html (11.02.2014)
- [3] taz.de/Umzug-statt-Aufnahmestopp/!131763/ (11.02.2014)