Empirische Befunde zur Dynamik von Armut und Arbeitslosigkeit
Daten und Methode
Der Eindruck, wer einmal Sozialhilfe beziehe, werde immer von Sozialhilfe leben, wurde einst durch die Abhängigkeit der empirischen Armutsforschung von Querschnittdaten begünstigt (Leisering 2008). Abhilfe schaffen Analysen im Längsschnittdesign, wie sie hier auf Grundlage des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) vorgenommen werden. Das SOEP eignet sich für einen Vergleich der Armutsdynamik vor und nach Hartz IV, weil es sowohl Informationen zu Armut und Arbeitslosigkeit im alten als auch im neuen Regime enthält[1]. Die Daten warden auf Aggregatebene mit Langzeitstatistiken der Bundesagentur für Arbeit (2012) verknüpft. Arbeitslosigkeit wird als subjektive Einschätzung der Befragten über ein Erwerbskalendarium monatsgenau erfasst. In die Zugangsstichprobe werden diejenigen Arbeitslosen einbezogen, die zwischen Januar 2005 und Dezember 2010 eine Arbeitslosigkeitsepisode begonnen haben [2]. Pro Individuum sind mehrere Episode möglich, weil wiederholte Eintritte in Arbeitslosigkeit zugelassen und nicht aufgerechnet werden. Untersuchtes Ereignis ist der Ausstieg aus Arbeitslosigkeit. Die Ereignisdaten werden in Zeitraum A (Januar 1999 bis Dezember 2004) und Zeitraum B (Januar 2005 bis Dezember 2010) aufgeteilt. Wobei Episoden, die nach Dezember 2004 (Zeitraum A) bzw. Dezember 2010 (Zeitraum B) enden, als rechtszensiert gelten. Der Beobachtungszeitraum umfasst folglich jeweils sechs Jahre vor und nach der Implementation von Hartz IV. Anhand von Verweildaueranalysen wird die zeitbezogene Neigung (Hazardrate) ermittelt, aus Arbeitslosigkeit in einen anderen Zustand zu wechseln.
Zu fragen ist erstens, wie lang Arbeitslosigkeitsepisoden andauern, zweitens, welchen Einfluss Armut auf die Verweildauern in Arbeitslosigkeit hat und drittens, ob sich die Mechanismen vor und nach der vierten Hartz-Reform unterscheiden. Im ersten Analyseschritt wird die Dynamik der Arbeitslosigkeit in den Zeiträumen A und B anhand einer Kaplan-Meier-Schätzung deskriptiv verglichen. Im zweiten Schritt wird durch Schätzung eines Piecewise-Constant-Exponentialmodell untersucht, wie die Hazardrate von zeitkonstanten Kovariaten (Ausprägung bei Eintritt in Arbeitslosigkeit) beeinflusst wird. Dabei erfolgte eine Konzentration auf Übergängen in Erwerbstätigkeit (Voll-, Teilzeitund geringfügige Beschäftigung). Übergänge in Minijobs [3] wurden von der Analyse ausgeschlossen, weil die mit Hartz II umgesetzte Reform geringfügiger Beschäftigungsformen (Minijobreform) bereits 2003 implementiert wurde. Um die Schnittstelle zwischen dem System sozialer Sicherung und dem Arbeitsmarkt im Fokus zu halten, bleiben außerdem Übergänge in Bildung (betriebliche Ausund Fortbildung, Schule und Hochschule) und Sorgearbeit (Mutterschutz und Elternzeit, Hausfrau/mann) unberücksichtigt. Durch Aufteilung des Beobachtungszeitraums in Jahresintervalle können periodenspezifische Effekte berechnet werden. Als Kovariablen gehen ein: Das Sozialregime (vor und nach der Implementation der Hartz-IV-Reform in 2005), die Armutslage (Grundsicherungsbezug, relative Einkommensarmut), die Arbeitsmarktlage (vormonatliche Arbeitslosenquote im bewohnten Bundesland), zugeschriebe Individualmerkmale (Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund [4]), das individuelle Humankapital (Schulabschluss, subjektive Einschätzung des Gesundheitszustands, Erfahrung mit Arbeitslosigkeit, Erwerbserfahrung) und der Haushaltskontext (Haushaltsform, Anzahl und Alter der Kinder).
- [1] Die Daten des Instituts für Arbeitsmarktund Berufsforschung kommen hier nicht infrage, weil sie für den Zeitraum vor 2005 keine oder unzureichende Informationen liefern
- [2] Bestandsstichproben können zu einer Überschätzung der Arbeitslosigkeitsdauer führen, da Kurzzeitarbeitslose eine geringe Chance haben in die Stichprobe zu gelangen. Zudem stellt sich das Problem der Linkszensierung (Leisering 2008)
- [3] Minijobs sind sozialversicherungsfreie Beschäftigungen. Die monatliche Verdienstgrenze lag ab 1999 bei 352 € und wurde 2003 mit Hartz II auf 400 € (mittlerweile 450 €) angehoben. Zudem entfiel die Begrenzung auf 15 Wochenstunden Arbeitszeit (Bundesagentur für Arbeit 2011)
- [4] Menschen, die selbst oder deren Eltern eingewandert sind