Soziale Vielfalt muss gestaltet werden
Die Relevanz des Themas der sozialen Vielfalt und deren gezielte Förderung in ländlichen Regionen werden deutlich, wenn der anhaltende Abwanderungsdruck auf junge Bevölkerungsschichten und die zunehmende „Überalterung“ in der Altersstruktur in (peripheren) ländlichen Regionen betrachtet werden. Die selektive Abwanderung von jungen, durchwegs sehr gut gebildeten Menschen aus den ländlichen Regionen verursacht den Verlust an Know-how, von Engagement und Reproduktionsfähigkeit. Generell betrachtet, lösen altersund geschlechterselektive Abwanderung, eine ökonomische Restrukturierung – insbesondere Arbeitsplatzverluste in der Landwirtschaft und der Industrie – Schrumpfungsprozesse aus, deren Folge ein Rückgang von Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen ist, welcher das Angebot an sozialen Dienstleistungen weiter reduziert (Leibert und Wiest 2014, S. 26f.). Welche Chancen stecken in der Förderung der sozialen Vielfalt in ländlichen Regionen und welche Rahmenbedingungen müssen gegeben sein, damit sich die in der Bevölkerung vorhandene soziale Vielfalt entfalten kann?
„Diversity“, abgeleitet von lateinisch „Diversitas“, bedeutet Verschiedenheit, Heterogenität oder Differenz und wird positiv konnotiert meist als Vielfalt übersetzt. Diversity stammt zwar ursprünglich aus dem Managementdiskurs und stellt dementsprechend den ökonomischen Nutzen der Berücksichtigung der Vielfalt der Humanressourcen in Unternehmen in den Vordergrund (bekannt unter der Strategie des „Managing Diversity“). Im Gegensatz zu dieser ökonomischen Ausrichtung von Managing Diversity erfolgt in der „Equity-Perspektive“ eine breitere Auslegung von Diversity. Hier werden als allgemeine Ziele Unrechtsbekämpfung, Antidiskriminierung und die Förderung von Fairness, Toleranz und Respekt betont. Soziale Vielfalt in ländlichen Regionen, wie sie hier diskutiert wird, ergibt sich keineswegs von selbst. Vielfalt muss gestaltet und wertgeschätzt werden und dies beginnt mit der gezielten Suche nach „vergessenen“, verdrängten und noch ungenutzten Potenzialen. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass das vorhandene Sozialkapital in ländlichen Regionen dazu tendiert, nicht etablierte Akteurinnen und Akteure (z. B. Jugendliche, Zugewanderte, QuerdenkerInnen, Kulturschaffende, MigrantInnen) auszuschließen. Wenngleich soziale Vielfalt positiv konnotiert ist, muss bedacht werden, dass Heterogenität in der Bevölkerung auch ein konfliktträchtiges Phänomen ist. Es geht darum, den Prozess der Entfaltung der positiven Effekte von sozialer Vielfalt zu begleiten (Oedl-Wieser 2010).
Florida (2002) legte in seinem Buch „The Rise Of The Creative Class“ Analysen vor, wonach „weiche Standortfaktoren“, wie die Kultur der Offenheit gegenüber ethnisch-kulturellen Minderheiten und eine anregende kulturelle Vielfalt in einem toleranten Stadt-(Regional-)Klima, entscheidende Schlüsselfunktionen für wirtschaftliches Wachstum sind. Kreativität und innovatives Schaffen entfalten sich dort besonders gut, wo es ein offenes Klima für neue Ideen gibt sowie ein positiver und produktiver Umgang mit unterschiedlichen Sichtweisen und Fähigkeiten anzutreffen ist. Wichtig sind dabei vor allem wechselseitige Toleranz, Anerkennung und Respekt, denn nur so kann eine positive Wertschätzung von Heterogenität entstehen.
In Zeiten von Globalisierung und einer kontinuierlichen Alterung der Bevölkerung ist es zentral, ein tolerantes Klima und eine produktive Atmosphäre zu schaffen, die zu mehr Flexibilität im Denken und kreativen Problemlösungen führen. Es ist absehbar, dass nicht nur Unternehmen, sondern auch Regionen künftig stärker im Wettbewerb um das kreative soziale Potenzial stehen werden. Bislang ist es in vielen ländlichen Regionen allerdings so, dass die Dynamik der Heterogenisierung der Gesellschaft zu wenig erkannt oder stark unterschätzt wird. Soziale Vielfalt kann zum Nutzen aller Beteiligten entwickelt werden, wenn Vorurteile abgebaut werden und der Blick auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Chancen einer vielfältigen Gemeinschaft – ressourcenorientiert und nicht defizitorientiert – gerichtet wird. In einer solchen Vorgangsweise werden die Kompetenzen und Potenziale aller BürgerInnen bewusst in den Mittelpunkt gerückt. Dazu sind Kooperationswille, innovative Konzepte und finanzielle Ressourcen notwendig, die in effektiver und effizienter Weise einzusetzen sind, um die Entwicklungsfähigkeit ländlicher Regionen zu gestalten.