Politische Raumordnung und Konflikt der Lebensentwürfe: Wie regionale Eliten zum Brain-Drain beitragen

In Österreich besteht innerhalb der ohnehin kleiner werdenden traditionellen politischen Lager und der damit verbundenen Institutionenlandschaft auch räumlich eine Art Arbeitsteilung. In meist von einer Partei über Jahrzehnte dominierten Regionen herrscht bei InstitutionenvertreterInnen allzu oft ein Selbstverständnis vor, dass die Deutungshoheit über die „richtigen“ Lebensentwürfe ausschließlich ihnen obliegt. Von ihnen wird definiert, was und wer dazu gehört – als Folgewirkung einer über Jahrzehnte gewohnten Macht, unabhängig davon, ob es sich um mehrheitlich „schwarze“ oder „rote“ Regionen handelt.

Natürlich beeinflussen die Vorstellungen einer regionalen Elite im besonderen Maße die Planung und Politik für ihre Räume. Aber sie machen ländliche Regionen dafür für jene Teile der Bevölkerung unattraktiv, die diesen Vorstellungen nicht entsprechen können oder wollen und deren Bedarfslagen nicht entsprechend wahrgenommen werden. Es scheint so zu sein, dass soziale Vielfalt nicht als zum ländlichen Raum gehörig wahrgenommen wird. Unterschiede, Widerspruch und Konflikte scheinen den „Betrieb“ zu stören. Aber ländliche Räume sind sozial nicht homogen, sondern heterogen und konflikthaft. Ich habe den Eindruck, dass dieses potenziell konflikthafte Moment gerne übersehen wird. In Strategien und Maßnahmen und Förderprogrammen kommt diese Thematik kaum vor: Menschen verlassen ländliche Regionen nicht nur aufgrund des Mangels an geeigneten Ausbildungsund Berufsmöglichkeiten. Sie gehen auch weg, weil es zu wenige Möglichkeitsund Freiräume und damit verbundene soziale Qualitäten und Milieus gibt. Wenn zum Beispiel in der Qualifizierungsbilanz für eine Salzburger Region ein wichtiges Ergebnis lautet, dass junge Frauen, die in den Tourismusfachschulen der Region maturieren, anschließend die Region verlassen, hat dies vielleicht auch etwas mit dem Wunsch nach Lebensentwürfen zu tun, die sich vor allem im Tourismusgewerbe nicht realisieren lassen (Mühlböck et al. 2010).

Rahmenbedingungen, die Menschen zur Abwanderung bewegen, wie patriarchalische Sozialstrukturen, die von Frauen mit der Forderung nach Chancengleichheit seit Jahren thematisiert werden, sind bislang nach wie vor viel zu wenig in die Praxis der Regionalpolitik eingedrungen. Dass Menschen ländliche Regionen verlassen, weil sie für ihre Bedürfnisse und Perspektiven keinen Platz finden, hat nicht nur mit strukturellen Rahmenbedingungen, sondern auch mit einer veränderbaren Kultur zu tun. Maßnahmen gegen den Brain-Drain sollten daher nicht nur beim Fachkräftebedarf von Betrieben, sondern auch bei den Motiven und Lebensentwürfen von Menschen ansetzen.[1]

  • [1] Ein Beispiel für die Auseinandersetzung mit Motiven liefern Weber und Fischer (2010)
 
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