Verkehrsinfrastrukturen und Mobilitätsverhalten Analyse des Mobilitätsverhaltens und der Verkehrsinfrastrukturen in ländlichen Räumen unter dem Aspekt des regionalen, demografischen und sozialen Wandels am Beispiel der Steiermark
Fritz Bernhard
In diesem Beitrag wird in einem ganzheitlichen Ansatz das System Verkehr als Resultat der räumlichen Mobilität unserer Gesellschaft analysiert. Ziel ist die Beantwortung der Frage, ob und wie die vorhandenen Verkehrsinfrastrukturen den Lebensentwürfen und der Grundversorgung im ländlichen Raum entsprechen. Lebensstil und soziokulturelle Aspekte definieren den individuellen Lebensraum – Infrastrukturen und biografische Entwicklung bestimmen Mobilitätsverhalten und Verkehrsmittelwahl. Sind es mangelnde Verkehrsinfrastrukturen und Erreichbarkeiten oder mangelnde soziale Gravitationskräfte, die vor allem junge Menschen zum Verlassen des ländlichen Raumes bewegen? Erreichbarkeitsanalysen, Mobilitätstagebücher und Interviews sollen im Gegenüberstellen räumlicher Migrationsmuster eine Antwort darauf finden. Die rasante Evolution der menschlichen Mobilität, unser Wohlstand und zunehmende Freizeitsphäre führen zu einem wachsenden Spannungsverhältnis von individuellen Mobilitätswünschen und kollektiver Vernunft. Schrumpfende und begrenzte Ressourcen fordern die Gesellschaft zu einer fairen Allokation der Daseinsvorsorge.
Einleitung
Die Entwicklung der Mobilität und des Verkehrs in der Steiermark ist geprägt durch Trends, die zumindest europaweit in ähnlicher Ausprägung auftreten: Die physische Mobilität von Menschen wird aufgrund der sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen immer größer. Zum Teil wird dies durch die Forderung nach erheblich größerer Flexibilisierung am Arbeitsmarkt mehr oder weniger erzwungen, zum Teil zur Befriedigung der Bedürfnisse im Konsumoder Freizeitverhalten freiwillig in Kauf genommen. Die Mobilität von Gütern ist geprägt von der Globalisierung der Wirtschaft und dem Konsumverhalten der Menschen.
Im vorliegenden Beitrag soll eine größtmögliche ganzheitliche und interdisziplinäre Betrachtung des komplexen Systems Mobilität aus gesellschaftlicher und individueller Perspektive sowie auf die Phänomene räumlicher Disparitäten erfolgen, um in eine Diskussion zum Thema Grundversorgung der ländlichen Räume mit Mobilitätsangeboten einzusteigen. Ziel ist es auch zu zeigen, wie sich in den Regionen als gesellschaftliche Konstrukte die infrastrukturellen Rahmenbedingungen zum Mobilitätsverhalten in den letzten Jahrzehnten entwickelt und verändert haben.
Es stellt sich die Frage, ob und wie sich die entwickelte oder vorhandene rollende und statische Verkehrsinfrastruktur einer Region auf das Migrationsverhalten der Bevölkerung auswirkt. Es soll differenziert beurteilt werden, ob aktuell tradierte Mobilitätsverhaltensmuster das Ergebnis eines durch die Automobilisierung verursachten Jahrzehnte dauernden Entwicklungsund Strukturwandelprozesses in einem soziotechnischen Regime (Geels 2002) darstellen oder ob ein neu eingeführtes Verkehrssystem wie die Koralmbahn oder der S-Bahn-Betrieb das regionale Migrationsverhalten verändert.
Zur Frage „Was hat die räumliche Entwicklung in Österreich in den letzten 100 Jahren am meisten beeinflusst?“ wurde von TeilnehmerInnen des Szenarioprozesses zur Raumentwicklung Österreichs 2030 (N = 90) die Rolle der Mobilität mit 44,4 % (ÖROK 2009) am stärksten bewertet (siehe Abb. 1).
Abb. 1 Einfluss auf räumliche Entwicklung (ÖROK 2009)