Gesundheitsversorgung in Österreich unter besonderer Berücksichtigung des ländlichen Raums
Gerhard Reichmann und Margit Sommersguter-Reichmann
Im Rahmen dieses Beitrags werden zentrale Aspekte der Gesundheitsversorgung in Österreich vorgestellt und analysiert, wobei insbesondere auf die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum eingegangen wird. Zu diesem Zweck wird zunächst ein knapper Überblick über die österreichische Gesundheitspolitik der letzten 50 Jahre gegeben, welcher erkennen lässt, dass sich eine Versorgungsforschung im engeren Sinn, die auf eine bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen abzielt, derzeit noch im Aufbau befindet. Im Hinblick auf die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum ist festzuhalten, dass dieser in den politischen Programmen zwar durchaus Beachtung geschenkt wird, eine einheitliche Abgrenzung, was im Gesundheitsbereich unter ländlichem Raum zu verstehen ist, allerdings fehlt. Deshalb werden im empirischen Teil mehrere Varianten zur Abgrenzung des ländlichen Raums im Gesundheitsbereich vorgestellt. Diese werden anschließend herangezogen, um zu überprüfen, ob es wesentliche Unterschiede in der Gesundheitsversorgung zwischen ländlichem und städtischem Raum gibt. Dabei wird auf einige zentrale Leistungsanbieter, nämlich Krankenanstalten, Ärzte/Ärztinnen und Apotheken, abgestellt. Die Analyse der vorhandenen Daten zeigt, dass Unterschiede, sofern überhaupt vorhanden, im Zeitablauf tendenziell geringer geworden sind.
Einleitung
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert als die drei wesentlichen intrinsischen Ziele von nationalen Gesundheitssystemen (WHO 2000): ein hohes Niveau an Gesundheit in der Bevölkerung, eine hohe Reagibilität des Gesundheitssystems im Hinblick auf die Bedürfnisse der PatientInnen sowie eine möglichst faire Verteilung der finanziellen Belastung auf die Bevölkerung. Der Zielerreichungsgrad im Hinblick auf diese intrinsischen Ziele kann über instrumentelle Ziele, wie z. B. eine qualitativ hochwertige, effektive und effiziente Gesundheitsversorgung, sowie über einen gleichen und niederschwelligen Zugang zu Gesundheitsleistungen für die Bevölkerung operationalisiert werden.
Die österreichische Gesundheitspolitik hat sich in den letzten 50 Jahren den oben genannten Zielen zu unterschiedlichen Zeitpunkten in unterschiedlichem Ausmaß gestellt. In den Anfängen der 1970er Jahre wurden „die Reorganisation des österreichischen Krankenanstaltenwesens auf der Grundlage eines gesamtösterreichischen Krankenanstaltenplanes“ (Kreisky 1970, S. 49) sowie der Kampf gegen „das Sterben vor der Zeit“ (Kreisky 1971, S. 15) als wesentliche gesundheitspolitische Ziele angestrebt. Anfang der 1980er Jahre setzte sich die Gesundheitspolitik die Verbesserung der Gesundheitsvorsorge sowie den Ausgleich regionaler Unterschiede bei der Bereitstellung von ärztlichen Leistungen zum Ziel (Kreisky 1979, S. 35). In den einschlägigen Strategiepapieren der folgenden Dekade wurde bereits die Notwendigkeit von Kostendämpfungsmaßnahmen angesprochen, die sich vor allem in einem Abbau der kostenintensiven Akutbetten in Krankenanstalten und damit einhergehend in der erforderlichen Verlagerung von medizinischen Leistungen in den spitalsambulanten bzw. – sofern medizinisch vertretbar – in den niedergelassenen Bereich niederschlagen sollten, welcher durch neue Organisationsformen, wie z. B. Ordinationsgemeinschaften, Gruppenpraxen und Praxiskliniken gestärkt werden sollte (Vranitzky 1986, S. 28; Arbeitsübereinkommen 1987, S. 14). Anfang der 1990er Jahre wurde nicht nur die Notwendigkeit eines umfassenden Gesundheitsplanes, bestehend aus einem Krankenanstaltenplan und einem Großgeräteplan, als Grundlage für die Ressourcenverteilung im Gesundheitswesen, sondern auch die sektorenübergreifende Koordinierung medizinischer und sozialer Dienste angesprochen (Vranitzky 1990, S. 33). Die Ausdehnung auf neue Versorgungsformen, wie z. B. auf tagesklinische Leistungen, wurde Anfang der 1990er Jahre ebenso gefordert wie die Möglichkeit der Mitwirkung der Länder bei der Verteilung von Ärzteplanstellen durch Sozialversicherung und Ärztekammer, vor allem um strukturschwache Regionen zu unterstützen (Arbeitsübereinkommen 1990, S. 60f.). Im Jahr 1994 wurde schließlich die erste Fassung eines österreichischen Krankenanstaltenplanes (ÖKAP) verabschiedet, die jedoch zunächst keine verbindliche Wirkung hatte (Jagsch 2011, S. 163). Im Rahmen des Koalitionsübereinkommens 1996 (Bundespressedienst 1996, S. 41f.) wurden u. a. die Einführung einer Strukturkommission auf Bundesebene und von Landeskommissionen auf Bundesländerebene, welchen die Steuerung des österreichischen Gesundheitswesens im Sinne einer Koordinierung unterschiedlicher Versorgungsbereiche in Form einer überregional abgestimmten Planung von Versorgungsstrukturen übertragen werden sollte, sowie die Ausweitung des ÖKAP zu einem Leistungsangebotsplan für das gesamte österreichische Gesundheitssystem gefordert. Die Umsetzung dieser Forderungen erfolgte im Jahr 1997, in welchem nicht nur der ÖKAP um einen Großgeräteplan (GGP), der auch den extramuralen Bereich umfasste, erweitert und als verbindliche Grundlage für öffentliche Krankenanstalten sowie privat gemeinnützige Krankenanstalten eingeführt wurde, sondern auch Strukturund Landeskommissionen eingesetzt wurden. Der verbindliche Charakter von ÖKAP/GGP manifestierte sich in Form von finanziellen Sanktionen im Falle von Verstößen gegen die verbindlich festgelegten Standorte sowie Bettenoberkapazitäten je Fachrichtung (BGBl. I Nr. 111/1997, Art 24). Im Regierungsprogramm 2000 (S. 37ff.) wurden die Notwendigkeit der Abstimmung der Leistungsangebotsplanung für den spitalsambulanten und den extramuralen Bereich sowie eine verstärkte Ausrichtung des gesamten Leistungsangebots an demografischen, epidemiologischen und geografischen Faktoren erkannt, um dem Ziel eines bedarfsgerechten Angebots medizinischer Leistungen gerecht zu werden. Im Jahr 2005 wurde der sektorenübergreifenden Planung insofern Rechnung getragen, als mit der Errichtung von Gesundheitsplattformen als Organen der neun Landesgesundheitsfonds und damit einhergehend der verstärkten Einbeziehung der Sozialversicherung in Planungsagenden ein Hauptaugenmerk auf die Abstimmung des intraund extramuralen Leistungsangebots gelegt wurde (BGBl. I Nr. 73/2005, Abschnitt 3). Mit der Gründung der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) im Jahr 2006 wurden die Agenden der Strukturplanung, Gesundheitsförderung und Qualitätssicherung im österreichischen Gesundheitswesen in einer Institution vereinigt. Im selben Jahr wurden ÖKAP und GGP durch den Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) abgelöst, womit eine verbindliche Grundlage für eine integrierte, d. h. sektorenübergreifende und bedarfsorientierte Leistungsangebotsplanung, welche nicht nur die Krankenanstalten, sondern auch den niedergelassenen Bereich, den Rehabilitationsbereich sowie die Nahtstellen zur Pflege umfasst, geschaffen wurde. Im aktuellen Arbeitsprogramm der Bundesregierung wird als wesentliches Ziel der österreichischen Gesundheitspolitik eine flächendeckende und wohnortnahe 24-Stunden Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen genannt, wobei die allgemeinmedizinische Versorgung im Sinne eines Hausarztmodells weiter gestärkt werden soll (Arbeitsprogramm 2013, S. 57).
An diesem Abriss ist zu erkennen, dass die österreichische Gesundheitspolitik zunächst das Ziel eines hohen Gesundheitsniveaus in der Bevölkerung prioritär verfolgt hat, während in den letzten beiden Dekaden insbesondere auf die Sicherstellung der Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems sowie, eng damit zusammenhängend, auf die Notwendigkeit einer bedarfsorientierten Leistungsangebotsplanung eingegangen wurde. Das Ergebnis dieser bedarfsorientierten Leistungsangebotsplanung, der ÖSG, signalisiert gleichzeitig einen ersten wichtigen Schritt in Richtung Versorgungsforschung in Österreich.