Texte
Der Auslöser
Rainer Eisfeld:
Theodor Eschenburg: Übrigens vergaß er noch zu erwähnen…
Eine Studie zum Kontinuitätsproblem in der Politikwissenschaft
[Erstveröffentlichung: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59 (2011), S. 27-44. Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung des Metropol-Verlags (Friedrich Veitl).]
In der jüngst erschienenen Untersuchung „Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“ findet sich ein Satz, der aufmerken lässt: Theodor Eschenburg habe „Ende der vierziger Jahre als Abteilungsleiter beim Deutschen Büro für Friedensfragen geholfen, offensichtlich kompromittierten Bewerbern den Weg in die Bundesverwaltung zu ebnen“.
Das Deutsche Büro für Friedensfragen (DBfFF) war eine Quasi-Vorläuferstelle des Auswärtigen Amts, die von den Länder-Ministerpräsidenten der amerikanischen Besatzungszone 1947 errichtet wurde und bis 1949 existierte. Ihm sollten Vorbereitungsarbeiten für die erhofften Friedensverhandlungen obliegen. Zum Leiter des Büros wurde der württembergisch-badische Staatssekretär Fritz Eberhard (SPD) bestellt. Eschenburg, damals Ministerialrat in der Staatskanzlei Tübingen, fungierte 1947 als provisorischer Leiter der Rechtsabteilung mit vorrangiger Zuständigkeit für Verfassungsfragen; am Jahresende zog er sich aus ungeklärten Gründen aus dem DBfFF zurück.
Als Quelle für die Aussage über Eschenburg wird in „Das Amt und die Vergangenheit“ der komplette (obgleich paginierte) Band 80 des DBfFF-Bestands Z 35 im Bundesarchiv Koblenz genannt. Einschlägig aktenkundig ist ausschließlich der Bewerbungsvorgang des Stuttgarter Rechtsanwalts Dr. L. Weitere vergleichbare Vorgänge sind in dem Aktenbestand nicht überliefert, wiewohl die Formulierung in der Studie eher nahelegt, es habe mehr als einen solchen „Fall“ gegeben.
Die Einstellung L.'s hatte Eschenburg in einem Gespräch mit Eberhard empfohlen. Hermann L. Brill, Mitautor des „Buchenwalder Manifests“, nach einem kurzen Intermezzo als Regierungspräsident Thüringens damals Chef der Hessischen Staatskanzlei, die der Einstellung L.'s zustimmen musste, beschaffte sich die Dissertation des Bewerbers, der 1930 an der Universität Leipzig bei Richard Schmidt über die Gesetzgebung in Mussolinis Italien promoviert hatte. Er gelangte zu dem Ergebnis, es handle sich um eine „so profaschistisch[e]“ Arbeit, dass er von der Berufung L.'s „abzusehen“ bitte.
Nach 1933 hatte der Bewerber sich freilich allem Augenschein nach nicht durch regimekonformes Handeln negativ hervorgetan („offensichtlich kompromittiert“); zum Zeitpunkt seiner Bewerbung war er Geschäftsführer des Entnazifizierungsausschusses beim Länderrat. Deshalb könnte man Eschenburg, nach Aktenlage, allenfalls Nachlässigkeit vorwerfen. Auf zielgerichtetes Handeln zugunsten Belasteter zu schließen (eine Folgerung, die sich bei Lektüre des Satzes in „Das Amt und die Vergangenheit“ aufdrängt), wäre nicht angemessen, zumal Eschenburg sich von dem Bewerber offenbar teilweise Entlastung in der Rechtsabteilung erhoffte: Dieser sollte Fragen des Völkersowie des internationalen Privatrechts bearbeiten. Immerhin verdeutlicht der Vorgang, „daß Eschenburg in derartige Debatten eingebunden war und er deshalb die Ambivalenzen einzelner Personalentscheidungen zumindest gekannt haben muß“. Bedeutung besitzt diese Feststellung im Hinblick auf Eschenburgs spätere pointierte Einmischung in die Diskussion über die Vergangenheit des Auswärtigen Amtes, die noch zu erörtern sein wird. Weder im posthum erschienenen zweiten Band seiner Erinnerungen („Letzten Endes meine ich doch“), der die Periode 1933–1999 behandelt, noch an anderer Stelle ist Eschenburg auf sein mehrmonatiges Zwischenspiel beim DBfFF eingegangen. Das wäre weiter nicht auffällig, würfe nicht eine Reihe weiterer Auslassungen oder Verzeichnungen die generelle Frage auf, wie Eschenburgs „seltsam unentschieden[e]“ Haltung zur Weimarer Republik13 sich im Einzelnen auswirkte, welche genauen Funktionen er unter dem NS-Regime ausübte und wie er damit nach 1945 umging. Dazu gehören seine Rolle bei der Hetzkampagne gegen den Heidelberger Statistiker, Pazifisten und Justizkritiker Emil Julius Gumbel und deren nachträgliche Beschönigung, seine zeitweilige Mitgliedschaft in einer SS-Formation, lange heruntergespielt, vor allem aber seine später verschwiegene Mitwirkung bei der „Arisierung“ eines Berliner Kunststoffunternehmens.
Dass Eschenburg sich nach der Niederwerfung des NS-Regimes aufgrund gewonnener Erfahrungen und Einsichten inhaltlich für die parlamentarische Demokratie engagiert hat, soll nicht in Zweifel gezogen werden. Von personeller Kontinuität wird man dagegen sprechen müssen, wenn ein Angehöriger der politikwissenschaftlichen Nachkriegs-Gründergeneration an der „Rassen“-Politik des NS-Regimes in Form zwangsweiser „Arisierung“ jüdischer Wirtschaftsbetriebe – und sei es auch nur in einem belegbaren Fall – mitgewirkt, dies jedoch ebenso verschwiegen hat wie einen Teil der Funktionen, in denen er damals tätig war. Beides trifft auf Theodor Eschenburg zu.
Als „Seiteneinsteiger“ in das Fach bildete Eschenburg keine Ausnahme. Bekanntlich rekrutierte die erste Generation westdeutscher Politologen sich zumeist aus einer Reihe von Nachbardisziplinen, besonders dem Recht und der Geschichte. Freilich fehlte nicht viel, und Eschenburg wäre bereits 1930 zur Politikwissenschaft gestoßen: Nach Erscheinen der Buchfassung seiner Dissertation („Das Kaiserreich am Scheideweg. Bassermann, Bülow und der Block“) hatte die von Ernst Jäckh und Arnold Wolfers geleitete Deutsche Hochschule für Politik (DHfP) dem „national-oppositionellen“ Politischen Kolleg (PK), mit dem sie durch eine Arbeitsgemeinschaft verbunden war, vorgeschlagen, eine wissenschaftliche Arbeitsstelle einzurichten und mit dem DVP-Mitglied Eschenburg zu besetzen. Dass diese Absicht scheiterte, trug zur Auflösung der institutionellen Zusammenarbeit DHfP/PK bei, die allerdings durch eine personenbezogene Regelung ersetzt wurde.
Eschenburg nahm zunächst für zwei Jahre eine Referentenstelle beim Verein Deutscher Maschinenbauanstalten an und wechselte anschließend in die Kurzwarenbranche. Nach dem Krieg erhielt er 1947 einen Lehrauftrag an der Universität Tübingen, 1952 erfolgte seine Berufung auf den dort errichteten neuen Lehrstuhl für Politik.
Gründungsmythen, Familienlegenden: Vom Umgang mit der Kontinuitätsproblematik in der Politikwissenschaft
Seitdem die Politikwissenschaft „die Archive entdeckt“ und damit begonnen hat, sich ihrer eigenen Geschichte vor und nach 1945 zu vergewissern, ist der – unterstellte – Versuch auf Abwehr gestoßen, „aus ihr eine ganz normale deutsche Wissenschaft zu machen“. Mit „normal“ ist dabei jener Tatbestand gemeint, der am 9. November 1967 „politisch-moralisch engagierte Hamburger Studenten zu der vielzitierten Polemik ‚Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren' provoziert“ hatte: die Nahtlosigkeit, mit der nach dem Zweiten Weltkrieg in den meisten Fächern die personelle Anknüpfung an die Periode des NS-Regimes erfolgte. Das in der Politikwissenschaft registrierbare Unbehagen rührt daher, dass man in diese Nachfolge nicht geraten möchte und das eigene Fach infolge der Umstände seiner Entstehung nach wie vor in einer Ausnahmerolle sieht. Als Abwehrreaktion ist solche Haltung verständlich. Sie ist auch nicht etwa in Bausch und Bogen unbegründet. Als forschungsleitende Perspektive kann sie sich jedoch hinderlich auswirken.
Die Jahrzehnte lang aufrechterhaltene Suggestivbehauptung von der durchgängigen Demokratietreue der Disziplin seit ihren Weimarer Anfängen ist zwar seit den archivgestützten Studien der frühen 1990er-Jahre über die Deutsche Hochschule für Politik als „Familienlegende“ bzw. „Gründungsmythos“ ad acta gelegt worden. Dessen ungeachtet müsse, heißt es, „an der Bewertung festgehalten werden“, die Nachkriegspolitologie nehme gegenüber ihren Nachbarfächern „bezüglich ihrer Vorgeschichte eine eindeutig andere Stellung ein“. Der „Fall Bergstraesser“ – Arnold Bergstraessers von ihm später verschwiegene Beteiligung an der Selbstgleichschaltung des Fachs nach 1933 – markiert in dieser Lesart „die große ‚Ausnahme'“, mit der Konsequenz, eigentlich gebe es im Hinblick auf die Kontinuitätsproblematik nichts mehr zu erforschen: „[…] möchte ich behaupten, daß […] [Arnold Bergstraesser und Adolf Grabowsky] auch in Zukunft die einzigen bleiben werden, die Anlaß zu derartigen Reflexionen über Kontinuitäten geben können. […] Weitere wird es nicht geben“. Diese Auffassung fand noch jüngst ein Echo: „Es ist […] mehr als wahrscheinlich, daß es keine weiteren Entdeckungen geben wird.“
Wie vertragen sich damit die – neuerdings von Hans Lietzmann nachgewiesenen – Anleihen Carl Joachim Friedrichs bei Carl Schmitt, die spätere Unterschlagung dieser „unheimliche[n] Affi ität“ durch Friedrich, seine Retuschen der eigenen wissenschaftlichen Biografie? Kontinuität zum Wissenschaftsbetrieb unter dem NS-Regime liegt selbstredend nicht vor, Friedrich nahm bekanntlich bereits 1931 eine Stelle in Harvard an. Wohl aber geht es um einen Verbindungsstrang zu antidemokratischen Konzeptionen, die dem Nationalsozialismus vorgearbeitet haben, und um den Umgang damit nach 1945. Muss unser Kontinuitätsverständnis nicht erweitert werden, um auch diese Konstellation zu erfassen?
Und wie steht es mit einem genaueren Blick auf jene „innere Emigration“ nach 1933, die neben dem Exil regelmäßig als zweite Quelle genannt wird, aus der die Nachkriegspolitologie geschöpft habe? Hannah Arendt hat dem Begriff einige äußerst skeptische Überlegungen gewidmet. Sie gipfeln in der Aussage, die einzig mögliche Art, sich im Dritten Reich nicht als Nazi zu betätigen, habe darin bestanden, überhaupt nicht in Erscheinung zu treten: „Sich aus dem öffentlichen Leben nach Möglichkeit ganz und gar fernzuhalten, war die einzige Möglichkeit, in die Verbrechen nicht verstrickt zu werden.“
Arendt ging es nicht darum, jenseits ihrer Einsicht in die Wirkungen des Regimes eine realistische Alternative für weite Teile der Gesellschaft zu präsentieren. Sie war bestrebt, den Blick für den vielfachen Missbrauch der Wortschöpfung „innere Emigration“ dadurch zu schärfen, dass sie den Ausdruck im Grunde ad absurdum führte. Auf der Hand liegt allerdings, dass in „staatsnäheren“ Funktionen das Risiko, als Nazi zu handeln, größer war als in „staatsferneren“.
Um in knappen Worten zusammenzufassen, was später eingehender dargestellt wird: Eschenburg erklärte, die 1933 aufgenommene Tätigkeit als „Kartellgeschäftsführer“ der mittelständischen Kurzwarenund Elektrobranche habe ihn „die ganzen zwölf Jahre lang, bis zum Ende des Dritten Reiches, in solchem Maße in Anspruch genommen, daß sie mir weitgehend über die Widrigkeiten der Zeitläufte hinweghalf“. Nur insoweit die beteiligten Kartellverbände im Rahmen des staatlichen Lenkungssystems als „eine Art von politischen Gebilden“ fungierten, habe seine Arbeit „auch politischen Charakter“ gehabt.
Müsste nicht die Politikwissenschaft der Fiktion von der „Eingrenzbarkeit“ politisch relevanten Handelns unter dem NS-Regime entgegenwirken, die Hannah Arendts zitierter Einsicht direkt zuwiderläuft? Stattdessen hat Gerhard Lehmbruch diese Sichtweise, die darauf zielt, die Relevanz des eigenen Verhaltens so weit wie möglich herabzustufen, noch gestützt: „Zwar wird auch in den Zwangsverbänden des NS-Systems politisch agiert, […] aber das beschränkt sich auf diesen eng umrissenen Aufgabenbereich.“ Jedoch kamen für Eschenburg seit 1937, wie sich aus Akten des Reichswirtschaftsministeriums ergibt, Tätigkeiten in mehreren Prüfungsstellen der Reichsgruppe Industrie hinzu. Zunächst für den Bereich der Bekleidungs-, dann auch der holzverarbeitenden Industrie wurde Eschenburg als zuständiger Beauftragter (Dienststellenleiter) eingestellt. In dieser Funktion war er Ende 1938 mit der anstehenden „Arisierung“ eines Unternehmens in jüdischem Besitz befasst.
Eschenburg trug dazu bei, dass dem Firmeninhaber der Reisepass entzogen wurde, auch wenn er wenige Tage später seine diesbezügliche Haltung änderte. Für die Durchführung des „Arisierungs“-Verfahrens unterbreitete Eschenburg dem Ministerium Vorschläge. Dazu gehörte die Nennung einer „geeigneten Persönlichkeit“, die als „politischer Kommissar“ eingesetzt werden sollte, sowie zweier Firmen aus der Exportbranche als eventuelle Übernahmeinteressenten.
Wie weit derartige Aktivitäten im Rahmen seiner Zuständigkeiten von ihm erwartet wurden, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Eschenburg hatte laut eigenem brieflichem Bekunden im vorliegenden Fall von Amts wegen „sowohl die Produktionsals auch die Absatzentwicklung aufmerksam verfolgt“, weil der betreffende Betrieb Kunstharzund Zelluloseerzeugnisse herstellte, denen gute Exportchancen eingeräumt wurden. Die verwendeten Materialien galten außerdem als devisensparende Ersatzstoffe; deshalb war die Produktion in die Vierjahresplanung aufgenommen worden.
Ebenso wenig lassen die verfügbaren Dokumente erkennen, ob es sich bei dem Vorgang um einen Einzelfall handelte, oder ob Eschenburg – sei es in der Bekleidungs-, sei es in der holzverarbeitenden Industrie – häufiger mit „Arisierungs“-Maßnahmen zu tun hatte. Die forcierte „Entjudung“ der deutschen Wirtschaft war seit Ende 1937 vorbereitet worden. Sie begann auf formalem Wege im April 1938 mit einer Verordnung, die Juden verbot, Betriebe zu erwerben oder neu zu eröffnen. Als nach dem 9. November 1938 die „Raubmaschinerie“ zur Zwangsliquidation jüdischer Unternehmen „vollends auf Touren“ kam, waren, wie auch der hier dargestellte Fall zeigt, jüdische Vermögenswerte bereits seit einem Jahr mehr und mehr „ins Visier des Regimes“ geraten. Entsprechend stark hatten die Zwangsverkäufe insbesondere jüdischer Kleinbetriebe zugenommen. Wirtschaftskammern und -gruppen, bestrebt, die Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft „einigermaßen ökonomisch-sachlich zu lenken“, waren mit der „Arisierungs“-Praxis regelmäßig befasst. Eine besonders forcierte Enteignungswelle hatte im Anschluss an einen Propagandafeldzug der „Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten der Bekleidungsindustrie“ während des Jahres 1938 gerade die Textilbranche getroffen. Bereits im September 1938 wurde „die bevorstehende ‚Ausmerzung der Konfektionsjuden'“ gemeldet.
Aus wesentlichen Triebfedern seines Handelns bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges hat Eschenburg selbst kein Hehl gemacht. Nach 1918 war er „Vernunftrepublikaner“, dessen Denken um den Staat kreiste („immerhin wurde regiert“). Mit den Worten Hermann Dietrichs, des von Eschenburg hoch geschätzten Vorsitzenden der Deutschen Staatspartei, die dieser 1930 begründen half: „Das Zeitalter des Liberalismus [liegt] hinter uns. […] Der einzelne Bürger muß zur Staatsidee erzogen werden.“ Nach 1933 gab Eschenburg frühzeitig der „Empfindung“ nach, „man müsse sich nicht partout mißliebig machen“, zumal die Angst vor der Zufügung körperlicher Schmerzen ihn „nie ganz verlassen“ habe. „Unmerklich, ohne sich dessen bewußt zu werden“, entwickelte er „Überlebenstaktiken“, arrangierte sich mit dem Herrschaftsapparat des NS-Regimes.
Um Eschenburgs politische Verhaltensmuster und -motive bis 1945 sowie seinen Umgang damit nach Kriegsende weiter zu erhellen, sollen zunächst zwei weitere Ereignisse aus der Weimarer Zeit beziehungsweise der Phase nach der NS-Machtübernahme skizziert werden, die seiner punktuellen Mitwirkung an der „Arisierung“ vorausgingen.
Im Winter 1924/25 zum Tübinger Vorsitzenden des völkisch-nationalistischen Hochschulrings deutscher Art (HdA) gewählt, beteiligte Eschenburg sich an der rüden studentischen Kampagne gegen den engagierten Justizkritiker Emil Julius Gumbel. In den ersten Band seiner Memoiren hat er diesen Vorgang zwar aufgenommen, jedoch erheblich beschönigt.
Mitte 1933 trat er der Motor-SS als Anwärter bei, wurde im März 1934 zum SSMann ernannt und im Spätherbst desselben Jahres auf eigenen Antrag, begründet mit beruflicher Überlastung, wieder aus der SS entlassen. Erst im posthum erschienenen zweiten Band der Erinnerungen findet sich die „Affäre“ (Eschenburg) zutreffend dargestellt. Noch kurz zuvor hatte Gerhard Lehmbruch, offenkundig auf der Grundlage gefärbter Auskünfte Eschenburgs, sie mit deutlichen Abweichungen von der Wirklichkeit präsentiert.
Insgesamt ergibt sich, dass das nach 1945 entworfene (Selbst-) Bild der politischen Persönlichkeit Theodor Eschenburgs in Teilen der Korrektur bedarf. Lietzmanns Ergebnisse legen das in ähnlicher Weise für Carl Joachim Friedrich nahe. Damit steht die Politikwissenschaft neuerlich vor der Frage ihres Umgangs mit der Kontinuitätsproblematik.
Zwar gilt unverändert, dass der „Gründungsimpuls von 1949“ auf die wissenschaftliche Fundierung eines demokratischen Neuanfangs in der Bundesrepublik zielte. Im Übrigen aber tritt auch im Falle der Nachkriegspolitologie immer deutlicher zutage, dass Exil nicht gleich Exil und „innere Emigration“ nicht gleich „innere Emigration“ war. Die pauschalen Begriffe legen Homogenität nicht nur des Schicksals, sondern auch der demokratischen Orientierung nahe. Archivgestützte Untersuchungen fördern dagegen im Einzelfall durchaus heterogene Einstellungen, Verhaltensweisen, Strategien zutage – heterogen auch im Hinblick auf die Distanz zum NS-Regime oder doch zu Denkern, die dem Sturz der Republik vorgearbeitet haben.
Sollte das Fach sich nicht auf die weitere Erforschung dieser Heterogenität, vor wie nach 1945, konzentrieren, ohne dabei ständig den Blick auf andere Disziplinen zu richten? Ließe es sich stattdessen weiter von der Zielvorstellung leiten, das Endergebnis müsse sich durchweg positiv abheben vom Kanon der übrigen Wissenschaften, dann liefe die Disziplin Gefahr, Mythen von der Art zu erliegen, die schon bei der Bewertung von Rolle und Entwicklung der Deutschen Hochschule für Politik Gegenstand der Fachdebatte waren.